Freitag, Oktober 18

Roger Schawinski hat beim Bund eine Konzession für ein neues Radio in Glarus und Graubünden erstritten. Dort gibt es Widerstand. Es geht um Macht, Millionensubventionen und einen Radiopionier, der plötzlich seine Bündner Wurzeln entdeckt.

Bei der Ausfahrt Chur Süd lenkt Roger Schawinski den roten Tesla von der Autobahn, am Fenster zieht eine typische Gewerbe- und Industrielandschaft vorbei, Tankstellenshops, Burger King, Kentucky Fried Chicken. Gerade ist Schawinski bei einem seiner Lieblingsthemen, der Familie Lebrument, diesen Subventionskönigen, die ihn, den Radiopionier, aus ihrem Reich fernhalten wollten.

«Die haben Subventionen geerbt und dachten, es gehe ewig so weiter. Und jetzt komme ich», sagt er, um kurz darauf die Abzweigung zu seinem neuen Radiostudio an der Rheinfelsstrasse zu verpassen. Sein Kommentar: «Scheisse, ich habe zu viel geredet.» Schawinski ist 78, aber er versprüht die Energie eines Jungunternehmers, der eine neue Geschäftsidee lanciert: ein Radio für die Bergkantone Graubünden und Glarus, mit Nachrichten- und Diskussionssendungen im Stil von «Roger gegen Markus», eine Art alpines Pendant zu Schawinskis Radio 1.

Radio Alpin gewinnt, die Konkurrenz ist entsetzt

Sein neustes Projekt ist zwar nicht revolutionär wie der einstige Piratensender Radio 24, mit dem Schawinski 1979 vom italienischen Pizzo Groppera in die von der SRG beherrschte Schweiz sendete. Aber es sorgt zumindest in der Bündner Medienszene für ähnliches Entsetzen wie damals im eidgenössischen Establishment.

Am 11. Januar hat das Bundesamt für Kommunikation (Bakom) von Medienminister Albert Rösti (SVP) entschieden, die Radiokonzession für die Region Graubünden – Glarus nicht mehr an Radio Südostschweiz zu vergeben, das zum Somedia-Konzern der Familie Lebrument gehört. Stattdessen gab es Roger Schawinski und dessen Churer Geschäftspartner Stefan Bühler den Zuschlag für die Jahre 2025 bis 2034. Dies hauptsächlich, weil der geplante Sender Radio Alpin die Meinungsvielfalt mehr «bereichern» könne als das Radio aus dem Haus Somedia, das die meisten relevanten Bündner Medien kontrolliert.

Mit der Konzession verliert der Somedia-Konzern jährliche Subventionen von gegenwärtig fast 3,2 Millionen Franken. Künftig soll das Geld an Schawinski gehen. Seither sind Teile des Bündnerlandes in Aufruhr. «Es herrscht blankes Unverständnis», sagte der Somedia-Verwaltungsratspräsident Silvio Lebrument in einem Interview, hier gehe es um ein «fatales Signal für das Medienschaffen». Leserbriefschreiber empören sich in der Lokalpresse über den «Zürcher» Schawinski. In einer von Sportgrössen wie Renato Tosio unterzeichneten Petition wird der Bund aufgefordert, seinen Entscheid rückgängig zu machen. Die gleiche Forderung hat Somedia beim Bundesverwaltungsgericht erhoben.

Das Bistum Chur zeigt sich «besorgt»

Schon im Konzessionsverfahren versuchte Somedia mit allen Mitteln, den Konkurrenten aus Zürich abzuwehren. In den Stellungnahmen an das Bakom, die der NZZ vorliegen, verwies sie auf Schawinskis fortgeschrittenes Alter und warf ihm vor, er plane «ein Zürcher Radio für das Konzessionsgebiet Graubünden – Glarus». In der Praxis werde das nie funktionieren.

Gleichzeitig intervenierten auffällig viele Interessengruppen unaufgefordert beim Bund. Fast alle warben für Radio Südostschweiz, darunter die Bündner Kantonalbank, der Gastroverband, der Bauernverband, die Beton- und Kiesindustrie, das Wirtschaftsforum und das Bistum Chur. Dieses teilte Albert Röstis Departement mit, man verfolge das Konzessionsverfahren «mit grosser Besorgnis», weil die Zusammenarbeit mit Somedia so «nah und unkompliziert» sei. Der Bauernverband schrieb, das Radio müsse in «Bündner Händen» bleiben, denn es gehöre zum Kanton wie «unsere Alpen».

