Sonntag, November 24

Das Bundesamt für Gesundheit hat bei der Beschaffung der Impfplattform unsauber gearbeitet. Nicht alle Fehler lassen sich durch die Corona-Pandemie erklären.

Es musste schnell gehen, als sich im Herbst 2020 eine Impfung gegen Covid-19 abzeichnete. Bundesrat und Verwaltung hatten sich ungenügend auf die zweite Welle der Pandemie vorbereitet. Unter Hochdruck wollte der Bund nun eine IT-Lösung beschaffen, mit der die Kantone die Impfung der Bevölkerung koordinieren konnten. Doch dabei ging einiges schief.

Die Liste der Vorwürfe an das Bundesamt für Gesundheit (BAG) ist lang. In einem neuen Bericht kritisiert die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) etwa die unklare Begründung für die Wahl der Lieferfirmen, die für den Bund unvorteilhaften Verträge oder die möglicherweise überteuerten Rechnungen, die ungeprüft bezahlt wurden.

Mitte Oktober 2020 hatte das BAG das IT-Projekt zur Verwaltung der Impftermine gestartet. In dieser Zeit stiegen die Zahlen der positiv getesteten Personen wieder an, und der Bundesrat beschloss Beschränkungen bei Versammlungen und verhängte eine Maskenpflicht.

Kurz zuvor hatte AstraZeneca als erster Hersteller in der Schweiz die Zulassung eines Impfstoffs beantragt. Wann hierzulande tatsächlich Impfstoffe verfügbar sein würden, war noch unklar. Doch wenn die Impfung möglich sein würde, sollte sie möglichst rasch und flächendeckend stattfinden können. Dazu brauchte es elektronische Unterstützung bei der Organisation.

Interessierte Firmen meldeten sich selbst

Im Herbst hatten sich mögliche Anbieter bereits von sich aus beim BAG gemeldet, um eine Software zu offerieren, wie die EFK schreibt. Wer sich nicht selbst meldete, war im Nachteil, so scheint es. Zumindest ein grosser Schweizer Anbieter von Terminlösungen im Medizinbereich wurde vom BAG nie kontaktiert, wie «Inside IT» später berichtete.

Den Zuschlag erhielt schliesslich die Firma OneDoc zusammen mit dem Subunternehmen Soignez-moi. OneDoc ist ein Genfer Startup, das mit seinem Reservationssystem für Corona-Tests schweizweit bekannt wurde. Soignez-moi bietet telemedizinische Beratungen an. Das Unternehmen aus dem Kanton Bern wurde 2018 gegründet. Die beiden Firmen begannen ihre Arbeiten für die Impfplattform, bevor ein rechtsgültig unterzeichneter Vertrag vorlag – und sie wurden dafür auch vorher bezahlt.

Der Auftrag wurde freihändig vergeben, also ohne vorangehende öffentliche Ausschreibung. Das lässt sich teilweise durch die zeitliche Dringlichkeit erklären. Die EFK kritisiert aber, dass die Gründe, die zur Vergabe an OneDoc und Soignez-moi geführt hätten, nicht nachvollziehbar seien. Die entsprechende Analyse sei «unvollständig und wenig aussagekräftig».

Der Entscheid, der kurz vor Weihnachten 2020 publiziert wurde, sorgte zumindest in der Branche für Stirnrunzeln. So bezeichnet «Inside IT» etwa das Auftragsvolumen von 950 000 Franken als einen «laut Branchenkennern stolzen Betrag».

Das BAG selbst sieht keinen Fehler bei der freihändigen Vergabe. Es räumt zwar ein, dass das Vorgehen «nicht den üblichen Prozessen» in der Bundesverwaltung entsprochen habe. In seiner Stellungnahme an die EFK streicht das BAG aber den grundsätzlichen Erfolg der gewählten Strategie heraus – und dies, obwohl das Projekt zeitlich höchst ambitiös gewesen sei.

Der Bund kontrollierte die Rechnungen nur ungenügend

Die Kritik der EFK beschränkt sich allerdings keineswegs auf die freihändige Vergabe, die unter Zeitdruck geschah. Auch für die folgenden Monate ist von hohen Preisen und ungenügenden Kontrollen die Rede.

Im Juli 2021 vergab das BAG Folgeaufträge zur Weiterführung des Projekts. Die beiden Firmen OneDoc und Soignez-moi sollten Leistungen für bis zu maximal 4,6 beziehungsweise 6,4 Millionen Franken erbringen – abhängig vom tatsächlichen Aufwand.

