Samstag, März 15

Phytopharmaka helfen bei den unterschiedlichsten Beschwerden. Das ist unbestritten, aber wie wirken sie genau? Wir stellen beliebte Heilpflanzen vor und erklären, was Forscher über sie herausgefunden haben.

Viele Pflanzen können heilen, Schmerzen lindern oder das gesundheitliche Wohlbefinden steigern. Dafür gibt es zahlreiche Beispiele, die wissenschaftlich gut belegt sind. Zum Teil kann man die gewünschte Wirkung auf einen oder wenige Inhaltsstoffe zurückführen. Das Schmerzmittel Morphin etwa ist ein solcher pflanzlicher Wirkstoff und kann aus dem Milchsaft des Schlafmohns gewonnen werden.

In vielen anderen in der Apotheke angebotenen Produkten aber wird das gesamte pflanzliche Extrakt, also ein Wirkstoffgemisch, zur Behandlung eingesetzt. Die Hersteller lösen dafür die Inhaltsstoffe der Pflanze heraus, indem sie Blätter oder Wurzeln zum Beispiel in Alkohol einlegen. Das Ergebnis ist ein Vielstoffgemisch, das in verschiedenen Formen verabreicht werden kann, etwa als Kapseln. Solche pflanzlichen Arzneimittel sind als Phytopharmaka bekannt.

«Oft ist nicht nur eine einzige Substanz aus der Pflanze für die Wirkung verantwortlich», erklärt Robin Teufel, Professor für pharmazeutische Biologie an der Universität Basel. Die Kombination macht den Unterschied: In vielen Fällen entfaltet sich die Wirkung nur durch die spezielle Zusammensetzung und das Zusammenspiel der Inhaltsstoffe – und der gewünschte Effekt tritt nicht ein, wenn man einzelne Stoffe isoliert und verabreicht.

Nicht immer ist es also möglich, eine Wirkung so klar einem Inhaltsstoff zuzuordnen, wie es beim Morphin der Fall ist. «Die komplexen Vielstoffgemische und ihre genauen Wirkweisen auch nur ansatzweise zu verstehen, ist mühsame Arbeit und bedeutet oftmals jahrzehntelange Forschung», sagt Robin Teufel.

Pflanzliche Arzneimittel sind also kein Hokuspokus, und in vielen Fällen sind sie durch wissenschaftliche Studien bereits gut untersucht. «Pflanzliche Arzneimittel sind nicht zu verwechseln mit Homöopathika», sagt Robin Teufel. «Phytopharmaka enthalten so viele Inhaltsstoffe, dass eine Wirkung zu erwarten ist.»

Die Forschung läuft weiter. Wir stellen fünf Pflanzen vor, die zu Arzneimitteln verarbeitet werden und erwiesenermassen wirksam sind – und wir zeigen, was Wissenschafter bereits über die Wirkmechanismen in Erfahrung gebracht haben.

Mit dem Extrakt des roten Weinlaubs gegen Venenleiden

Schwere Beine, Krampfadern, geschwollene Knöchel: Eine Venenschwäche mit diesen typischen Auswirkungen entsteht zum Beispiel durch zu viel Stehen oder Sitzen. Die Venen in den Beinen können das Blut nur noch schwer zum Herzen transportieren. Das Blut staut sich – und damit steigt der Druck auf das Endothel, eine dünne Zellschicht, die wie eine Tapete das Innere der Blutgefässe auskleidet. Dieser Druck führt zu Entzündungsreaktionen. Und die wiederum bewirken mit der Zeit, dass das Endothel zusammenbricht. Nun kann Flüssigkeit ins umliegende Gewebe ausströmen, die sich dort ansammelt. Es bilden sich sogenannte Ödeme, das Bein schwillt an.

Wer an solch einer chronischen venösen Insuffizienz leidet, erhält in der Apotheke zum Beispiel Tabletten mit dem Extrakt des roten Weinlaubs. Und das hilft tatsächlich bei Venenleiden, wie Studien gezeigt haben. Wie kann das sein? Die roten Blätter der Weinrebe enthalten unter anderem sogenannte Flavonoide. Sie geben dem Blatt seine charakteristische rote Farbe, schützen die Pflanze vor schädlichen Einflüssen – und haben auch im menschlichen Körper positive Auswirkungen.

Noch ist nicht vollständig geklärt, wie die Pflanzenstoffe Menschen mit Venenleiden helfen. Eine Laborstudie liefert erste Hinweise. Sie hat gezeigt, dass die Flavonoide des roten Weinlaubs die Barriere im Inneren der Blutgefässe schützen können. Der Forscher Robin Teufel erklärt: «Die Flavonoide reagieren mit den Molekülen, die die Entzündungen auslösen. Dadurch hindern sie diese Moleküle vermutlich daran, mit dem Gewebe zu reagieren, und verhindern damit auch die Entzündungsreaktion.»

Ingwer hilft gegen Reiseübelkeit

Wunderknolle, Allroundtalent, Superfood: Ingwer hat ein rundum positives Image und wird gern als Helferlein bei den unterschiedlichsten gesundheitlichen Problemen angepriesen. Wissenschaftlich erwiesen ist: Ingwer hilft bei Reiseübelkeit. Forscher gehen davon aus, dass Inhaltsstoffe aus der Knolle – etwa der Scharfmacher Gingerol – an bestimmte Serotoninrezeptoren im Darm andocken. Diese Rezeptoren lösen im Gehirn das flaue Gefühl und den Brechreiz aus. Werden sie von den Inhaltsstoffen des Ingwers besetzt, hemmt das die Übelkeit.

