Freitag, Oktober 18

Der Benetton-Gründer tritt ab und überlässt den Nachfahren eine verblasste Modemarke mit zerrütteten Bilanzen. Nach mehreren gescheiterten Sanierungsversuchen soll nun der Manager Claudio Sforza das Unternehmen retten.

Luciano Benetton, der Gründer einer der reichsten und berühmtesten Industriellendynastien Italiens, war sich auch mit 84 Jahren nicht zu schade, für sein buntes Mode-Imperium Werbung zu machen. Der alte Herr mit schneeweissem Lockenkopf lacht an der Seite der 18-jährigen Sudanesin Ayak Mading in die Kamera.

Beide tragen Jeans und den gleichen roten Strickpulli von United Colors of Benetton. Die Botschaft der Anzeige ist klar: Im Mittelmeer ertrinken Menschen wie Ayak zu Tausenden auf der Flucht aus Afrika. Gleichzeitig meldete sich Luciano Benetton aus dem Ruhestand zurück: Schaut her, ich bin wieder da!

Verluste verheimlicht

Das liegt nun fünf Jahre zurück. In dieser Woche nahm das Comeback des unkonventionellen Unternehmers abrupt ein Ende. Benetton zog sich endgültig aus dem Textilkonzern zurück, den er 1965 mit seinen drei jüngeren Geschwistern gegründet hatte. Am Dienstag fand in der Villa Minelli, dem freskengeschmückten Hauptquartier des Unternehmens in der Nähe von Treviso, die letzte Verwaltungsratssitzung unter seiner Führung statt.

Benetton ging nicht auf Zehenspitzen. Es war der geräuschvolle Abgang eines legendären Selfmademans, der einst die Modebranche revolutioniert hatte. In einem Interview mit der Mailänder Zeitung «Corriere della Sera» hatte er seinen Schritt zuvor angekündigt: «Ich bin betrogen worden», sagte der 89-Jährige. Das Management habe ihm hohe Verluste verheimlicht. Es sei im vergangenen Herbst plötzlich ein Bilanzloch von 100 Millionen Euro aufgetaucht.

Der Erfinder von United Colors of Benetton gab nun eine bittere Abschiedsvorstellung. 230 Millionen Euro Verluste weist die Bilanz für das Jahr 2023 aus. Der Umsatz betrug knapp 1,1 Milliarden Euro, nur halb so viel wie noch vor einem Jahrzehnt. Eigentlich hatte Massimo Renon, der seit 2020 Chef der kriselnden Benetton Group ist, für 2023 die Rückkehr zu schwarzen Zahlen angekündigt.

Bis zum vergangenen Oktober schien in der Villa Minelli alles nach Plan zu laufen. Erst danach «explodierte eine Bombe», erzählte Luciano Benetton im Zeitungsinterview. Er fügte hinzu: «Es ist ein Schock, der uns den Atem verschlägt.» Kurz vor dem 60-Jahr-Jubiläum seines Unternehmens schmiss er nun hin. Für die Unternehmerfamilie aus dem Veneto ist es eine Zäsur. Denn Luciano war der letzte Benetton, der noch an der Konzernspitze vertreten war.

Tabula rasa

Nun steht dem Modeunternehmen eine Tabula rasa bevor. An der Hauptversammlung am 18. Juni wird die Familienholding Edizione Holding einen komplett neuen Verwaltungsrat einsetzen. Als neuen Benetton-Chef heuerte die Familie den erfahrenen Finanzspezialisten Claudio Sforza an, der auf eine lange Karriere in verschiedenen Branchen zurückblickt.

Sforza ist bereits in Treviso und bereitet sich auf seine Sanierungsaufgabe vor. Nach dem Abtritt von Luciano Benetton übernimmt jetzt die zweite Generation das Kommando. Angeführt wird sie von Lucianos Sohn Alessandro, dem Präsidenten der Edizione Holding. Die Nachfahren werden sich jedoch auf ihre Rolle als Aktionäre beschränken.

Es ist nicht der erste Versuch, die sagenhafte Erfolgsgeschichte von Benetton neu zu beleben. Zum letzten Mal einen Gewinn erzielt hat Benetton im Jahr 2012. «Seither übersteigen die Verluste eine Milliarde Euro», sagt Gianni Boato, Generalsekretär der Textilgewerkschaft Femca Cisl aus Treviso. Es sei immer «Signor Luciano» gewesen, der für den Ausgleich der Schulden gesorgt habe.

«Er hat nie zugelassen, dass die Kosten der Krise auf die Arbeitnehmer abgewälzt werden», sagt der Gewerkschafter. In Treviso sei die Wertschätzung der 1300 Beschäftigten Luciano gegenüber sehr gross gewesen. In den vergangenen drei Jahren hat die Edizione Holding 360 Millionen Euro in die marode Modesparte investiert. Nun sollen weitere 260 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden. Benetton verfügt über 4000 Läden in 120 Ländern.

Schnell, bunt, unkonventionell

Benettons spektakulärer Aufstieg wurde einst an den renommiertesten Business-Hochschulen der Welt studiert. Vier Halbwaisen hatten sich unter der Führung von Luciano mit ihrem Unternehmergeist in den Jahren des italienischen Wirtschaftswunders aus bitterer Armut befreit. Benetton war bunt, schnell, unkonventionell und lange Zeit sehr innovativ. Mit ihrer streitbaren Werbung, anstössigen Fotos und aufrüttelnden Botschaften erregten die Italiener weltweit Aufsehen. Empörung, Zensur und Boykottaufrufe waren die Folge. Doch die Provokation durch schockierende Motive funktionierte.

Ende der 1990er Jahre geriet der Siegeszug ins Stocken. 2002 meldete Benetton nach 37 Jahren erstmals einen Umsatzrückgang. Die Marke verblasste und wurde mit der Zeit belanglos. Das einstige Trend-Label verlor Kunden, Farbe, Coolness. Doch dann kam die grosse Stunde von Gilberto Benetton, dem dritten der vier Geschwister. Er nutzte den Ausverkauf der italienischen Staatswirtschaft und schmiedete aus dem Modeunternehmen einen weit gespannten, internationalen Infrastrukturkonzern. Vom Nettovermögenswert der Familienholding Edizione entfallen heute nur noch 2 Prozent auf die Modesparte.

Der Abstieg der United Colors of Benetton ist wohl massgeblich auf die erschlaffte Erneuerungskraft der Marke in der schnelllebigen Modebranche zurückzuführen. Die Italiener wurden von neuen Fast-Fashion-Konkurrenten wie H & M oder Zara verdrängt, weil sie deren aggressiven Strategien nichts entgegenzusetzen hatten. Man verschlief die Internetrevolution und geriet im Online-Handel und in der digitalen Fashion-Kommunikation ins Hintertreffen.

Wie viele Modehersteller aus dem mittleren Segment verlagerte Benetton seine Produktion nach Asien, ohne die Preise zu reduzieren. Die Strategie erwies sich als besonders problematisch, als beim Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesh vor elf Jahren 1134 Menschen ums Leben kamen. Unter den 31 Modefirmen, die in Rana Plaza produzieren liessen, war auch Benetton.

Der neue Chef Sforza steht vor einer schwierigen Aufgabe. Ein Sanierungserfolg ist nach vielen Fehlversuchen nicht ausgemacht.

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