Dienstag, November 26

Vor dem Zürcher Fussball-Derby erklärt Luca Maggi, Sicherheitsverantwortlicher des FC Zürich, wie mit fehlbaren Fans umgegangen werden soll.

Der grüne Lokalpolitiker Luca Maggi ist seit einem Jahr Sicherheitschef des FC Zürich. Langweilig wurde es dem 34-Jährigen seither nicht. In Zürich eskaliert regelmässig die Fangewalt, landesweit verschärfen die Behörden den Ton gegen Fehlbare.

Repressive Massnahmen gegen Fans sind Maggi ein Dorn im Auge. Der Jurist und Polizeikritiker, dessen Nähe zur Südkurve ein offenes Geheimnis ist, will einen anderen Weg beschreiten.

Herr Maggi, vor wenigen Wochen haben an einer Chilbi im Kanton Zürich FCZ-Ultras Jagd auf GC-Fans gemacht. Es war eine konzertierte Aktion, inklusive Fluchtautos. Ein organisiertes, kriminelles Vorgehen. Schätzen Sie das auch so ein?

Ein solches Fazit obliegt den Strafverfolgungsbehörden. Was einen derartigen Vorfall besonders gravierend macht: dass unbeteiligte Dritte nur schon durch das Miterleben eines Gewaltübergriffs in Mitleidenschaft gezogen wurden. Das gilt auch für den Überfall von GC-Ultras auf eine S-Bahn mit FCZ-Fans vor dem letzten Derby. Der FCZ verurteilt Straftaten und Gewalt. Dies geschah aber weitab von unserem direkten Einflussgebiet. In und unmittelbar rund ums Stadion hatten wir jüngst keine vergleichbaren Vorfälle.

Machen Sie es sich da nicht zu einfach? Die Gewalt abseits der Stadien kann Ihnen doch nicht egal sein.

Das ist sie uns auch nicht. Wir engagieren uns beispielsweise in der Fansozialarbeit, deren Beiträge wir und die Stadt soeben erhöht haben, wir besuchen Schulklassen. Da sprechen wir über Fantum, aber auch über Gewalt und Sachbeschädigungen. Aber die Fankultur ist in der Schweiz die grösste Subkultur überhaupt, sie ist jüngst massiv gewachsen. Da hat ein Klub nur bedingten Einfluss.

Gemäss einer Statistik des Fedpol kam es an zehn Spielen des FCZ in der Saison 2023/24 zu schweren Gewaltvorfällen. Wie beurteilen Sie diese Bilanz?

Das vom Bundesrat eingeführte Bewertungssystem gleicht einer Lupe. Es bewertet jede Provokation. Das kennen wir aus keinem anderen Gesellschaftsbereich. Wenn man anderswo derart minuziös messen würde wie im Fussball, müsste man nach jedem Ausgehwochenende an der Langstrasse von massiven Sicherheitsproblemen sprechen. Zudem stellt sich die Frage, ob ein Ereignis oder eine Straftat wirklich einem Spiel zugeschrieben werden darf.

Wie meinen Sie das?

Bei uns wurde beispielsweise ein Spiel gegen Lausanne-Ouchy als «rot» qualifiziert, obwohl wahrscheinlich niemand der am Spieltag involvierten Akteure rückblickend zu diesem Schluss käme. Ja, beim Fanmarsch gab es Provokationen. Beim Spiel wurden Pyros gezündet, wohlgemerkt als Stimmungsmittel, was man vom gefährlichen Werfen von Pyros klar unterscheiden muss. Nach dem Spiel gab es eine Plünderung. Letztgenanntes Ereignis war für die «rote» Einstufung wohl ausschlaggebend.

Eine Plünderung und Provokationen – das ist doch nicht nichts.

Das sage ich auch nicht. Eine Plünderung ist eine eindeutige Straftat. Aber es sind fast 2000 FCZ-Fans nach Lausanne gereist. Wenn jetzt zehn Leute am Bahnhofkiosk etwas klauen, ist das eine Plünderung. Welches Organisationsversagen kann da dem FCZ vorgeworfen werden?

Die Leute erleben rund um Matches rechtsfreie Räume. Da gibt es gewöhnliche Fans, die von FCZ-Ultras bis vor die Haustüre verfolgt werden.

Niemand soll jemanden verfolgen. Egal, welches Leibchen jemand trägt. Die Leute, die im öffentlichen Raum Straftaten begehen, muss die Polizei ermitteln und vor Gericht bringen.

Was sagen Sie einem GC-Fan, der sich nicht mehr ins Stadion traut?

Ich finde das eine schräge Frage (überlegt). In den Stadien haben wir eine gute Sicherheitslage. Aber es darf nicht sein, dass sich ein Fan nicht ins Stadion getraut. Wenn ich Zuschriften von Leuten erhalte, die sich unsicher fühlen, rede ich selbstverständlich mit ihnen und versuche bei konkreten Hinweisen herauszufinden, wann und wo sich ein Vorfall ereignet hat.

