Sonntag, November 17

Die Einwohner von Brienz müssen ihr Zuhause verlassen – schon wieder. Die Gemeinschaft wird auseinandergerissen. Ist es diesmal für immer? Ein Dorf zwischen Ohnmacht und Hoffnung.

Auf dem Kirchenboden haben Schüler aus dem Nachbardorf Botschaften an die Bewohner von Brienz platziert. «Es tut mir sehr leid, dass ihr wieder in Gefahr seid und wieder wegziehen müsst. Ich hoffe, dass es bald wieder gut wird», steht auf einem Zettel. Die Brienzer nehmen Abschied – von ihren Häusern, ihrer Heimat, ihren Nachbarn.

Im Dorf ist es ganz still. Die Strassen sind leer, weit entfernt spaziert eine Frau mit ihrem Hund. Manche Häuser scheinen bereits verlassen, die Fensterläden sind geschlossen. Aus einzelnen Kaminen steigt Rauch in die kalte Novemberluft, die Sonne strahlt an den Kirchturm. Ein Paar nähert sich dem Friedhof neben der Kirche, in der Hand rote Rosen, die es bei einem Grab niederlegt. Die Brienzer lassen alles zurück, nicht nur ihre Häuser und ihre Freunde, auch ihre Erinnerungen und ihre Toten.

Die Brienzer müssen sich erneut von ihrem Dorf verabschieden.

Ein Grollen unterbricht die Stille. Der Berg, dessen Schutthang bis zum Dorfrand reicht, rumort. Mit jedem Rumoren bewegt er sich weiter auf das Dorf zu und droht es unter sich zu begraben. Jeden Tag rutscht die Masse an Geröll etwa 25 Zentimeter talwärts, bis zu 1,2 Millionen Kubikmeter Gestein könnten abstürzen. Zusätzlich rutscht das ganze Dorf seit Jahren. Seit kurzem ist klar: Die Bewohner von Brienz müssen das Dorf bis Sonntagmittag verlassen – ohne zu wissen, ob sie zurückkehren werden. Schon wieder. Sie kennen das, was jetzt kommt, aber daran gewöhnen kann man sich nicht.

Schon vor eineinhalb Jahren, im Mai 2023, wurde das ganze Dorf evakuiert. Wenige Wochen später donnerte eine riesige Gerölllawine ins Tal – und stoppte wie durch ein Wunder wenige Meter vor dem alten Schulhaus. Im Juli kehrten die Brienzer wieder in ihre Häuser zurück. Doch das glückliche Ende währte nicht lange. Der Berg gab keine Ruhe. Und jetzt scheint alles wieder von vorne zu beginnen.

Doch dieses Mal fühle es sich anders an, sagen mehrere Bewohner. Endgültiger. Das sagt auch der Pfarrer, Federico Pelicon. «Die Leute sind müde geworden.»

«Die Menschen haben eine Freundschaft zum Berg»

Pelicon steht vor dem Schrank, in dem die Umhänge aufbewahrt werden. Er überlegt, welche Gewänder er mitnehmen soll. Unterstützung erhält er von der Mesmerin, so nennt sich die Sigristin in der katholischen Kirche. Edith Bisculm, 68, nimmt einen grauen Talar aus dem Schrank und sagt: «Schau, Federico – der wäre doch schön für eine Beerdigung, nicht so trist.» Der Pfarrer ist nicht überzeugt. Er greift zu einem beigen Gewand und platziert es vor seinem Oberkörper: «Diese Farbe hier, das mag ich.» Die Mesmerin schüttelt den Kopf. Am Ende werden fast alle Umhänge im Schrank bleiben. Auch das Weihrauchgefäss wird weiter neben dem Schrank hängen. «Wir können nicht alles mitnehmen», sagt Edith Bisculm.

«Wenn so wenig Zeit bleibt, müssen wir mit der Guillotine entscheiden, was wir retten und was nicht», sagt der kantonale Denkmalpfleger.

