Dienstag, März 25

Mario Irminger verantwortet den radikalen Abbau der Migros. Er spricht über Entlassungen, den Imageschaden – und er sagt erstmals, wie es um das Geschäft des Onlinehändlers Digitec Galaxus tatsächlich steht.

Herr Irminger, unter Ihrer Führung hat die Migros im vergangenen Jahr radikal aufgeräumt. Auf einer Skala von 1 bis 10 – wie erfolgreich war der Umbau aus Ihrer Sicht?

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Bei der Migros entscheidet kein Chef im Alleingang. Wenn ich dennoch eine Zahl nennen soll, würde ich den Umbau bei einer 6, vielleicht auch einer 7 einordnen.

Das ist nicht sehr hoch. Was hätte besser laufen können?

Eine solche Transformation ist immer schmerzhaft. Vor allem für die betroffenen Mitarbeitenden tut es uns leid.

Vor einem Jahr kündigten Sie das grösste Restrukturierungsprogramm in der Geschichte der Migros an. Wie viele Mitarbeiter haben seitdem ihren Job verloren?

Bisher haben wir ungefähr 1300 Stellen abgebaut. 500 Mitarbeiter konnten wir innerhalb der Migros weiterbeschäftigen, für 800 Personen gab es keine interne Lösung. Und dann gibt es die rund 6000 Stellen, die im Zuge der Verkäufe weggefallen sind. Diese Personen mussten ihren Arbeitgeber wechseln, konnten ihre Jobs jedoch behalten.

Wie haben Sie als Migros-Chef den Stellenabbau erlebt?

Auf strategischer Ebene haben wir das Richtige getan. Emotional war es für mich belastend. Ich kann nachvollziehen, was es bei Mitarbeitenden auslöst, wenn plötzlich ein neuer Eigentümer da ist. Das schafft Unsicherheit. Wir sind auch deshalb froh, dass der grosse Umbau bald abgeschlossen ist.

Die Kündigungen für Schwangere sorgten für Kritik. Sie sprachen von Einzelfällen, trotzdem passen sie schlecht zum Bild der sozialen Arbeitgeberin. Wie sehr hat das Image der Migros unter dem Sparkurs gelitten?

Der Stellenabbau hat Spuren hinterlassen. Gleichzeitig war es uns wichtig, ein ehrliches Bild zu vermitteln. Und es ist schlicht eine Tatsache, dass die Migros in einigen Bereichen Probleme hat, die wir angehen und lösen müssen.

Die Migros präsentiert heute Dienstag die Zahlen für das Geschäftsjahr. Der Gewinn ist gestiegen, allerdings müssen Sie 440 Millionen Franken abschreiben – nachdem es bereits im Vorjahr Abschreibungen in der Höhe von 500 Millionen Franken gegeben hat. Was ist da los?

Zuerst ist mir wichtig festzustellen: Wir haben sowohl das operative Ergebnis wie auch den Gewinn deutlich gesteigert. Damit bin ich zufrieden. Von den 440 Millionen entfallen 240 Millionen auf die abgestossenen Fachmärkte – für Standortschliessungen, Rückbaukosten in Logistik und IT sowie für die Anwendung des Sozialplans.

Und die anderen 200 Millionen?

110 Millionen entfallen auf weitere Portfolio-Entscheide, unter anderem die Schliessung der Zahnspangenfirma Bestsmile. Die restlichen 90 Millionen Franken stammen von der Genossenschaft Migros Zürich, vor allem von ihrer deutschen Supermarktkette Tegut.

Tegut ist Ihr grösstes Sorgenkind. Die Kette hat in den vergangenen Jahren Verluste im dreistelligen Millionenbereich gemacht. Hätte man die Läden nicht längst schliessen sollen?

Die Eigentümerin von Tegut ist die Genossenschaft Migros Zürich. Ich finde es richtig, dass sie es nun mit einer Sanierung versucht.

