Mittwoch, Oktober 9


Tipps

Umgeben von nichts als Natur und Weinreben: Wir stellen drei idyllische Hotels im Süden Europas vor, die mit viel Gastfreundschaft und eigenem Wein überzeugen.

1. Castello di Semivicoli, Italien

Gegen Osten schaut man aufs Meer, nördlich bewundert man, wie sich das Universitätsstädtchen Chieti auf seinem Gebirgsrücken hält, im Süden bauen sich die schneebedeckten Gipfel der Maiella vor dem Auge auf. Aber unterhalb des auf einer breiten Kuppel thronenden Castello di Semivicoli findet sich partout kein Blickpunkt, von dem das Anwesen selbst zu entdecken wäre. Kein Wunder, dass man mitunter meint, von dem Schlösschen nur geträumt zu haben. Doch es ist real, einschliesslich der Reben, die darum wachsen.

Das Wunder des Castello setzt sich hinter der strengen Barockfassade fort. Denn im Foyer, in der alten Ölmühle, den Kellern, der Küche, der ehemaligen Kirche, der historischen neviera (Kühlkammer) oder in den Repräsentationsräumen des piano nobile finden sich zwar von den früheren Besitzern zurückgelassene Möbel, Gemälde oder Kronleuchter. Doch daneben, und das gilt insbesondere für die elf auf die oberen Stockwerke verteilten Zimmer und Suiten, haben überall auch seltene und überraschende, von den Schlossherrinnen ausgesuchte Designstücke und zeitgenössische Kunstwerke Platz gefunden.

Eine der Suiten ist 140 Quadratmeter gross und befindet sich im ehemaligen Getreidespeicher unter dem Dach. Am Anfang stand eine Vision Die neuen Schlossherrinnen heissen Marina Cvetic und Miriam Lee Masciarelli, und ihr Green Boutique Hotel ist eher ein schmückendes Beiwerk. Im Hauptberuf produzieren Mutter und Tochter auf 60 Parzellen 2,5 Millionen Flaschen Wein pro Jahr. Die Geschichte der Tenuta ist spektakulär. Vor genau 40 Jahren nahm Gianni Masciarelli, Sohn eines LKW-Fahrers, nach dem Studium der Ökonomie in Pescara und des Rebenanbaus im Burgund einen Kredit auf und kaufte zwei kleine Parzellen unterhalb seines Heimatdorfes San Martino sulla Marrucina.

Er war überzeugt, dass sich in den bis dahin auf billige Tischweine konzentrierenden Abruzzen grosse Weine entwickeln lassen müssten. Sein Kalkül: Die zwischen kalten Winden und brennender Sonne schwankenden Südosthänge dieser eher verlassenen Region zwischen Adria und bis auf über 3000 Meter ansteigenden Bergmassiven sollten eigentlich ideale Voraussetzugen bieten. Gianni behielt recht. Und konnte sein Werk dennoch nicht vollenden. 2008 erlag er auf einer Auslandsreise einem Herzinfarkt und hinterliess das Weingut seiner Frau, der Kroatin Marina Cvetic. Allein mit drei Kindern, noch dazu als Ausländerin, die ihren Nachnamen nie abgelegt und so ihre Eigenständigkeit betont hat, baute Marina das Vermächtnis ihres Mannes zu einem der führenden Weingüter Italiens aus, zunehmend mit Unterstützung ihrer ältesten Tochter.

«Ich war gerade 18, als mein Vater starb», erzählt Miriam Lee, «Mama managte den ganzen Betrieb, und ich war ihre Assistentin». Parallel studierte sie Wirtschaftswissenschaften in Rom und pendelte mit ihrem Smart zwischen der Hauptstadt und den Abruzzen, wo sie sich um Produktion, Logistik und Kommunikation kümmerte. Für Marina und Miriam ist das Castello di Semivicoli eine Herzenssache. Schliesslich hatte Gianni das völlig heruntergekommene Schloss spontan gekauft und seiner Frau zum Geschenk gemacht.

Der Wiederaufbau kostete Geld, Leidenschaft und Zeit. Allein die Rekonstruktion des mit über Schenkeln handgeformten Ziegeln gedeckten Daches habe fünf Jahre in Anspruch genommen, erinnert sich Miriam, in einem Salone im Piano nobile des Castello sitzend. «Ich habe den Schlüssel zur Glückseligkeit», hatte Marina Cvetic am ersten Abend behauptet. Bei einem Glas Cerasuolo, einem verführerisch fruchtigen, typisch abruzzesischen Sommerroten auf der Gartenterrasse des Castello di Semivicoli und mit Blick über die Weinfelder auf den schneebedeckten Gipfel der Maiella, möchte man ihr fast rechtgeben. Und sich freuen, dass es solche wundervollen Orte gibt.