Federico Pelicon, 56, ein gebürtiger Italiener, ist Pfarrer in der Kirchgemeinde Albula, zu der auch Brienz gehört. Seit bald fünf Jahren ist er im Amt. Pelicon trägt Pullover, Daunenjacke und dunkle Jeans. Die altmodischen Gewänder im Schrank wollen nicht recht dazu passen. Er sei ein moderner, offener Pfarrer, erklärt Edith Bisculm, «ein Glücksfall für unsere Gemeinde. Er hat dem Dorf sehr gutgetan.»

«Es ist die mit Abstand schwierigste Zeit bis jetzt», sagt der Pfarrer. Pelicon wählt seine Worte vorsichtig, die Stimmung im Dorf ist angespannt. «Die Leute stehen unter Druck, und sie sind frustriert, ihr Zuhause erneut verlassen zu müssen.» Umso wichtiger sei nun seine Rolle als Seelsorger: «Als Kirche wollen wir für die Menschen da sein, ganz egal, ob es Katholiken, Reformierte oder Nichtgläubige sind.»

Über die Menschen in Brienz sagt Pfarrer Pelicon: «Sie sind sich seit Jahren gewohnt, dass der Berg bröselt. Man könnte fast sagen: Sie haben eine Freundschaft mit dem Berg.» Brienz sei nicht ein ausserordentlich frommes Dorf. Die Mesmerin Edith Bisculm ergänzt: «Zu viel Frömmigkeit ist nicht gut. Aber der Glaube ist uns wichtig.»

Im Raum nebenan, dem Kirchenschiff, ertönt das Scheppern eines Gerüsts. Zivilschützer bereiten die Evakuierung des Allerheiligsten von Brienz vor: des Altars. Er stammt von 1519 und wurde eigens für die Kirche in Brienz angefertigt. Deshalb ist er noch immer in seiner ursprünglichen Form erhalten. Es gebe nur noch wenige Altäre im deutschsprachigen Raum, die so gut überliefert seien , erklärt der kantonale Denkmalpfleger Simon Berger, und noch weniger in so ländlichen Kirchen wie dieser.

«Es war wichtig für die Leute, dass wir den Altar nicht zu früh evakuierten», sagt Simon Berger. «Der Altar symbolisiert für die Menschen in Brienz auch ihren Schutz.» Aus diesem Grund wird der Altar gemeinsam mit den Bewohnern aus dem Dorf gebracht. Die übrige Kunst im Kirchenschiff – etwa eine Bilderreihe der Kreuzigung Jesu aus dem 18. Jahrhundert – wird hängen bleiben. «Natürlich würden wir am liebsten alles mitnehmen», sagt Simon Berger. «Aber wenn so wenig Zeit bleibt für die Evakuierung wie jetzt, müssen wir sozusagen mit der Guillotine entscheiden, was wir retten und was nicht.»

Wie schon letztes Jahr wird der Altar von Spezialisten des Zivilschutzes in Hunderte von Einzelteilen zerlegt, in spezielle, auf Holzschädlinge untersuchte Kisten gelegt und mit maximal 15 Kilometern pro Stunde wegtransportiert. Zielort ist Stierva, das Dorf am Hang gegenüber. Dort soll er in einer Mehrzweckhalle zwischengelagert werden. Dann ist das Symbol des Schutzes nicht mehr in Brienz.

Edith Bisculm erinnert sich noch gut an das letzte Mal, als der Altar aus der Kirche gebracht wurde. «Ich wollte eigentlich die Kirchenglocken abstellen. Es würde ja sowieso niemand mehr da sein. Aber Federico sagte: Nein, wir lassen sie weiterhin läuten.» In jener Nacht, als der Hang schliesslich rutschte, rief der Pfarrer Bisculm an und sagte: «Der Berg kommt!» Stunde um Stunde habe sie den Livestream verfolgt, die ganze Nacht lang. Ob die Gesteinsmassen das Dorf getroffen hatten, sah sie bis zum Morgen nicht. «Doch dann, um zehn nach sechs, läuteten die Kirchenglocken. Und ich wusste: Die Kirche steht noch!»

Nach dem letzten Rutsch sei das Dorf näher zusammengerückt, sagt der Pfarrer Federico Pelicon. «Der Zusammenhalt ist stärker geworden.»

Und nun wird das Dorfleben ein weiteres Mal vom Berg verdrängt.

