Samstag, März 15

Gesunder Zyklus trotz Spitzensport: Yvonne van Vlerken empfiehlt Kohlenhydrate, warnt vor Nüchterntraining und der Pille. Am meisten sorgt sich die Niederländerin um Hobbysportlerinnen.

Yvonne van Vlerken, Sie waren 20 Jahre lang Profi-Triathletin, gewannen 16 Mal einen Ironman, stellten eine Weltbestzeit in der Langdistanz auf, waren Weltmeisterin im Duathlon. Was bereuen Sie?

Ich hätte gerne früher gewusst, dass es nicht okay ist, wenn die Periode ausbleibt. Während meiner Karriere hatte ich sie grösstenteils nur einmal im Jahr. Die Ärzte sagten mir, es sei nicht so schlimm, sie komme schon irgendwann zurück. Doch die Periode gehört zum Frausein dazu, sie ist ein Zeichen, dass Körper und Psyche gesund sind.

Sie waren also topfit und trotzdem ungesund?

Ja, ich habe meinen Körper jahrelang falsch behandelt. Ich ass zu wenig für meinen grossen Trainingsumfang, war jeden Tag in einem Energiedefizit. Für mich war es irgendwann selbstverständlich, dass ich die Periode nicht mehr habe. Als Spitzensportlerin war ich ahnungslos, wie wichtig ein regelmässiger Zyklus für meine Gesundheit ist. Wenn die Periode jahrelang ausbleibt, erhöht sich das Risiko für Osteoporose, ein Kinderwunsch kann unerfüllt bleiben.

Sie sprechen offen über ein Thema, das viele Athletinnen betrifft; besonders gefährdet sind Ausdauersportlerinnen. Wie verbreitet sind aus Ihrer Sicht gestörte Zyklen?

Wahnsinnig viele Frauen sind davon betroffen. Ich habe das über die Jahre selbst beobachtet: Ich coache Triathletinnen – Dutzende von ihnen hatten unregelmässige Zyklen, bei einigen blieb die Periode ganz aus. Wenn ich in Podcasts über das Thema spreche oder Beiträge schreibe, ist die Resonanz riesig, so viele betroffene Frauen melden sich bei mir. Aber so gerne ich möchte, ich kann nicht allen helfen.

Laut einer britischen Studie ignoriert ein Drittel der Profisportlerinnen eine ausbleibende Periode. Auch wegen Ärzten, die sagen, das sei normal, wenn eine Frau so viel Sport treibe.

Es ist ein Witz, wenn Ärzte sagen, die Periode komme nur dann zurück, wenn man mit dem Sport aufhöre und zehn Kilo zunehme. Das ist ein Weg, aber nicht der einzige. Es geht darum, dass die Energiebilanz stimmt. Natürlich kann man die Intensität der Trainings herunterfahren, strenge Einheiten überdenken. Aber wenn man Frauen den Sport verbietet, dann vergisst man, wie wichtig er für sie ist. Viele brauchen ihn als Ausgleich, sie schütten Endorphine aus, die Bewegung macht sie glücklich.

Wer ist von ausbleibenden Perioden betroffen: Amateursportlerinnen oder Profisportlerinnen?

Beide. Aber Amateursportlerinnen sind oft noch gefährdeter. Nehmen wir das Beispiel einer ambitionierten Amateur-Triathletin: Sie trainiert bis zu 20 Stunden pro Woche, steht um 5 Uhr auf, hetzt ins Schwimmbad, frühstückt kaum, arbeitet bis 17 Uhr, will nachher noch aufs Rad. Eine Profisportlerin hat ein Team, das sie umsorgt, und die Zeit, um dreimal am Tag gut zu essen und sich zu erholen. Eine Frau mit Vollzeitjob und Familie hat diese Möglichkeiten nicht.

Sie waren Profi. Wie konnte es bei Ihnen so weit kommen?

