Dienstag, April 22

Kennen Sie den Ausdruck «einem den Schlitten nachziehen»? Oder «Sunntigshääs»? Der Dokumentarfilm «Omegäng» erzählt von unseren Dialekten. Und macht deutlich, auf wie verschiedene Weise die Menschen schön reden können.

Der einstige amerikanische Botschafter der Schweiz, der von Barack Obama eingesetzte Vizegouverneur von Virginia, hatte unser Land sofort erfasst. Die Schweiz sei im Grunde wie Afghanistan, sagte Donald Beyer beim Interview. Auf die Frage, wie er darauf komme, antwortete er: «Beide Länder sind strategisch günstig gelegen, nicht so leicht zu erobern, abweisend gebirgig, schwer bewaffnet und in Clans zerteilt. Ausserdem versteht man kein Wort von dem, was die Leute sagen.»

Zu ergänzen wäre, dass auch die Schweizer ihre Frauen noch lange schlecht behandelten. Was unsere Clans angeht, hat sich Botschafter Beyer immerhin die Mühe genommen, alle 26 Kantone zu besuchen, das hat ausser ihm noch kein Amtskollege getan. «Ich fand es interessant», sagte er, «wie die Geografie die Geschichte prägte.»

«Velo» heisst das bei uns

Er hat recht. Zwar kann man die Berge besteigen und die meisten Dialekte verstehen lernen, wenigstens die Deutschen können es, während die Welschen und Tessiner verzweifeln, weil sie zwar Hochdeutsch gelernt haben, es ihnen aber nichts nützt.

Nur halten viele Deutsche schon unser Hochdeutsch für einen Dialekt. Was auch bestätigt, was wir selber wissen: dass es bei uns immer ein «weneli» holpert, stockt und hinkt, wenn wir Hochdeutsch reden. Weshalb Deutsche die Schweiz so wahrnehmen wie die Schweiz Liechtenstein: als Provinz.

Dabei ist unser schweizerisches Hochdeutsch schön, weil es eigen ist. Wir warten lieber auf dem Perron als auf dem Bahnsteig, weil der Zug nicht nach Frankfurt am Main fährt, sondern nach Genève an der Rhône über Biel/Bienne, Neuchâtel und Yverdon. Bei einer «Sosse» wird uns schon beim Lesen schlecht. Wir grillieren Cervelats und trinken dazu eine Stange.

Der brillante Germanist Peter von Matt liebt dieses schweizerische Hochdeutsch, wie er mir einmal sagte. Die sprudelnde Dialektwelle der letzten Jahrzehnte halte er für rhetorischen Kitsch, ohne deswegen die Schönheit der Dialekte abwerten zu wollen.

Kein Bahnhofbuffet Olten

Wenn wir schon dabei sind: Muss man um eine Vereinheitlichung der Dialekte fürchten? Seit Jahren hören wir, dass diese zu einem Tischgespräch am Bahnhofbuffet Olten vergrauen, zu einem Brei regredieren aus Teutonismen, englischen Managervokabeln und schlechten Lokalradio-Moderationen. Und dass es nicht mehr lange dauern wird, bis wir alle mehr oder weniger Zürichdeutsch miteinander reden, hueregopferdammisiech.

Wer das im Ernst glaubt, leidet erstens an einer Anti-Zürcher-Neurose. Und hat zweitens «Omegäng» nicht gesehen, den neuen Dokumentarfilm von Aldo Gugolz, bei dem man bis zu einem halben Dutzend verschiedene Erklärungen dafür bekommt, was der Filmtitel meint. Die wir nicht verraten, damit Sie ins Kino gehen.

Machen wir einen kurzen Sprachtest, hätten Sie das gewusst? «Einem den Schlitten nachziehen» heisst, ihm zu schmeicheln; der «Sunntigshääs» ist ein Anzug, und ein «Huotüener» ist einer, der nach Hause begleitet wird, vermutlich weil er zu betrunken ist zum Selberlaufen.

Was auffällt an diesem originellen Film: Die männliche, ländliche, ältliche, bärtige Schweiz dominiert. Womit sich die Ahnung bestätigt, dass die Dialekte mit den Menschen sterben, die sie noch reden. Auch jüngeren Schweizern wie dem Berner Komiker Bänz Friedli, einem Meister der Dialekte, fällt auf, dass die Sprachkompetenz abnimmt. «Selbst unser 24-jähriger, in Zürich geborener Sohn stellt bei Besuchen in Bern fest, dass sie das mit den drei Pluralen nicht mehr können», sagt er: «Zwe Manne, zwo Froue, zwöi Ching.»

Nun gehört Friedli der Generation der Nachkommenden an, die über Comedy, Rap, Hip-Hop, Slam und andere Formen der Sprachbeschleunigung zur Revitalisierung der Dialekte beigetragen hat. Hierher gehört, dass sich auch der Jugo-Slang als ein eigener Deutschschweizer Dialekt etabliert hat, denn erst was parodiert wird, ist wirklich angekommen.

Die Sprache ist ein Fluss

Als ich vor Jahren das Glück hatte, die Romanistin und Dialektforscherin Ruth Bietenhard kurz vor ihrem Tod zu treffen – die 95-Jährige wohnte mit ihrem Mann im Altersheim von Steffisburg –, wollte ich wissen: Wie würde sie auf Lieder von Züri West, Stiller Has, Kutti MC, Greis und andere reagieren? Sie reagierte mit Begeisterung auf das Vorgespielte, auf die Kreativität der Sprache, den Humor, das Vokabular, die Virtuosität der Metaphern, das Tempo.

Wir waren uns auch einig, dass die Sprache wie ein Fluss funktioniere, der sich den Weg zum Meer suche. Ein Wort wie das schwer erträgliche «ultimativ» sei so zu einem Dialektwort aufgestiegen, wie vieles andere, was wir von den Amerikanern übernommen haben, diesen brillanten Sprachimperialisten.

«Omegäng», der Film, lebt von dem Klang, dem Vokabular und der Musik der Dialekte. Das langt «vorig», wie wir Schweizer sagen, zumal der Film nicht leistet, was ihn so langweilig hätte machen können: Er ordnet nicht ein, sucht keine historische Tiefenschärfe, er funktioniert weder als Anamnese, Diagnose noch Prognose. Er macht nur deutlich, auf wie verschiedene Weise die Menschen schön reden können.

Um auf den Amerikaner in Bern zurückzukommen: Dass Donald Beyer, der ehemalige amerikanische Botschafter, ein Gehör für Sprachen hatte, könnte mit seinem Beruf zusammenhängen. Denn bevor er für die Demokratische Partei in die Politik ging und zuletzt als Botschafter in der Schweiz ankam, hatte er als Autogrossverkäufer gearbeitet. Was er in seinem Beruf gelernt habe, fragte man ihn, das er als Politiker dann gebraucht habe. «To listen», sagte er. «Zuelose.»

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