Die beiden Firmen konnten dem Bund dabei Tagessätze von 1500 Franken (zum Beispiel für Übersetzungen) bis 2000 Franken (etwa für Sicherheitstests) in Rechnung stellen. Die EFK schätzt diese Preise im Branchenvergleich als hoch ein. Besonders stossend: Das BAG hatte diese Preise offensichtlich nicht verhandelt – sondern direkt aus den Offerten übernommen.

Bei freihändigen Vergaben seien Offerten verhandelbar, schreibt die EFK. Dabei sei zu berücksichtigen, wenn «mit der Zusammenarbeit ein erheblicher Mehrwert für die Auftragnehmer» entstehe. Konkret dürfte insbesondere OneDoc von einer schweizweiten Bekanntheit profitiert haben sowie von zahlreichen Registrierungen auf ihrer Plattform.

Doch das BAG verzichtete nicht nur darauf, die Tagesansätze zu verhandeln. Es unterliess es auch, die Rechnungen zu kontrollieren. Die Firmen sollten gemäss Vertrag dem BAG unaufgefordert die Rapporte über ihre Leistungen vorlegen. Doch das geschah laut EFK nicht.

Die EFK wählt deutliche Worte: Die Rechnungen seien «nicht aussagekräftig und widersprechen den vertraglichen Vorgaben». Deren Richtigkeit könne nicht geprüft werden. Laut EFK besteht das Risiko, dass die Firmen Leistungen doppelt verrechneten oder gar Arbeiten verrechneten, die nicht im Zusammenhang mit dem Auftrag gestanden sind.

Die Mängel bei den Rechnungen der Firma Soignez-moi sind laut EFK sogar noch gravierender. Obwohl der Vertrag mit dem BAG vorsah, dass der effektive Aufwand abgerechnet werden muss, stellte das Unternehmen im zweiten Halbjahr 2021 ausschliesslich Pauschalbeträge in Rechnung.

Finanzkontrolle mache «irreführende Aussagen»

Die Firmen OneDoc und Soignez-moi weisen die Vorwürfe zurück. Die ausgehandelten Tagessätze seien branchenüblich. Soignez-moi habe die Anweisungen des BAG bezüglich der Rechnungsstellung stets befolgt, schreibt das Unternehmen auf Anfrage. Die pauschale Rechnungstellung im zweiten Halbjahr 2021 sei in Absprache mit dem BAG erfolgt.

Die Firma OneDoc teilt mit, dass sie ihren Aufwand detailliert aufgelistet habe: «Jeder Rechnung war eine Liste der implementierten Funktionen und Manntage beigefügt, aufgeschlüsselt nach Name und Funktion der Mitarbeitenden.» Das Unternehmen kritisiert den Bericht zudem grundsätzlich: Er enthalte «trotz den an die EFK übergebenen Beweismitteln irreführende Aussagen über OneDoc».

Während der Pandemie kämpfte das BAG mit personellen Engpässen. Insbesondere Personal mit IT-Fachwissen war nicht genügend vorhanden. Im Frühjahr 2021 musste deshalb ein externer Mitarbeiter als Leiter Digitalisierung Covid-19 unter anderem das Projekt der Impfplattform übernehmen. In dieser Funktion entschied er über die Weiterentwicklung der Software und die Aufträge an die beiden Lieferfirmen.

Brisant dabei: Der externe Mitarbeiter war geschäftlich mit einer Person der Geschäftsleitung von Soignez-moi verbunden. Sie waren bei einer Drittfirma Geschäftspartner. Das BAG betont zwar, dass diese geschäftliche Verbindung bekannt gewesen sei. Doch gab es laut EFK-Bericht diesbezüglich keine flankierenden Massnahmen, was die EFK als «nicht nachvollziehbar» bezeichnet.

Inzwischen hat das BAG das Millionenprojekt abgeschlossen. Die Kantone konnten die IT-Systeme bei Bedarf übernehmen, wie das BAG schreibt. Der Bund hat seine vertraglichen Verpflichtungen per Ende 2022 beendet. Die wichtigere Frage aber ist, ob das BAG auch Lehren aus den Fehlern gezogen hat. Zumindest gegenüber der EFK beteuert das Amt, die Empfehlungen für eine bessere Kontrolle bereits umgesetzt zu haben.

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