2007 zog ich von den Niederlanden nach Vorarlberg. Ich liess meine Heimat zurück – und meine Periode. Ich trainierte 30 Stunden pro Woche. Im Training war ich von Männern umgeben; mein engster Trainingspartner war mein damaliger Freund. Er litt an einer Essstörung, bald färbte sein gestörtes Essverhalten auf mich ab: Statt Brötchen gab es Gemüse, Fisch, Quark, Käse, Nüsse. Mir fehlten Kohlenhydrate. Die Periode kam fortan nur noch im Dezember in der Wettkampfpause, ich blutete zwei Tage im Jahr. Ich sprach mit niemandem darüber, auch nicht mit meinem Trainer. Damals wussten wir so wenig über den Einfluss des Zyklus auf die sportliche Leistung.

Bei Sportlerinnen kann das sogenannte relative Energiedefizit zu Hormonstörungen führen, Östrogen und Progesteron sinken, die Periode bleibt aus.

So war es auch bei mir. Mein Körper bekam das Signal, dass ich nicht fähig bin, schwanger zu werden. Das ganze Reproduktionssystem fuhr herunter. Ich war wie eine Heizung im Stand-by-Modus. Meine Körpertemperatur betrug 35,5 Grad, der Ruhepuls lag um die 30. Ich war stolz auf meinen Puls, schrieb ihn meiner sportlichen Leistung zu. Mein Östrogenwert war tief, das Hormon ist wichtig für die Knochendichte bei Frauen – jede andere hätte Stressfrakturen erlitten, ich war nie verletzt. Meine Knochendichte war wegen jahrelangen Krafttrainings gut, meine muskuläre Verfassung ebenso. Ich fühlte mich ausgezeichnet, lief Topzeiten. Das war das Komische.

Wie spürten Sie, dass etwas nicht stimmte?

Auf einmal entwickelte ich brutale Beschwerden. Mir war schwindlig, ich schwitzte, war ständig müde, erholte mich schlecht, sah ausgezehrt aus. Die Ärzte waren ahnungslos. Erst mein niederländischer Sportarzt kam auf die Idee, dass mein Problem die Hormone sein könnten. Ich liess daraufhin meine Werte testen: Das Östrogen und das Progesteron waren nicht mehr vorhanden, die Hormone FSH und LH sehr hoch. Die Werte glichen jener einer 60-jährigen Frau. Ich stand am Anfang meiner Wechseljahre, war aber erst 38 Jahre alt.

Wie ging es weiter?

2019 trat ich wegen der Beschwerden zurück, mein Körper tat mir so leid. Dazu kam: Mein Partner und ich hatten einen Kinderwunsch. Wir wären so gerne Eltern geworden. Ich habe deshalb mit 40 alles versucht, um meine Periode zurückzubekommen. Ich verzichtete vier Monate auf das Laufen, nahm acht Kilo zu. Die Periode kam zurück. Die Qualität der Eizellen war jedoch schlecht, ich wurde nicht schwanger. Dann war die letzte Eizelle herangereift, und ich war immer noch kinderlos. Als Profisportlerin hatte ich immer die Kontrolle über meine Leistung, doch dieses Mal war ich machtlos. Es war frustrierend.

Hatten die frühen Wechseljahre etwas mit Ihrer ausgebliebenen Periode zu tun? Wissenschaftlich bewiesen ist das nicht.

Nein, das ist es nicht. Doch das Thema ist wenig erforscht, meiner Meinung besteht ein Zusammenhang. Zumal meine Mutter mit 50 in die Wechseljahre kam, ich zwölf Jahre früher.

Wie geht es Ihnen heute?

Ich nehme seit zwei Jahren Hormone, die Hälfte der Minimaldosis. Damit simuliere ich einen Zyklus. Das ist eine sehr persönliche Entscheidung, für mich stimmt sie. Ich hatte vorher schlimme Beschwerden. Ich sah schlecht aus, schwitzte so stark, dass ich die Bettwäsche und das Pyjama mehrmals pro Nacht wechseln musste. Nun kann ich zehn Stunden durchschlafen und laufe wieder.

Heute sind Sie Trainerin und coachen Profi- und Amateur-Triathletinnen aus Deutschland, Österreich und den Niederlanden. Eines der wichtigen Themen im Training: der weibliche Zyklus.