Für Roger Schawinski sind diese Ergebenheitsadressen an das Churer Medienhaus nur ein weiterer Beweis dafür, dass er im Bündnerland vielleicht zum letzten Mal seinen ewigen Kampf führt: er allein gegen einen übermächtigen Gegner. Seiner Ansicht nach hat Somedia unter der Führung der Familie Lebrument ein demokratiegefährdendes Monopol errichtet. «Ich war schon immer gegen Medienmonopole», ruft er aus, «ich habe das Radiomonopol gebrochen. Ich habe das Fernsehmonopol gebrochen. Jetzt breche ich das Bündner Monopol.»

Schawinski und Lebrument, die Rivalen

Die künftige Redaktion von Radio Alpin befindet sich in einem neuen Büro- und Geschäftskomplex mit verspiegelten Fenstern, rund zwanzig Mitarbeiter sollen hier mit der Arbeit beginnen, sobald das Bundesverwaltungsgericht den Radiostreit entschieden hat. Derzeit sind nur zwei Arbeitsplätze eingerichtet, der Rest des Raums ist leer. «Solange der Fall beim Bundesverwaltungsgericht liegt, haben wir keine Planungssicherheit», sagt Schawinski.

Im heutigen Streit geht es um mehr als ein Radio. Er ist die Folge einer Rivalität zwischen zwei prägenden Figuren der schweizerischen Medienbranche – und der Eigenheiten der staatlichen Medienförderung. Über Radio- und Fernsehgebühren alimentiert der Bund nicht nur die SRG, die jährlich rund 1,2 Milliarden Franken erhält. Er hält mittels Konzessionsvergaben auch eine Reihe von privaten Sendern am Leben, die allein kaum überlebensfähig wären.

Von diesem Geld profitieren vor allem Randregionen und Medienhäuser in wirtschaftlich schwächeren Gebieten. Profiteur von diesem System war in der südlichen Ostschweiz traditionell Somedia. Das Medienhaus betreibt neben dem Radio einen TV-Sender, der neben den 3,2 Millionen für das Radio weitere 4,9 Millionen Franken aus dem Subventionstopf des Bundes einbringt. Hinzu kommen mehrere Zeitungen, darunter die «Südostschweiz», das «Bündner Tagblatt» und kleine Regionalblätter, von der rätoromanischen «Quotidiana» bis zur «Linth-Zeitung». Ein Einflussgebiet, das von Südbünden über das St. Galler Oberland bis an den Zürichsee reicht.

«Le» oder der Aufstieg eines Verlegers

Geschaffen hat dieses Imperium der heute 82-jährige ehemalige Lehrer und Journalist Hanspeter Lebrument. Wie bei Roger Schawinski, der 1978 als Chefredaktor der Migros-Zeitung «Tat» entlassen wurde und danach auf die Idee eines Privatradios kam, beginnt Lebruments Aufstieg mit einer Niederlage. 1981 soll er das Ringier-Magazin «Die Woche» aufbauen, scheitert jedoch nach wenigen Monaten. Er zieht sich ins Bündnerland zurück, engagiert sich als Verleger, schaltet Konkurrenten aus und verschafft sich neben der SRG eine marktbeherrschende Stellung, wie die Wettbewerbskommission 2013 festhält.

Lebrument, genannt «Le», gilt bald als forscher Lobbyist und rhetorisch brillanter Meinungsmacher; ein humorvoller, wenn nötig rücksichtsloser regionaler Herrscher, mit dem es sich Behörden und Politiker nicht verderben wollen. «Vistas d’in victur» heisst eine Dokumentation, die das rätoromanische SRG-Programm RTR 2021 ausstrahlt, «Ansichten eines Siegers». Darin inszeniert sich Lebrument als finsterer Zeitungsfürst, der in einem schwarzen Mercedes durch seine Ländereien fährt, Figuren auf einem Schachbrett verschiebt und in St. Galler Dialekt murmelt: «Der ist jetzt matt.»

Geschäftlich ist die Familie Lebrument auch mit der Familie Blocher verbunden. Deren Ems-Chemie in Domat/Ems ist Mehrheitsaktionärin des «Bündner Tagblatts», das Somedia herausgibt. Hanspeter Lebrument hat sich 2021 als Somedia-Verwaltungsratspräsident zurückgezogen. Seit er erkrankt ist, führen seine Kinder Peter, Susanne und Silvio die Geschicke des Unternehmens.

Blochers Ems-Chemie attackiert Somedia

Geerbt haben sie nicht nur ein mehrsprachiges Medienreich, sondern auch eine alte Fehde zwischen Übervater «Le» und Roger Schawinski. Diese geht auf das Jahr 2007 zurück, als sich der Zürcher Unternehmer in mehreren Gebieten um eine Radiokonzession bewarb, auch in Graubünden. «Zuvor hatte ich keine Probleme mit ihm», erzählt Schawinski , «wir sind sogar einmal zusammen Ski gefahren.» Die Bewerbung habe Lebrument jedoch als Affront empfunden, als Angriff auf etwas, das ihm automatisch zustehe.

