Freitag, Oktober 25

Der Zementriese spaltet das Nordamerika-Geschäft ab. Doch er hat unterschätzt, wie schwierig das ist. Der neue US-Konzern könnte schweizerischer werden, als man denkt.

Selbst einer der weltgrössten Baustoffkonzerne kann nicht immer so schnell bauen, wie er will. Der Zementriese Holcim möchte sein Geschäft in Nordamerika vollständig abspalten und an die US-Börse bringen. Diesen radikalen Einschnitt hatte Holcim im Januar überraschend angekündigt – und wollte keine Zeit verlieren: Die endgültige Struktur der neuen Nordamerika-Firma sollte in der zweiten Jahreshälfte 2024 bekanntgeben werden, hiess es damals. Auch Investorentage sollten in dieser Zeit abgehalten werden.

Doch beides wird im laufenden Jahr nicht mehr passieren. «Wir haben uns entschieden, ein bisschen zu warten», sagte Holcim-CEO Miljan Gutovic am Freitag gegenüber Journalisten. Die Architektur der neuen Nordamerika-Einheit ist offenbar aufwendiger zu planen als zunächst gedacht. Schliesslich geht es um viel: Holcim stellt in Aussicht, dass die Nordamerika-Aktivitäten im Jahr 2030 mehr als 20 Milliarden Dollar Umsatz erwirtschaften sollen. Die neue Gesellschaft wird ein führender Anbieter im amerikanischen Bausektor.

«Die Abspaltung braucht viel Vorarbeit»

Die Aussicht auf die Abspaltung überzeugt die Anleger. Der Aktienkurs von Holcim hat seit der Ankündigung im Januar um 23 Prozent zugelegt. Gegenwärtig stehen die Titel bei 84 Franken, der höchste Wert seit dem Jahr 2008. Zwar haben auch andere Zement-Aktien zugelegt, etwa jene des deutschen Rivalen Heidelberg Materials, der keine Abspaltungspläne wälzt. Doch seit dem Frühjahr öffnet sich zwischen beiden Kursen eine Schere. Holcim setzt sich ab.

Bei dem Spin-Off seien viele und zudem komplexe Themen gleichzeitig zu bearbeiten, kommentiert Mark Diethelm von der Bank Vontobel: operative und juristische Fragen sowie die Zusammenarbeit mit den amerikanischen Behörden und Börsen. Parallel wird das bestehende Geschäft vorangetrieben, und Holcim kauft sowohl in den USA wie auch international Firmen zu. «Die Abspaltung braucht viel Vorarbeit», bestätigt Diethelm.

Holcim sagt, der Konzern mache in allen Punkten exzellente Fortschritte. CEO Gutovic hob den Aufwand für die Zulassung durch die US-Börsenaufsicht SEC hervor. Doch am geplanten Zeitpunkt der Abspaltung und Börsenkotierung wird nicht gerüttelt: Sie soll weiterhin im ersten Halbjahr 2025 erfolgen. Bei diesen Aussichten kann die Finanzgemeinde verschmerzen, dass die Details länger als angekündigt offen sind.

Im Westen geht die Sonne auf

Remo Rosenau, Chefanalytiker der Helvetischen Bank, erwartet die Abspaltung gegen Mitte oder Ende des zweiten Quartals 2025. Bei diesem Zeithorizont sei ohnehin fraglich, wie sinnvoll ein Investorentag gewesen wäre, der vier bis Monate vor dem effektiven Spin-Off stattfinde, sagt Rosenau: «Da macht es wohl mehr Sinn, diesen Investorentag auf den Frühling zu verschieben, wenn die Zahlen für das Geschäftsjahr 2024 bekannt sind, insbesondere auch vom US-Geschäft.» Auch Holcim argumentiert jetzt so.

Grundsätzlich sind Branchenexperten weiterhin von der Aufteilung angetan. Holcim bewarb sie mit dem Versprechen, die neue Firma werde das Potenzial des amerikanischen Marktes besser ausschöpfen. Diese Einschätzung wird geteilt: Ein reines US-Unternehmen erhalte bei US-Projekten eher den Zuschlag als ein nicht amerikanisches, so Vontobel-Analyst Diethelm. Auch lasse sich die Firma «amerikanischer», also risikoreicher führen, und Wachstum durch Übernahmen geniesse auf der anderen Seite des Atlantiks einen höheren Stellenwert.