Gegen Gewalt in den Stadien wollte die Politik das sogenannte Kaskadenmodell einführen: Bei Ausschreitungen wird beim darauf folgenden Spiel die Fankurve gesperrt. Dagegen wehrt sich der FCZ sogar rechtlich.

Kollektivstrafen sind rechtswidrig. Sie fördern das Feindbild der Fans gegen die Behörden. Ausserdem sind sie nutzlos. Der einzige Effekt, welchen die beiden Sektorensperren gegen den FCZ hatten, war mehr Arbeit für alle im Sicherheitsbereich tätigen Akteure. Die Kurvenfans waren aber dennoch im Stadion.

Ihr Ansatz ist die Einzeltäterverfolgung. Das ist fast nicht umsetzbar, weil gerade die FCZ-Fans uniform angezogen sind und sich vermummen.

Ermitteln ist eine harte, langwierige Arbeit. Werden einem denn in anderen, schwerwiegenderen Kriminalitätsbereichen wie beim Menschenhandel alle Straftäter auf dem Silbertablett präsentiert? Aber es gibt auch bei der Fangewalt Ermittlungserfolge. Klar, Leute vermummen sich. Das ist auch eine Folge der Politik, die mit dem Hooligankonkordat vor einem Jahrzehnt für das blosse Zünden von Pyrotechnik übertrieben scharfe Strafen eingeführt hat.

Es gibt die Idee von personalisierten Tickets, um Einzelne zu identifizieren. Aber auch da sind Sie dagegen. Wieso?

Erstens haben wir derzeit nicht in den Stadien ein Problem, sondern ausserhalb. Zweitens ist es eine Illusion, zu glauben, dass man jede Person zweifelsfrei identifizieren kann. Sollen wir jedem Fan einen Aufpasser an die Hand geben, der sagt: Setz dich auf diesen Platz, und wenn du auf die Toilette oder zum Wurststand gehst, komme ich mit? Die Leute können sich im Stadion frei bewegen.

Dann gibt es noch die viel zitierte Selbstregulierung der Kurve. Man hat nicht den Eindruck, dass sie funktioniert.

Viele Hochrisikospiele verlaufen problemlos – das wäre anders, wenn es gar keine Selbstregulierung gäbe. Ich erlebe oft, wie junge Fans, die sich etwa gegenüber dem Verkaufspersonal daneben benehmen, von besonnenen Kräften gemassregelt werden. Auch nach Ereignissen wie jenem mit dem Familienvater, der bedroht wurde, gibt es eine kritische Auseinandersetzung innerhalb einer Fankurve.

Die öffentliche Wahrnehmung ist anders.

Eine solche Selbstregulierung dringt ja auch nicht an die Öffentlichkeit. Vielleicht muss man auch damit aufhören, von aussen zu sagen, was Fankultur ist. Natürlich will man die Gesänge, die Fahnen, die Choreos und keine Gewalt. Letztlich wird Fankultur aber von jenen definiert, die sie in den Kurven leben – die dann auch mit den strafrechtlichen Konsequenzen leben. Man muss ein Stück weit akzeptieren, dass es schon immer Auseinandersetzungen zwischen Fans gegeben hat und wohl auch weiterhin geben wird. Es bringt nichts, wenn ein Sicherheitsverantwortlicher des FCZ da den Polizisten spielen will.

Noch ein Beispiel: Fans rennen auf die Tartanbahn im Letzigrund und werfen über tausend Grad heisse Fackeln in die Menge – so geschehen im Oktober 2021. Die Kurve gewährt diesen Leuten Unterschlupf.

Wenn es die Behörden schaffen, dass sie derart zum Feindbild werden, dass sie in fast jedem Fall das grössere Übel sind als die Leute aus der eigenen Szene – dann haben wir ein Problem.

Es wäre doch denkbar, dass eine Fankurve eine Grenze zieht.

Dass man jemanden an die Polizei ausliefert, das werden wir gerade angesichts der aufgeladenen politischen Stimmung wohl weder heute noch morgen erleben. Das ist einfach ein Fakt, und ich sage das, ohne es zu bewerten.

In der Südkurve gibt es laut Stadtpolizei 400 gewalttätige Personen. Wissen Sie, wer diese Leute sind?

Nein, das weiss ich nicht. Es handelt sich nicht um 400 Einzelpersonen, die man aus einem Stadion verbannen kann, und alle Probleme wären gelöst. Kippt in einer Gruppendynamik die Stimmung, kann es plötzlich über tausend gewalttätige Personen geben. Genauso wie wir an einem Grossteil der Spiele gar keine Gewalttäter haben.

