Samstag, November 23

Das Pilzsammeln boomt. Doch es fehlt an Stellen, um die Pilze kontrollieren zu lassen. Und ausgerechnet jetzt ist ein Gegenmittel nicht lieferbar.

Im Herbst machen sich viele Leute auf die Suche nach Pilzen. Pilzsammeln ist seit einigen Jahren im Trend. Doch Unkundige gehen dabei das Risiko ein, einen essbaren Pilz mit einem giftigen zu verwechseln. Im vergangenen Jahr haben sich laut der Stiftung Tox Info Suisse in der Schweiz 600 Personen durch Pilze vergiftet.

Tox Info Suisse und die Vereinigung amtlicher Pilzkontrollorgane der Schweiz raten, gesammelte Pilze bei Kontrollstellen überprüfen zu lassen. Das Problem: In vielen Regionen der Schweiz gibt es keine Kontrollstellen. Das erhöht das Risiko einer Vergiftung.

Der Aufwand ist zu hoch

Die Pilzsaison dauert vom Sommer bis ungefähr Ende November. Oder bis zum ersten Kälteeinbruch im Herbst. Während dieser Zeit können Pilzsammlerinnen und Pilzsammler ihre Ausbeute bei Kontrollstellen kostenlos oder gegen einen symbolischen Beitrag von bis zu 10 Franken vorbeibringen. Meistens sind die Kontrollstellen am Wochenende für ein paar Stunden geöffnet. Die Pilzkontrollen finden je nach Ortschaft in von der Gemeinde zur Verfügung gestellten Räumen, Vereinslokalen oder bei Pilzkontrolleuren zu Hause statt. Dort kontrollieren und wägen Expertinnen und Experten die Pilze, giftige oder nicht identifizierbare halten sie zurück.

Maria Neuhäusler ist Kursleiterin und Co-Präsidentin bei der Vereinigung amtlicher Pilzkontrollorgane der Schweiz. Die meisten Vergiftungen passierten, weil Pilzsammler ihr Wissen überschätzten, sagt sie. Bücher und Apps reichten nicht aus. Die Identifikation der Pilze sei anspruchsvoll. Neuhäusler sagt: «Viele Pilze sehen sich zum Verwechseln ähnlich.»

So sieht zum Beispiel der Grüne Knollenblätterpilz, der bekannteste und gefährlichste Giftpilz der Schweiz, aus wie ein Champignon. Und landet deshalb besonders häufig in den Körben der Sammlerinnen und Sammler.

Der Aufwand, um solche Kontrollstellen zu betreiben, ist laut der Pilzexpertin Neuhäusler immens: Ausbildung und das À-jour-Halten des Wissens könnten nicht mit der Entlöhnung gedeckt werden, die man für die paar Stunden Arbeit erhalte, sagt sie. Pilzkontrolleur sei man nebenberuflich. In der Regel sind Pilzexperten von den Gemeinden oder den Städten angestellt. In einigen Kantonen findet man private Kontrollstellen. Meist dort, wo es keine staatlichen mehr gibt.

Die Zahl der Stellen variiert von Kanton zu Kanton stark. In den Kantonen Zürich, Aargau oder in beiden Basel gibt es mehrere. In Uri oder in den Kantonen Nid- und Obwalden gibt es keine.

In der Schweiz existieren insgesamt 180 Pilzkontrollstellen. Es werden immer weniger. In den vergangenen zehn Jahren wurden 30 Pilzkontrollstellen geschlossen, aber nur 3 neu eröffnet. Meistens auf private Initiative, sagt Neuhäusler. Dabei gebe es genug Pilzkontrolleure, die ihr Wissen gerne anwenden würden, aber zu wenig bezahlte Stellen. Gemäss Neuhäusler werden in der Deutschschweiz 25 bis 30 Expertinnen und Experten pro Jahr ausgebildet, in der Romandie und im Tessin noch 5 bis 10 weitere. An den Kursen nähmen Handwerker, Bauern, Hochschulprofessoren teil.

Bis 1992 galt eine Pilzkontrollpflicht für Kantone. Jeder Kanton war dafür verantwortlich, Kontrollstellen zu finanzieren. Als der Bund diese Pflicht aufhob, delegierten viele Kantone die Sache an die Gemeinden. Mittlerweile haben einige Kantone oder Gemeinden ihre Kontrollstellen aus finanziellen Gründen geschlossen. Das sei eine kurzsichtige Überlegung, sagt Neuhäusler: «Wenn jemand mit einer Pilzvergiftung ins Spital eingeliefert wird, trägt am Schluss der Kanton die Kosten.»

Vergangenes Jahr wurden laut Statistik der Vereinigung amtlicher Pilzkontrollorgane in der Schweiz 17 650 Pilzkontrollen durchgeführt. Bei 2195 dieser Kontrollen fanden die Experten giftige Pilze, 253 Mal sogar tödlich giftige.

Gegenmittel kann erst nach der Pilzsaison geliefert werden

Neben den Kontrollstellen können Pilzsammler auch die Stiftung Tox Info Suisse konsultieren, die offizielle Informationsstelle der Schweiz für Fragen rund um Vergiftungen. Unter der Nummer 145 ist Tox Info Suisse, ähnlich wie andere Notrufzentralen, Tag und Nacht erreichbar. Die meisten Anfragen beträfen mögliche Vergiftungen durch Knollenblätterpilze, heisst es in einer Mitteilung der Stiftung.

Neben dem Grünen Knollenblätterpilz findet man in Schweizer Wäldern auch den Kegelhütigen und den Frühlings-Knollenblätterpilz, den Gift-Häubling, Gift-Schirmlinge, den Orangefuchsigen und den Spitzgebuckelten Raukopf – allesamt tödlich giftige Pilze.

Der Kegelhütige Knollenblätterpilz wird auch Spitzhütiger Knollenblätterpilz genannt und ist ähnlich wie seine Verwandten tödlich giftig.

Tarabalu / Imago

Wer versehentlich einen Knollenblätterpilz isst, kann ohne Behandlung daran sterben. Der im Pilz enthaltene Wirkstoff Amatoxin führt im schlimmsten Fall zu Leberversagen. Die Stiftung Tox Info Suisse hat im vergangenen Jahr drei Vergiftungen mit dem Gift des Knollenblätterpilzes registriert. Alle Vergifteten überlebten. Seit 1998 sind in der Schweiz vier Fälle mit tödlichen Pilzvergiftungen registriert worden. Alle Fälle ereigneten sich vor 2010.

Für die Vergiftung durch Knollenblätterpilze existiert ein Gegenmittel. Das aus der Mariendistel gewonnene Gegengift Silibinin kann die Aufnahme des Pilzgiftes in die Leberzellen verhindern und so Leben retten.

Doch es gibt ein Problem. Das Gegenmittel ist laut Tox Info Suisse derzeit bis mindestens Mitte November wegen Engpässen nicht lieferbar, in der Schweiz ebenso wie im Ausland. Und alternative Behandlungsmöglichkeiten seien beschränkt.

Sammelverbot und Schonzeit

Im Kanton Zürich ist das Sammeln von Pilzen in der Schonzeit vom 1. bis 10. Tag des Monats nicht erlaubt. Diese Sperrfrist dient dem Schutz der Pilze. Es gilt zudem immer eine Sammelbeschränkung von 1 Kilo pro Tag und Person.

Die Regelungen betreffend Schonzeit und Sammelbeschränkungen variieren von Kanton zu Kanton. Die Bestimmungen können auf der Website der Vereinigung amtlicher Pilzkontrollorgane der Schweiz gefunden werden.

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