«Ich glaube nicht, dass wir wieder zurückkehren werden»

Edith Bisculms Telefon klingelt. Sie nimmt das Handy ans Ohr und geht hin und her. Überhaupt ist Edith Bisculm ständig in Bewegung, hilft dort, wo es etwas zu helfen gibt, und spricht mit jenen, an denen sie gerade vorbeigeht. Jemand aus dem Dorf sei noch in den Ferien und habe eigentlich geplant, erst am Samstag zurückzukehren, berichtet Bisculm, als sie wieder aufgelegt hat. «Die müssen natürlich jetzt sofort nach Hause reisen.» Edith Bisculm ist nicht nur Gastgeberin für die Gottesdienstbesucher, sie ist auch Anlaufstelle für alle möglichen Anliegen im Dorf.

Edith Bisculm ist in Brienz aufgewachsen. Wenn sie über ihr Brienz zu erzählen beginnt, klingt sie begeistert. «Unser Dorf ist eine einzige Sonnenterrasse. Die Lage ist gut, und jede Stunde fährt ein Postauto. Jede Stunde! Da brauchen Sie gar kein Auto.» Es seien in den letzten Jahren sogar neue Leute ins Dorf gezogen.

Bisculm lebt in dem Haus, das schon ihren Eltern gehört hatte. «Wäre ich in einer Mietwohnung, könnte ich einfach gehen. Aber das ist mein Haus, meine Heimat.» Wie bei allen anderen hat auch ihr Haus unter dem Berg gelitten: In den Wänden habe sie teilweise so grosse Spalten, sagt sie und spannt Zeigefinger und Daumen auseinander. Andere Brienzer erzählen von Türen, die sich nicht mehr schliessen lassen.

Und trotzdem: Am liebsten würde sie nicht gehen. Sie sei damit aufgewachsen, dass immer wieder Steine heruntergekommen seien. Das Grollen aber sei häufiger geworden. «Ich habe keine Angst vor dem Berg. Angst habe ich nur vor der Ungewissheit, die nun bevorsteht», sagt Bisculm. «Die Ungewissheit ist das Schlimmste.» Dann versagt ihre Stimme.

Sie gehe nicht mehr einkaufen, sagt Edith Bisculm. «Es bringt nichts. Nun heisst es nur noch: einpacken.» Ihre Nachbarin habe sie heute gefragt, ob sie wohl an Weihnachten schon wieder zurück sein würden. «Ich sagte zu ihr: Wir können froh sein, wenn wir an Ostern wieder zurück sind.» Packen, für ein paar Wochen ausserhalb leben und wieder zurückkehren – so war es das letzte Mal. Doch Edith Bisculm zweifelt daran, dass es auch dieses Mal ein gutes Ende nehmen wird. Sie hält kurz inne und sagt: «Ich glaube nicht, dass wir wieder zurückkehren werden.»

Dann rumort der Berg erneut. Als wolle er den Worten von Edith Bisculm Nachdruck verleihen.

Die Suche nach einer vorübergehenden Bleibe ist kompliziert

Edith Bisculm ist eigentlich pensioniert, noch aber führt sie ein Treuhandbüro in Davos. «Dieses Büro ist eine Zweizimmerwohnung. Einen Ort zum Schlafen hätte ich also.» In Davos bleiben wolle sie aber nicht. Nun habe sie auch noch ein Zimmer hier im Tal zugesichert bekommen. Die Solidarität sei gross. «Gerade heute haben zwei Leute angerufen, die beim Zügeln helfen wollten.» Andere hätten ihre Ferienwohnung zur Verfügung gestellt. «Das ist sehr schön zu sehen. Ich könnte jedes Mal weinen.»

Schon vor einem Jahr sei die Solidarität bei Zweitwohnungsbesitzern gross gewesen, sagt der Präsident des Vereins Zweitheimische VLV Lenzerheide, Thomas Stoffel. Der Verein möchte Brücken zwischen Einheimischen und Zweitwohnungsbesitzern bauen. «Bei der letzten Evakuierung gab es weit mehr Angebote, als letztlich benötigt wurden.» Insgesamt 165 Wohnungen stellten die Leute – Einheimische und Zweitheimische – den knapp 80 Brienzern damals zur Verfügung. Manche von ihnen taten das gratis, andere stellten die Nebenkosten in Rechnung, und einige handelten einen kleinen Mietzins aus, wie Stoffel erzählt.