Mehr Gewinn trotz erneuten Abschreibungen

wej. Die Migros-Gruppe hat 2024 ihren Umsatz um 1,8 Prozent auf 32,5 Milliarden Franken erhöht. Das Jahr war von Umstrukturierungen geprägt, zahlreiche Geschäftsbereiche wurden verkauft oder geschlossen. Im Zuge dessen musste die Migros erneut eine Wertberichtigung vornehmen in Höhe von 440 Millionen Franken. Der Betriebsgewinn (Ebit) liegt dennoch höher, bei 484 Millionen Franken (Vorjahr: 286 Millionen Franken). Der Reingewinn lieg bei 419 Millionen Franken (Vorjahr: 175 Millionen Franken). Die Ebit-Marge, das zentrale Mass für die operative Ertragskraft, erreichte 1,5 Prozent. Die Migros Bank trug mit 282 Millionen Franken rund zwei Drittel zum Reingewinn bei und unterstreicht ihre Bedeutung für den Konzern. Mario Irminger ist der Präsident der Generaldirektion des Migros-Genossenschafts-Bunds.

Am Freitag ist Jörg Blunschi als Präsident der Migros Aare per sofort zurückgetreten. Er stand in der Kritik, weil er als Chef von Migros Zürich teure Zukäufe wie eben Tegut getätigt hatte und dann befördert wurde. Bedauern Sie seinen Rücktritt – oder haben Sie ihn ihm gar nahegelegt?

Für mich ist der Schritt nachvollziehbar. Es hilft der Migros in der Öffentlichkeit, wenn wir eine gute Unternehmensführung haben und eine solche Kombination von Funktionen nicht mehr vorkommt.

Getrennt hat sich die Migros dafür von sämtlichen Fachmärkten. Sie hat nicht für alle einen Käufer gefunden: Die Baumarktkette Do it + Garden müssen Sie schliessen, andere Fachmärkte wie Bike World wurden für einen symbolischen Franken verkauft. Haben Sie überhaupt für irgendetwas Geld erhalten?

Ja, aber wofür und wie viel genau, sagen wir nicht. Die Einnahmen fliessen ins laufende Geschäftsjahr. Nach heutigem Stand rechnen wir mit einem tiefen bis mittleren dreistelligen Millionenbetrag als Gewinn aus allen Verkäufen.

Im Supermarktgeschäft hat die Migros Marktanteile verloren. Um wieder wettbewerbsfähig zu werden, haben Sie im Herbst eine neue Strategie präsentiert. Dazu gehören neue Filialen und tiefere Preise. Wo stehen Sie da?

Bisher haben wir die Preise bei rund 550 Produkten gesenkt. Den Anfang machten Früchte und Gemüse. Dort sehen wir bereits einen Mengenzuwachs von 7 Prozent. Die nächsten Preissenkungen sind für Mai geplant. Ab dann möchten wir bei 1000 der relevantesten Produkte ein dauerhaft tiefes Preisniveau anbieten.

Laut einer NZZ-Analyse von Ende Februar hat die Migros zwar die Preise für Hunderte von Produkten gesenkt, gleichzeitig aber ebenso viele verteuert. Führen Sie die Konsumenten an der Nase herum?

Bei einem Sortiment von 40 000 Artikeln gibt es ständig Faktoren, die sich verändern. Etwa bei Rohstoffen oder Verpackungen. Das wirkt sich auf die Preise aus. Im Detailhandel ist das völlig normal.

Dann ist die Tiefpreisstrategie also nur ein cleverer Marketing-Gag?

Ganz und gar nicht. Wir investieren 500 Millionen Franken pro Jahr in tiefere Preise – und wir gleichen das nicht durch höhere Preise bei Kosmetik oder anderswo aus. Diese 500 Millionen fehlen uns effektiv in der Kasse. Im Supermarktgeschäft rechnen wir deshalb dieses Jahr mit einem deutlich tieferen Umsatz.

Aber Sie müssen doch zum Ziel haben, dass tiefere Preise zu einer höheren Nachfrage führen. Wann ist es so weit?

Die Tiefpreisstrategie ist keine Einzelmassnahme. Wir stärken auch den Fokus auf Eigenmarken und werden uns von Marken trennen, die für uns keinen Mehrwert bringen. Zudem bauen wir in den nächsten fünf Jahren 140 neue Filialen und modernisieren 350 bestehende. Bis wir unsere Ziele erreicht haben, wird es noch mehrere Jahre dauern.