2. Château Lafaurie-Peyraguey, Frankreich

Kenner schnalzen bei der Erwähnung dieses Weinguts mit der Zunge. Denn hier, nur 40 Kilometer von Bordeaux, mitten im Sauternes-Gebiet und in direkter Nachbarschaft zum – geben wir es ruhig zu – noch etwas berühmteren Château d’Yquem, gedeiht einer der bedeutendsten Süssweine der Welt. Sein Rang ist seit fast 170 Jahren sozusagen amtlich.

Als Napoleon III. anlässlich der Pariser Weltausstellung 1855 den Auftrag erteilte, «eine vollständige Liste der klassifizierten Bordeaux-Rotweine sowie unserer grossen Weissweine» zu erstellen, wurde der aus 95 Prozent Sémillon, vier Prozent Sauvignon Blanc und einem Prozent Muscadelle komponierte Tropfen des Château Lafaurie-Peyraguey als Sauternes Premier Grand Cru Classé eingeordnet. Feiner geht es nicht.

Das bilderbuchschöne Schloss selbst ist deutlich älter. Die Türme der ursprünglichen Wehranlage stammen noch aus dem 13. Jahrhundert, in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts hat sie ein Sieur Raymond Peyraguey zum repräsentativen Ansitz ausgebaut. Zeitgleich, 1618, pflanzte er die ersten Reben. Seit ziemlich genau sechs Jahren steht das Château nun als Hotel und Restaurant auf dem Prüfstand, auf dem es sich nur nach den höchsten Kriterien messen lassen will.

2014 hatte das Elsässer Kristallhaus Lalique das Schloss übernommen und vier Jahre später mit nur 13 Zimmern und Suiten und einem von dem Tessiner Stararchitekten Mario Botta entworfenen Restaurant als kleines Hotel mit höchsten Ambitionen eröffnet – eine Premiere. Denn damit war das Château Lafaurie-Peyraguey das erste Premier-Cru-Weingut, das seine Türen für zahlende Übernachtungsgäste öffnete.

Das Interieur prägt die nach wie vor im Elsass produzierende Glasmanufaktur deutlich mit. Sie verortet die schmucke Herberge mit grosszügig eingesetzten Designelementen irgendwo zwischen der Belle Époque und den Roaring Twenties, der Ära also, in der René Lalique besondere Automobile mit seinen kristallenen Kühlerfiguren veredelte. Für die Gestaltung verantwortlich waren Milliardärsgattin Tina Green und Pietro Mingarelli aus Monaco, die schon die Maison-Kollektion von Lalique verantworten durften. «Ich habe versucht, mir vorzustellen, wie René Lalique für dieses Jahrtausend entwerfen würde, und dies in etwas zu interpretieren, das für den heutigen Lebensstil funktioniert», erläuterte Green ihr Vorgehen der «New York Times». Herauskamen etwa wertvoll gerippte Armaturen in den Marmorbädern. Die natürlich auch mit Objekten von Lalique ausgestattet sind.

Auch das kulinarische Niveau funkelt. Jérôme Schilling, der sich zuvor unter Dreisternekoch Jean-Georges Klein als Chef exécutif in der Villa René Lalique im elsässischen Wingen-sur-Moder den letzten Schliff geholt hatte, darf sich in seinem 40-Gedecke-Reich mittlerweile selbst mit zwei Michelin-Sternen schmücken. Mehr noch, seit zwei Jahren trägt er den Titel eines «Meilleur Ouvrier de France», den die Grand Nation an Personen vergibt, die in ihrem Handwerk herausragen. Wer eines seiner Fünf-Gang-Menus probiert, die, ganz auf Sauternes abgestimmt, mit diesem Wein auch experimentieren und Traubenmost, Weintrub oder Rebschösslinge einsetzen, möchte die Auszeichnung gleich ein zweites Mal vergeben.

Dazu passt an langen Sommerabenden der Blick aus den bodentiefen Glasfenstern hinaus zu den in das Licht des Sonnenuntergangs getauchten Weinbergen, der Inspirationsquelle. Rund 2600 verschiedene Etiketten (darunter auch ein extrem rares Eigengewächs aus dem Jahr 1893) versammelt die beispiellose Weinkarte; in den Kellern des Château lagern 350 000 Flaschen. Glücklicher könnte sich auch Bacchus nicht in eines der Betten des «Relais & Châteaux»-Hauses fallen lassen – und beim Aufwachen die endlosen Reben im Blick haben.