Wer Ihnen zuhört, erhält den Eindruck: Man kann nichts tun. Sie erteilen sämtlichen Vorschlägen eine Absage.

Selbstverständlich kann man etwas tun. Ich setze mich für die Umsetzung des Good-Hosting-Konzepts der Swiss Football League ein, das eben nicht auf Konfrontation mit Fans setzt und sich bewährt hat. Zudem braucht es einen konsequenten Dialog mit allen Seiten. Den Erfolg kann ich mit Beispielen belegen. Nehmen wir Genf; dort gab es im April rigorose Einlasskontrollen und Auseinandersetzungen, eine Kurvensperrung war die Folge. Wir haben einen runden Tisch mit Servette, der Liga, Fanvertretern und der Polizei organisiert. Beim darauffolgenden Spiel in Genf diesen Herbst gab es keinen einzigen Zwischenfall. Alle Seiten zeigten sich positiv überrascht. Ein anderes Beispiel hier in Zürich: Die VBZ hatten sich nach Zwischenfällen im Rahmen von Matches über ein Jahr lang geweigert, die Quartiere rund ums Letzigrund während Fussballspielen zu bedienen. Auch da haben wir mit viel Gesprächen konkrete Lösungen gefunden.

Schwindet die Akzeptanz für Fussballspiele? In Luzern gibt es beispielsweise eine Volksinitiative, die strenge Auflagen fordert.

Der Stellenwert des Fussballs in der Gesellschaft ist riesig. Das zeigen auch die steigenden Zuschauerzahlen. Wo können Jugendliche für so wenig Geld so viel erleben? Du hast eine Reise in eine andere Stadt, das Zusammensein mit Gleichgesinnten, das emotionale Knistern.

Ein toller Werbespot. Aber nochmals: Was, wenn die Öffentlichkeit die Geduld mit dem Fussball verliert?

Wir setzen alles daran, die Anzahl Vorfälle zu reduzieren. Wir tragen einen Grossteil der Kosten für die Sicherheit selbst. Pro Saison sind dies alleine für Polizeieinsätze eine halbe Million Franken exklusive internationaler Spiele. Aber wir leisten auch etwas. Jedes Wochenende reisen für Fussball- und Eishockeyspiele Zehntausende von Fans durch die Schweiz, verhältnismässig gesehen passiert wenig. Als Gesellschaft müssen wir akzeptieren, dass es insbesondere bei Subkulturen ein Ausloten der Legalität, manchmal auch ein massives Überschreiten der Grenzen gibt. Aber immer dann, wenn an einem Spieltag alle involvierten Akteure von Klubs über Behörden bis zu Polizei und Fans zu einem gemeinsamen Dialog finden, kann ein guter Umgang damit gefunden werden.

Wenn wir Sie richtig verstehen, dann sagen Sie: Wenn es den Fussball nicht gäbe, dann würden diese Probleme anderswo auftreten.

Das ist offensichtlich. Heute sind die Fankurven einer der letzten Orte von Freiraum und Autonomie. Das ist ein Bedürfnis in einer immer properer werdenden Stadt. Die Politik wäre gut beraten, sich sachlich mit dieser Thematik auseinanderzusetzen. Bedauerlich ist, dass man viele Politikerinnen und Politiker in Zürich selten im Stadion sieht. Ich würde erwarten, dass man sich selbst ein Bild macht, sich mit Klubs und Liga austauscht, wenn man das Thema schon politisch ausschlachtet.

Das sind doch legitime Anliegen der Politik.

Ich höre oft von Politikern hinter vorgehaltener Hand: Weisst du, mich interessiert dieser Fussball eigentlich nicht. Es muss einfach aufhören mit der Gewalt. Wenn die Politiker aber ein ehrliches Interesse an der Problemlösung haben, geht das nicht ohne Verständnis der komplexen Materie.

Sie sitzen noch immer für die Grünen im Stadtparlament und üben immer wieder Kritik an der Polizei. Wie ist Ihr Verhältnis zu ihr?

Ich musste mich bei meinem Jobantritt von politischen Kontrahenten als Polizeihasser betiteln lassen. Ich erhalte in der operativen Zusammenarbeit mit der Polizei gute Rückmeldungen. Dafür muss ich mich in meiner politischen Haltung nicht verbiegen. Ich wusste beim Antritt, dass es mit einem Risiko verbunden ist. Es ist bequem, im Gemeinderat zu sagen, wie etwas sein sollte. Aber ich habe mich entschieden, mit anzupacken.

Am 30. November und am 3. Dezember stehen innerhalb von vier Tagen zwei Derbys zwischen GC und dem FCZ an. Worauf müssen sich die Leute einstellen?

Ich bin optimistisch, dass es uns auch dann gelingt, zwei sichere Spiele abzuhalten, die sehr gut besucht sind. Fussball bereitet vielen Menschen grosse Freude. Das soll im Zentrum stehen.

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