Holcim rechnet sich in den USA grosse Chancen aus, unter anderem wegen hohen Bauinvestitionen in die Infrastruktur und bei der Ansiedlung von Fabriken. Beides wird von der Regierung stark gefördert. Holcims Pipeline von mehr als 150 Infrastrukturprojekten sei «unglaublich», so Gutovic. Ausserdem baut der Konzern mit der Sparte Solutions & Products systematisch das Geschäft abseits von Zement aus, etwa mit margenstärkeren Produkten zur Dachbedeckung und Gebäudeisolierung. Nicht zuletzt der Erneuerungsbedarf nach den Hurrikans ist ein Wachstumstreiber.

An der US-Börse haben es Baukonzerne leichter

Doch während das schlechte Wetter tobt, drückt es das Geschäft. Holcims Umsatz in Nordamerika ist im dritten Quartal etwas gesunken, konzernweit blieb er mit 7,1 Milliarden Franken etwa unverändert. Allerdings verbesserte sich der Betriebsgewinn (Ebit) deutlich auf 1,7 Milliarden Franken. Der Fokus auf rentablere Bauprodukte scheint sich auszuzahlen. Am stärksten fiel der Margenzuwachs in Nordamerika aus. Auch der Schweizer Bauchemiekonzern Sika meldete am Freitag gestützt auf das Amerika-Geschäft gute Ergebnisse.

Die Kotierung von Holcims Spin-Off am amerikanischen Aktienmarkt gilt ebenfalls als Chance. Baukonzerne werden an der dortigen Börse mit höheren Kursen belohnt. Hingegen muss der europäische Zementsektor einen «ESG-Malus» schultern: Abschläge der Anleger, weil die regulatorischen Auflagen für Nachhaltigkeit und klimafreundlichere Produktion das Geschäft belasten. Die Bewertung von ähnlich gelagerten Gesellschaften wie Holcim sei in den USA rund 100 bis 150 Prozent höher als in Europa, sagt Rosenau von der Helvetischen Bank.

Im Umkehrschluss bedeutet das, dass auch die verbleibende Holcim ohne das Nordamerika-Geschäft für Investoren ein schärferes Profil haben wird. Der Broker Stifel schreibt, die «alte» Holcim könnte anfangs an der Börse sogar in einer besseren Position sein, unter anderem weil der amerikanische Bausektor schon so hoch bewertet ist. Anders gesagt: In Europa gibt es für die Kurse mehr Luft nach oben.

Wie schweizerisch wird die amerikanische Holcim?

Die Details der Trennung werden unter Federführung von Verwaltungsratspräsident Jan Jenisch ausgearbeitet. Klar ist: Holcim möchte keine Beteiligung an der US-Gesellschaft behalten; alle Aktien sollen an die bestehenden Investoren übertragen werden. Dennoch könnte der neue Konzern, dessen Name noch nicht bekannt ist, erstaunlich schweizerisch ausfallen.

Möglich ist, dass er zwar das operative Hauptquartier in den USA unterhält, aber der Firmensitz in Zug angesiedelt wird. Das hätte steuerliche Vorteile, auch für Schweizer Privatanleger. Sie könnten damit vermeiden, unter gewissen Umständen unter das amerikanische Erbschaftssteuerrecht zu fallen. Trotzdem wäre der neue Konzern laut Rosenau noch eine US-Gesellschaft.

Holcim hat diese Möglichkeit nicht dementiert. Alle Varianten würden geprüft, hiess es. Ebenso verhält es sich mit einer potenziellen Doppelkotierung in den USA und in der Schweiz. Sind die neuen Aktien auch in Zürich handelbar, würde das institutionelle Investoren aus der Schweiz begünstigen, die nicht in US-Valoren anlegen wollen oder können. Damit würde ein gewisser Verkaufsdruck bei der Abspaltung entfallen, so Diethelm, und diese Schweizer Anleger könnten am Wachstum der Infrastruktur in den USA partizipieren.

Auf der anderen Seite dürfte eine Doppelkotierung die rasche Aufnahme in den amerikanischen Leitindex S&P 500 erschweren. Es gibt also viele Punkte, die Holcim abwägen muss – und wenn Beton einmal ausgeschüttet ist, wird er schnell hart. Da will gut überlegt sein, in welche Form man ihn giesst.

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