3. Grand Hotel Son Net, Spanien

Als die ersten Herren von Son Net vor 350 Jahren das Haus errichteten, dachten sie noch nicht an Wein. Die Hanglage wäre zwar ideal gewesen, die Südlage auch, ebenso wie die Nähe zu den respektgebietenden Felswänden der Tramuntana, die tagsüber die Wärme speichern, die sie nächtens abstrahlen können.

Doch die Wohlgeborenen der Familie Net wollten mit ihrem Son («grosses Haus»), dessen Architektur mit seiner asymmetrischen, von einer dreibogigen Loggia aufgelockerten Fassade und dem grossen, baumbestandenen Innenhof mehr an italienische Landsitze aus der Renaissance als an einen spanischen Palaçio erinnert, vor allem beeindrucken. Wuchernde Reben statt einer repräsentativen Parkanlage passten da vermutlich nicht in den Plan.

Erst dem Vorbesitzer der jetzigen Eigentümer gefiel es, den etwa einen Hektar grossen, von der herrschaftlichen Auffahrt umrahmten Hang vor der Ostseite des Castillo mit Reben zu bepflanzen. Das war vor acht Jahren. Ein ernsthaftes Projekt wurde der Weinberg aber erst in den letzten Jahren.

2020 hatte Javier López Granados, Besitzer der von seiner Gästeschar umschwärmten Finca Cortesin oberhalb von Málaga, die Regie über die famose Finca in beispielloser Lage übernommen und eine gross angelegte Reinkarnation des alten Herrenhauses in Auftrag gegeben. Die Gestaltung übergab der Impresario an Lorenzo Castillo, Kunsthistoriker und -sammler aus Madrid und einer der begehrtesten Interior-Designer Spaniens.

Mit einem gekonnten Mix aus im gehobenen Handel erworbenen oder seiner eigenen Sammlung entnommenen, oft museumsreifen Antiquitäten übertrug Castillo seinen ganz persönlichen Erbstück-Maximalismus auf die öffentlichen Räumlichkeiten. Die mit hochflorigen Orientteppichen ausgelegten Böden und die reich gemusterten Wandbespannungen, auf denen sich barocke Portraits und Stadtlandschaften in blattgoldenen Rahmen verteilen, sagen der Ära des Minimalismus endgültig adieu. Das Ergebnis wirkt weniger wie eine Renovierung als vielmehr wie die leidenschaftliche Nachbildung eines Adelssitzes aus dem 17. Jahrhundert.

Für ein Grand Hotel ist Son Net eher klein, fast intim. Das liegt aber auch daran, dass die Betreiber den nur 31 Zimmern und Suiten ausgesprochen grosszügige Ausmasse gönnen. Auch hier ist die Ausstattung verschwenderisch: Die majestätischen Himmelbetten umgibt Castillo mit kostbaren Tapeten, üppigen Polstermöbeln und Vorhängen aus schweren Stoffen in den für ihn typischen Akkorden aus kräftigen und manchmal ziemlich mutigen Farben.

So thront der pinkfarbene Palaçio über dem leicht verschlafenen Puigpunyent, ein ursprüngliches Dorf, das, obwohl kaum 20 Autominuten von Palma entfernt, beinahe ein Dornröschendasein fristet. Im Hintergrund ragen der ikonische Puig de Galatzó und die anderen Gipfel der Tramuntana auf; um das Haus selbst gedeiht ein parkartiger Garten – und ein Weinberg, der auf maximal 2500 Flaschen pro Jahr angelegt ist und vom aus Mendoza, Argentinien, stammenden Önologen Leo Borsi betreut wird.

Es ist nicht der Ehrgeiz, hier einen Wein zu erzeugen, der zur Spitze der auf den Balearen hochgezogenen Gewächse aufschliesst. Aber tadellose Qualität abliefern, das will man schon. «Einen schönen, frischen, trockenen Weisswein aus der für Mallorca typischen Malvasia-Traube», gibt Managing Director René Zimmer vor. Ein Wein, der bei den Proben in stimmungsvollem Ambiente nicht spürbar hinter den begleitend angebotenen mallorquinischen Tropfen abfällt und den Besuchern, die eine Flasche mit dem eleganten Etikett in ihrer Suite als Geschenk vorfinden, Respekt abnötigt. Und der beim Lunch im «Gazebo», der zwanglosen, von Sonnenschirmen beschatteten Sommerterrasse auf der Westseite, die Speisenden beschwingt. Und abends im Fine-Dining-Restaurant Mar & Duix zu den Vorspeisen eine gute Figur macht.

Dieser Artikel ist im Rahmen der NZZaS-Verlags-Beilage «Reisen» erschienen.

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