Es entbrannte ein von gegenseitigen Beschimpfungen begleiteter, jahrelanger Rechtsstreit, den Lebrument in der Hauptsache gewann. Doch der Eindruck, dass sein Konzern zu mächtig geworden sei, verfestigte sich. Wie viele Regionalzeitungen ohne direkte Konkurrenz gelten die Somedia-Zeitungen als behördennah, mit der Tendenz, brisante Geschichten zu verschlafen oder, wenn sie das eigene Haus betreffen, zu unterschlagen.

Kürzlich sorgte Somedia für Irritation, als sie eine Ombudsstelle für Beschwerden aus dem Publikum einrichtete – ein Posten, der normalerweise von unabhängigen Leuten besetzt wird. Bei Somedia besetzte man ihn mit Verwaltungsrätin Susanne Lebrument. Dieses mangelnde Gespür, vielleicht ist es auch ein Hang zur Selbstherrlichkeit, könnte Somedia im Machtkampf mit Schawinski geschadet haben. Die Regierung des Kantons Glarus etwa monierte im Konzessionsverfahren, Radio Südostschweiz sei im Kanton viel zu wenig präsent.

Die Ems-Chemie von SVP-Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher stellte sich gar explizit gegen ihren Geschäftspartner Somedia – und warf ihm in einem Schreiben an das Bakom vor, «unliebsame Themen» unzureichend abzuhandeln und «polemische Berichterstattung gegen Andersdenkende» zu betreiben. Das war wohl ebenfalls politische Polemik. Denn Magdalena Martullo hat gemäss Medienberichten öfters versucht, Einfluss auf die Somedia-Redaktion zu nehmen und sich als Interviewpartnerin zu empfehlen.

Wer ist der echtere Bündner?

Aber der Bruch zeigt, dass die einstigen Lobbyingkünste von «Le» bei Somedia fehlen. Seine Nachkommen wurden vom Entscheid des Bakom überrascht, wie Silvio Lebrument im Gespräch mit der NZZ einräumt. «Die Argumentation des Bundes kann ich nicht nachvollziehen», sagt er. «Wir haben eine starke Stellung, ja, aber doch keine Kontrolle über die Meinungsvielfalt.»

Schliesslich gebe es in der Region zahlreiche kleinere unabhängige Zeitungen wie die «Engadiner Post», dazu ein Regionaljournal der SRG und viele Online-Medien. Bis heute kann Lebrument nicht verstehen, weshalb Magdalena Martullo «uns als Bündner Unternehmerin nicht unterstützt». Vor allem versteht er nicht, weshalb jemand die Konzession bekommt, «der mit Graubünden eigentlich nichts zu tun hat». Ohnehin glaubt er, dass es Schawinski weniger um die Meinungsvielfalt als um die Gebührengelder gehe.

Schawinski bestreitet das vehement – und wirft Somedia seinerseits vor, Gebührengelder jahrelang für Quersubventionen verwendet zu haben, um ein «wasserdichtes» Monopol zu schaffen. Die Anti-Zürich-Reflexe, welche Schawinskis Gegner in der Bevölkerung zu wecken versuchen, kontert der Radiopionier mit einer eigenen PR-Geschichte: Er sei im Grunde der echtere Bündner als die Platzhirsche von Somedia.

«Der Roger von hier»

«Ich habe einen emotionalen Bezug zu Graubünden», sagt er bei einem Gang durch die Churer Altstadt, «wir waren schon vor der Familie Lebrument hier.» Auf der Strasse drehen sich kaum Leute nach ihm um, nur ein älterer Herr raunt seiner Begleiterin im Café zu: «Lueg, de Schawinski!» Seine polnisch-jüdischen Vorfahren kamen tatsächlich vor dem Ersten Weltkrieg nach Chur, lange bevor es den St. Galler Hanspeter Lebrument in die Gegend verschlug.

In der Lukmaniergasse, wo sein Vater aufgewachsen ist, hat sich Schawinski kürzlich für einen Bericht in den «Bündner Nachrichten» fotografieren lassen. «Dr Roger vo do» lautete der Titel des gross aufgemachten Berichts, «der Roger von hier». Es war ein Seitenhieb auf den Slogan «Ds Radio vu do», mit dem Radio Südostschweiz wirbt – und ein Beweis, dass das Medienmonopol von Somedia nicht ganz so «wasserdicht» ist, wie das Schawinski behauptet. Schliesslich gehören die «Bündner Nachrichten» nicht zu Somedia.

Ist Radio Alpin Schawinskis letzter Coup? «Ja», meint er, «wobei, bei mir ist es wie mit den Rolling Stones: Nach jedem Abschiedskonzert kommt das nächste.» Der Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts wird im Herbst erwartet.

Exit mobile version