Dieses Mal aber dürfte die Suche nach einer vorübergehenden Wohnung komplizierter sein. Die letzte Evakuierung fand im Sommer statt. Nun aber wollen viele Zweitheimbesitzer ihre Wohnung in den Bergen über die Wintermonate selbst nutzen, dort die Festtage verbringen und Ski fahren. Viele Angebote gelten deshalb nur bis Weihnachten.

Es könnte bis zum Frühling dauern, bis die Steinlawine von selbst abgeht. Das teilten die Behörden bei der Pressekonferenz am Dienstagabend mit. Bis dahin steht noch ein weiteres Ereignis an: die Biathlon-Weltmeisterschaft in der Lenzerheide im Februar. Auch Stoffel selbst hat sein Zweitheim bereits Biathleten und Helfern zugesichert. Dennoch betont er: «Unsere Solidarität den Einwohnern von Brienz gegenüber ist unverändert.» Er sei zuversichtlich, dass es Lösungen geben werde.

Der Pfarrer Federico Pelicon betont: «Diese Situation ist eine Gelegenheit, Solidarität zu zeigen.» Gläubige lädt er dazu ein, für die Brienzer zu beten. «Und wenn Sie nicht gläubig sind, dürfen Sie sich trotzdem an uns denken und solidarisch sein.»

Nur die Taschen am Eingang weisen auf einen Umzug hin

Vor der Kirche stehen zwei ältere Damen, sie besprechen sich mit der Mesmerin Edith Bisculm. Eine von ihnen ist Maria Bossi, 76. Erzählen will sie nicht viel, schon gar nicht gegenüber den Medien: «Ich habe keine Zeit, ich muss zügeln.» Bossi putzt regelmässig die Kirche und schaut nach den Blumen. Nun ziehe sie erst einmal zu ihrem Sohn, sagt sie.

Monica Bill muss ihr Zuhause, das sie so geliebt hat, verlassen.

Neben ihr steht Monica Bill, 78. Sie wohnt im Haus direkt neben der Kirche. Im Gegensatz zu den beiden anderen Frauen ist Brienz noch nicht lange ihre Heimat. Sie zog hierher, nachdem sie ihren Mann verloren hatte. «Hier hat es mir so gut gefallen. Ich fühlte mich sofort daheim.» Das ist nun fünf Jahre her. «Ich will hier nicht weg», sagt Bill. Die Mesmerin Edith Bisculm legt die Hand auf die Schulter ihrer Freundin. «Monica, komm, jetzt isst du zuerst etwas, dann hole ich mein Auto, und wir packen gemeinsam.»

Monica Bill, eine zierliche Dame mit feinem, weissem Haar und blassem Gesicht, bittet herein in das Zuhause, das bald nicht mehr ihres sein wird. Die Wohnung sieht nicht aus, als würde ihre Besitzerin sie vielleicht für immer verlassen. Auf dem alten Ofen in der Küche steht ein Teekocher, daneben liegt Holz zum Nachlegen bereit. An den Wänden der Altbauwohnung hängen Stillleben, an den Küchenschränken kleben Zettel und Fotos.

Nur die Taschen beim Eingang weisen darauf hin, dass Monica Bill bald umzieht. Darin: Kleider, Schuhe und WC-Papier. Was sie denn unbedingt noch mitnehmen wolle? «Eine Schneeschaufel», sagt sie sofort. «Die werde ich brauchen am neuen Ort.» Und ihre Bettsachen. «Das ist mir ganz wichtig», sagt Monica Bill mit feiner Stimme. Sie umschliesst mit ihren Armen den Oberkörper, als wollte sie sich Geborgenheit geben. «Mein Bett kann ich nicht mitnehmen, aber immerhin meine Duvets und meine Bettwäsche, damit ich mich wohlfühle und nicht so verloren bin.»

