Mittwoch, Oktober 9

Ihr Einstieg in die klassische Musik war ausgerechnet das deutsche Kunstlied, inzwischen hat die gebürtige Ägypterin den Sprung auf führende Bühnen geschafft. Einfach war dieser Weg für Fatma Said nicht. Heute versteht sie sich als Vermittlerin zwischen den Kulturen.

An kaum einem anderen Ort neben der Londoner Wigmore Hall wird das klassische Kunstlied auf so hohem Niveau gepflegt wie bei der Schubertiade im vorarlbergischen Schwarzenberg und Hohenems. Während jeweils fünf Konzertperioden geben sich dort die Grossen dieser intimen Gesangskunst ein Stelldichein, viele seit Jahren, unter ihnen die Tenöre Ian Bostridge und Christoph Prégardien, die Sopranistinnen Christiane Karg und Julia Kleiter, die Baritone Christian Gerhaher und Matthias Goerne. Die Schubertiade ist aber auch ein Ort für Entdeckungen – der Schweizer Tenor Mauro Peter etwa hat hier als unbekannter Einspringer begonnen und ist zum Star und zum Stammgast geworden.

Dass sich das Festival im Bregenzerwald keine Sorgen um den Interpretennachwuchs machen muss, spricht für die Faszination, die das Kunstlied nach wie vor auf junge Sängerinnen und Sänger ausübt. Das gilt auch für solche, denen dieses Kulturgut nicht in die Wiege gelegt worden ist, für Sängerinnen wie die Sopranistinnen Fatma Said und Katharina Konradi. Beide stammen aus aussereuropäischen Ländern: Said ist Ägypterin, Konradi wurde als Nachkommin deutscher Siedler in Kirgistan geboren.

Die beiden Sängerinnen wurden in Deutschland ausgebildet, haben auf der Opernbühne wie im Konzertsaal früh Karriere gemacht, sie sind mit unkonventionellen CD-Projekten hervorgetreten – und beiden kann man seit einigen Jahren regelmässig bei der Schubertiade begegnen. Fatma Saids jüngstes Rezital dort bot nun Gelegenheit zu einem Gespräch. Es sei eine lange Reise gewesen von London, wo sie neben Berlin ihren Wohnsitz hat, in den Bregenzerwald, erzählt Siad. Doch ungleich länger war die innere Reise aus der arabischen Welt ihrer Kindheit und Jugend in die Zentren der westlichen Hochkultur.

Schritt in eine fremde Welt

Begonnen hat diese Reise damit, dass Fatma Said in Kairo ein deutsches Gymnasium besuchte, wo sie auch Französisch und Englisch lernte. Der Musiklehrer machte die Klasse mit deutschen Liedern vertraut, so wurde ihre Stimme entdeckt, nachdem sich ihre Musikalität schon im Klavierunterricht gezeigt hatte. Als Schülerin an einer deutschen Auslandschule konnte Said dann am Wettbewerb «Jugend musiziert» teilnehmen. Lehrer für klassischen Gesang gab es in Kairo allerdings kaum, doch sie hatte das Glück, eine ägyptische Sängerin zu finden, die in Hannover studiert hatte und ihre Grundausbildung übernahm. Gerade 18-jährig, zog sie nach dem Abitur 2009 nach Berlin und kam an die Hanns-Eisler-Hochschule für Musik.

Wie hat sie diesen Schritt in eine fremde Welt erlebt? Es sei, sagt sie, keine ganz fremde Welt gewesen: «Ich beherrschte ja die Sprache, und ich war in der Musik zu Hause. Viel einschneidender war die Trennung von meiner Familie. In Berlin war ich zum ersten Mal ganz auf mich allein gestellt, noch ohne Freunde, und hatte stets Angst, Fehler zu machen, mich falsch zu verhalten.» Mit den sich bald einstellenden Erfolgen wuchs dann aber ihr Selbstvertrauen. Und es waren Liedinterpretationen, mit denen sie zuerst auf sich aufmerksam machte.

Aus einem Konzert beim Bonner Schumannfest im Jahr 2013 resultierte ein Stipendium für das Opernstudio der Mailänder Scala, drei Jahre später debütierte sie an Italiens wichtigstem Opernhaus als Pamina in Mozarts «Zauberflöte». Dabei hatte sie vor ihrer Studienzeit nie eine Opernaufführung live gesehen. Doch Tanz, Bewegung, das Spiel auf der Bühne – das habe sie seit je fasziniert, schwärmt sie. Erst im Juni wurde Said in Luxemburg mit dem Europäischen Kulturpreis ausgezeichnet. Der Preis würdigt sowohl ihr künstlerisches Schaffen als auch ihr Engagement als Vermittlerin zwischen den Kulturen.

In Tönen und mit Worten

Gefragt, ob sie den Schwerpunkt ihres Wirkens heute eher in der Oper oder im Konzert sehe, antwortet sie ohne Zögern: «Den Schwerpunkt setzen die Menschen, mit denen ich musiziere, Duopartner, Kammermusikensembles. Leider gibt es im Opernbetrieb nur wenige Dirigenten, die so genau auf die Sänger hören, wie ich das mit meinen Partnern in der Kammermusik erlebe.» Was sie mit dieser Aussage meint, wird bei ihrem Konzert im Schwarzenberger Angelika-Kauffmann-Saal deutlich.

Mit dem Pianisten Malcolm Martineau und der Klarinettistin Sabine Meyer bildet sie in Werken von Franz Lachner, Friedrich Wilhelm von Kücken, Louis Spohr, Robert Schumann, Mozart und Schubert eine Gemeinschaft, die Vielstimmigkeit in vollkommenem Einklang pflegt. Dabei fällt auf, wie Fatma Said vom ersten Moment an, noch bevor ihre Stimme einsetzt, ganz in der Musik aufgeht und ihren Partnern auch dann, wenn sie pausiert, nicht bloss zuhört, sondern mit ihnen zu atmen scheint.

Bei der Schubertiade läuft das Konzertritual im traditionellen Rahmen ab, doch Fatma Said gehört zu jener Musikergeneration, die sich an gegebenem Ort nicht scheut, auch das Wort an das Publikum zu richten. Das Musikleben habe sich verändert, so erklärt sie, man könne bei den Konzertbesuchern nicht mehr so viel Vorwissen voraussetzen wie einst und vielleicht mitbedingt durch ihre Herkunft fühle sie sich freier, ihre Programme und Ideen manchmal kommentierend zu vermitteln.

Wohl am besten fassbar wird Fatma Saids Künstlerpersönlichkeit in ihren CD-Alben. Das zweite trägt den Titel «Kaleidoscope» und bringt – wie das gleichnamige optische Gerät – Stücke aus verschiedensten Genres, Oper, Operette, Musical, Tango, Jazz, in reizvolle Konstellationen. Da offenbart sich die ganze Ausdrucks- und Farbpalette von Saids warm timbriertem, auch in höchsten Lagen leicht und drucklos ansprechendem Sopran, dazu ein eminentes Rhythmusgefühl, das hier voll zum Tragen kommt. Denn das Leitthema der Einspielung heisst Tanz: Tanz als Manifestation von Freiheitsdrang, von weiblicher Emanzipation.

Diesem Anliegen und generell den Menschenrechten widmet sich Fatma Said in ihrer arabischen Heimat inzwischen auch mit humanitären und pädagogischen Projekten. Der Brückenschlag zwischen Orient und Okzident, wie man das einst nannte, ist für diese Künstlerin zur Selbstverständlichkeit geworden.

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