Auch nach dem grossen Umbau bleibt die Migros ein schwerfälliges Unternehmen, das sich eine Zentrale sowie zehn Regionalgenossenschaften leistet. Können Sie uns drei Beispiele nennen, wo die Zusammenarbeit im vergangenen Jahr effizienter wurde?

Die wichtigsten Punkte sind die Warenbeschaffung, die Auffrischung der Filialen und der Ausbau des Ladennetzes. Im Zentrum unseres Kerngeschäfts steht die neue Supermarkt AG. Sie verantwortet eine nationale Warenstrategie für 85 Prozent des Sortiments. Die Genossenschaften steuern dann die regionalen und lokalen Produkte bei.

Und wie zeigt sich die neue Kooperation bei den Läden?

Heute weiss jede Region genau, wie viele Läden sie erneuern und um wie viele Geschäfte sie ihr Filialnetz erweitern wird. Das wird für die ganze Schweiz aus einer Hand geplant. Früher lief das unkoordiniert ab.

Trotzdem gibt es immer noch Doppelspurigkeiten, etwa in der Administration: Zehn Regionalgenossenschaften betreiben zehn Medienstellen, dazu kommt das Kommunikationsteam in der Zentrale. Ist das gewollt?

Das ist der Preis der föderalistischen Struktur der Migros. Ich bin trotzdem überzeugt, dass wir die Leistungen für unsere Kunden verbessern können. Aber es bedingt, dass wir optimal zusammenarbeiten. Das war in der Vergangenheit nicht immer so.

Haben Sie ein Beispiel, wie mehr Effizienz möglich wäre?

Die Migros Genf hat entschieden, die Salärbuchhaltung in das Servicecenter der Migros-Gruppe auszulagern. Solche Lösungen sind für mich der Weg, den wir gehen müssen.

Stark gewachsen ist Digitec Galaxus, die Onlinetochter der Migros, mit einem Plus von 17 Prozent. Verdienen Sie auch Geld damit?

Insgesamt schreiben wir mit der Digitec-Galaxus-Gruppe knapp schwarze Zahlen. Aber man muss unterscheiden: Der Schweizer Teil von Digitec Galaxus ist profitabel. Dort sind wir auf Kurs, um unser Ziel von 2 Prozent Betriebsgewinnmarge zu erreichen. Im internationalen Geschäft verdienen wir noch kein Geld. Ich bin aber zuversichtlich, dass sich das mit der Zeit ändert.

Was heisst das konkret?

In drei bis vier Jahren.

Langfristig können Sie doch gar nicht gegen die grossen internationalen Händler wie Amazon oder Temu bestehen.

Bis jetzt hat Digitec Galaxus bewiesen, dass das möglich ist. Die stolze Wachstumsrate setzt sich übrigens bis jetzt auch im laufenden Jahr fort. Das zeigt, dass sich im Non-Food-Handel die Kundenbedürfnisse fundamental ändern – und dass es richtig war, die Fachmärkte abzustossen.

Eine weitere grosse Hoffnung ist der Gesundheitsbereich. Ab wann verdient die Migros dort Geld?

2001 hat Medbase 1,3 Millionen Franken Umsatz gemacht. Heute sind es 1,3 Milliarden Franken. Das ist nur möglich, weil wir seit 2010 massiv investiert haben. Grossakquisitionen planen wir momentan keine mehr, sondern wir arbeiten daran, den Bereich nachhaltig zu gestalten. Mit unseren Medbase-Hausarzt-Zentren erbringen wir heute eine medizinische Grundversorgung in Gegenden, in denen Ärzte sonst fehlen würden. Der Bedarf an solchen Dienstleistungen wird künftig eher zunehmen.

Was erwartet die Migros im Jahr 2025? Müssen wir uns nach dem Abschreiber im laufenden Jahr nochmals auf eine böse Überraschung einstellen?

Nach heutigem Erkenntnisstand gehen wir nicht davon aus. Aber wir haben noch einiges an Arbeit vor uns. Die Herauslösung der abgestossenen Firmen aus der Gruppe braucht Zeit. Das beschäftigt uns enorm. Und in den Supermärkten müssen wir die gemeinsam erarbeitete Strategie erst noch umsetzen.

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