Robin Teufel sagt: «Ingwer hat eine vergleichbare Wirkung bei Reiseübelkeit wie synthetische Medikamente.» Als pflanzliche Alternative gibt es Ingwer in Kapselform. Doch man kann laut Teufel auch direkt die Knolle essen, zum Beispiel als Zutat in einer Mahlzeit oder in Form von Stäbchen, die mit Zucker ummantelt sind. Die Zuckerform ist nicht die gesündeste Variante, aber dennoch wirkungsvoll. «Ein bis zwei Gramm Ingwer vor der Reise genügen, um die Übelkeit abzuschwächen», sagt der Forscher.

Myrrhe beruhigt Darmentzündungen

Myrrhe wurde schon vor 3000 Jahren als Salböl und Mittel gegen Darmleiden eingesetzt. Die Wirkstoffe der Myrrhe sind im Harz enthalten, das aus dem in Nordafrika und im arabischen Raum heimischen Myrrhenstrauch gewonnen wird. In der modernen Medizin wird es unter anderem zur Beruhigung des Darms bei chronisch-entzündlichen Erkrankungen verwendet. Das Harz greift hier nämlich gleich in mehrere molekulare Prozesse positiv ein.

So interagiert Myrrhe mit dem Immunsystem und mindert die Produktion von diversen Molekülen, die alle eine lokale Entzündung anheizen. Das Harz hilft zum Beispiel bei der Darmerkrankung Colitis ulcerosa die Endlosschleife zu durchbrechen von Entzündung, Gewebeschäden, dadurch hervorgerufener erneuter Entzündung und so weiter.

Zudem stabilisiert Myrrhe direkt die Zellen der Darmschleimhaut. Diese werden durch die ständigen Entzündungen löchrig und gehen zugrunde. Das Harz stoppt den Zelltod. Es neutralisiert einen Entzündungsfaktor, der die Zellen in den Selbstmord treibt. Und es sorgt dafür, dass die Zellen wieder besser aneinanderhaften. Somit können weniger schädliche Substanzen aus dem Darm in den Körper gelangen.

Thymian als Schleimlöser und Entzündungshemmer

Das in den Blättern der Thymianpflanze enthaltene Thymianöl ist ein Paradebeispiel dafür, dass pflanzliche Arzneimittel erst durch die Kombination mehrerer Wirkstoffe heilende Effekte haben. Bei Erkältungen laufen die ätherischen Öle Thymol und Carvacrol zusammen zu grosser Form auf.

Thymol bindet an Rezeptoren auf Zellen in den Bronchien. Sitzt Thymol dort, wird weniger dicker Schleim produziert. Das minimiert den Husten. Zudem kann Thymol die Menge an manchen Bakterien und Viren reduzieren. Das erleichtert den Killerzellen des Immunsystems die Arbeit.

Carvacrol greift in eine Vielzahl von entzündlichen Prozessen in der Zelle ein. Es hemmt die Produktion mehrere Moleküle, die Entzündungen verursachen und anheizen. Zudem stoppt es die Produktion von Substanzen, die Schmerz auslösen. Hier agiert Carvacrol übrigens auf genau demselben Weg wie die klassischen Schmerzmittel Aspirin oder Ibuprofen.

Weissdorn bei Herzbeschwerden

Seit Ende des 19. Jahrhunderts wird Weissdornextrakt als Medikament bei Herzerkrankungen eingesetzt. Studien haben gezeigt, dass das pflanzliche Arzneimittel Menschen mit leichter Herzschwäche tatsächlich helfen kann. Zum Beispiel werden sie körperlich belastbarer. Natürlich sollten Betroffene ihre Beschwerden zunächst von einem Arzt abklären lassen. In einigen Fällen ist eine Behandlung mit Weissdorn sinnvoll, teilweise in Kombination mit anderen Medikamenten.

Forscher haben zum Beispiel beobachtet, dass Weissdornextrakt bei Menschen mit Herzschwäche die Schlagkraft des Herzens steigern kann. Das gelingt offenbar vor allem mithilfe sogenannter Procyanidine aus dem Weissdornextrakt. Sie hemmen gemäss den bisherigen Erkenntnissen ein bestimmtes Protein. Damit setzen sie eine Kaskade in Gang, die den Kalziumgehalt in den Herzmuskelzellen erhöht. Und dadurch kann das Herz stärker pumpen.

Zudem hilft Weissdornextrakt Menschen mit Herzschwäche noch auf eine ganz andere Weise. Es entspannt und weitet die oftmals verengten Herzkranzgefässe der Betroffenen, wodurch das Blut leichter fliessen kann. Dafür werden die sogenannten Flavonoide verantwortlich gemacht. Diese Pflanzenstoffe erhöhen gemäss Forschung die Produktion von Stickstoffmonoxid, das zur Entspannung der Gefässe beiträgt. Flavonoide bekämpfen zudem freie Radikale im Körper, die Zellen angreifen und dadurch schädigen können. Auch mit dieser antioxidativen Wirkung schützen sie die Herzgesundheit.

Die Wirkung belegen mit klinischen Studien

Pflanzliche Arzneimittel sind in Apotheken beliebte Mittel gegen allerlei Beschwerden. Und immer mehr Hersteller bemühen sich darum, klinische Studien durchzuführen. Die sind zwar teuer und dauern Jahre. Doch sie sind wichtig. Denn nur dann haben die Hersteller handfeste Beweise, um die Wirkung ihrer Mittel auch sauber zu belegen.

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