Die Bilder, sagt sie, lasse sie hier hängen. Auch die Uhr in der Stube, die sie so gernhabe. Die Kerzen, die sie schon für den Advent bereitgelegt hat, will sie noch einpacken. Ob sie auch ihre Fotoalben einpacken werde? «Die Fotoalben . . . Die habe ich nun nicht herausgesucht», sagt sie. «Ich weiss nicht, ob ich noch Zeit dafür habe.»

Den Einwohnern von Brienz bleiben nicht mehr als ein paar Tage, um zu entscheiden, was sie von ihrem alten Leben in ihr neues mitnehmen wollen. Sie wissen nicht, wo dieses sein wird, geschweige denn, wie viel Platz ihnen dort bleibt. Möglicherweise haben sie nur ein Zimmer zur Verfügung. Oder sie ziehen in eine geräumige Wohnung, müssen diese jedoch zu Weihnachten verlassen. Nicht wenigen drohen mehrere Umzüge, bis sie wieder in ihr altes Zuhause zurückkehren können. Wenn sie das denn können.

Sie habe Glück gehabt, «so eine schöne Wohnung» im benachbarten Alvaneu erhalten zu haben, sagt Monica Bill. Im Gegensatz zu vielen anderen dürfe sie dort bis zum Frühling bleiben. «Das gibt mir ein wenig Freude. Aber dieser Abschied jetzt, das macht mich traurig.» Sie drückt den Knopf der Kaffeemaschine und sagt: «Dieses Mal, glaube ich, wird es das letzte Mal sein.» Sie wird ruhig, ihr Blick schweift zur Wand hinter dem Ofen. Dann leuchtet ihr Gesicht plötzlich auf: «Der Micky Maus! Natürlich! Der muss unbedingt mit!» Sie greift zu einer ausgeschnittenen Papiertasche, die über dem Ofen hängt, das Porträt der Disneyfigur ist darauf abgebildet. Ihr Sohn habe Micky als Kind geliebt. «Wissen Sie, es geht nicht darum, wie wertvoll etwas ist.»

Monica Bill will nicht bis zum Sonntag warten, bis sie in der neuen Wohnung übernachtet. «Wenn ich fertig gepackt habe, dann gehe ich», sagt sie. Dieses ewige Warten – und das Warten aufs Warten –, es ist zermürbend.

Was, wenn es ein drittes Mal geschieht?

Manche Familien ziehen nach Lenz, weil die Kinder schon jetzt die Primarschule dort besuchen. Andere ziehen zu Verwandten oder in Ferienwohnungen in den umliegenden Dörfern. Die Brienzer landen in einer Art Exil. Das tue ihm weh, sagt Pfarrer Pelicon. Er hoffe, dass dieses nicht zu lange andauere. «Das Dorf wird nicht einfach evakuiert. Die Menschen werden verstreut. Brienz droht seine Seele zu verlieren.» Gerade deshalb sei es wichtig, die Hoffnung nicht zu verlieren.

Was aber, wenn das Dorf noch einmal unversehrt davonkommt? Als die Behörden am Dienstagabend über die Evakuierung informierten, sagte ein Brienzer: «Ein drittes Mal gehen wir nicht mehr.»

Er dürfte damit einigen Einwohnern aus der Seele gesprochen haben. Ihr Gefühl von Heimat ist erschüttert. Verwurzelung gibt den Menschen Sicherheit. Was aber ist Heimat, wenn man befürchten muss, dass sie einem immer wieder genommen wird? Die Wortmeldung an der Pressekonferenz verdeutlichte ein Ringen mit der Frage, was einem mehr Sicherheit gibt: Heimat oder Unversehrtheit. Die Antwort vieler Brienzer scheint klar: Der Wunsch danach, verwurzelt zu bleiben, überwiegt irgendwann jedes vermeintliche Sicherheitsgefühl.

Auch Edith Bisculm kann diese Haltung verstehen. Sie wolle das alles kein weiteres Mal mitmachen müssen. «Ich bin so müde von allem!» Sie werde hierbleiben bis am Sonntagvormittag. «Dann werde ich die Fensterläden schliessen und gehen.»

Auf einem Zettel, der von einem Kind an die Einwohner von Brienz geschrieben wurde, steht: «Ich wünsche euch viel Kraft und Frieden.» Und weiter: «Ihr seid auch an einem anderen Ort glücklich.»

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