Es ist viel leichter, einen Mann zu trainieren. Bei Frauen ist alles viel persönlicher, es gibt kein Standardtrainingsprogramm, das funktioniert. Aber wenn Frauen ihren Zyklus kennen, bringt das enorm viel. Sie sind dann weniger verletzungsanfällig, verstehen ihren Körper besser, wissen, dass gewisse Einheiten zu bestimmten Zeitpunkten sinnlos sind, zum Beispiel harte Laufeinheiten kurz vor der Periode.

Reden Sie mit den Frauen über ausbleibende Perioden?

Meldet sich eine Sportlerin bei mir, frage ich sie als Erstes, wie ihr Zyklus sei. Bei vielen ist der Zyklus unregelmässig, bei einigen ist die Periode ganz ausgeblieben. Mein Ziel ist es, allen dabei zu helfen, dass sie wieder einen gesunden Zyklus haben. Wenn sie es nicht wie ich jahrelang übertrieben haben, genügen oft einfache Massnahmen. Bis auf eine Ausnahme haben bei uns im Team alle wieder einen gesunden Zyklus.

Wie schaffen Sie das?

Es darf nie ein Energiedefizit vorhanden sein; der Körper darf also nicht mehr Energie verbrauchen, als ihm durch Nahrung und Getränke zugeführt wird. Absolut verboten ist Nüchterntraining. Ich habe das jahrelang gemacht und geliebt. Männer können davon profitieren, der hormonellen Gesundheit von Frauen schadet es jedoch oft. Der Körper schüttet Stresshormone aus, der Östrogenspiegel sinkt. Ein weiterer Fehler ist es, Kohlenhydrate wegzulassen. Eine Low-Carb-Diät geht für die meisten Frauen gar nicht, sie bedeutet zusätzlichen Stress für den Körper. Ebenso wichtig ist es, nach dem Training innerhalb von 30 Minuten etwas zu essen. Bei Frauen ist das Zeitfenster für die Energiezufuhr kleiner als bei Männern.

Was denken Sie über die Pille?

Ich coache keine Athletin mit der Pille. Allfällige Hormonstörungen werden von der Pille verdeckt; die Blutung kommt immer, es ist ja eine künstliche. Dazu kommt: Die Hormone in der Pille mindern die Leistung. Ich habe die Frauen in meinem Trainingsprogramm davon überzeugt, nichthormonelle Verhütungsmethoden zu verwenden. Keine hat es bereut.

Sie passen die Trainingspläne der Frauen an deren jeweilige Zyklusphase an. Wie funktioniert das?

Ich notiere im Trainingskalender die Periode und den Eisprung jeder Athletin. Ich passe den Plan laufend an, denn bei vielen ist der Zyklus unregelmässig. Nicht alles ist wie im Schulbuch, man muss sich keine Sorgen machen, wenn der Zyklus 32 Tage anstelle von 28 Tagen dauert. Bei Athletinnen, die keine Regelschmerzen haben, plane ich ab Tag 1 der Menstruation intensive Fahrradeinheiten ein. In den ersten zwei Wochen bis zum Eisprung sind die Hormone der Frauen niedrig, ähneln am ehesten dem Hormonspiegel der Männer. Ich setze dann auf harte und schnelle Trainings. Um den Eisprung herum können einige Athletinnen Bestzeiten laufen, andere sind sehr müde, das Training ist individuell. In der zweiten Zyklusphase reduziere ich die Intensität, setze mehr auf Ausdauer und Technik.

Der Wettkampf kann in eine Phase fallen, die für eine Athletin ungünstig ist. Zum Beispiel kurz vor die Periode. Viele Frauen fühlen sich dann erschöpft, sind aufgebläht und schwerer.

Ja, das ist leider so. Mit Profiathletinnen versuche ich deshalb das Datum eines wichtigen Rennens so zu wählen, dass es in eine für sie günstige Zyklusphase fällt. Eine Wettkampfsituation kann aber eine ungünstige Zyklusphase ausgleichen. Die Athletin ist ausgeruht, hat sich gut ernährt, die Atmosphäre ist grossartig.

Was raten Sie Freizeitsportlerinnen, die zweimal pro Woche joggen gehen?

Sportlichen Frauen mit einem gesunden Gewicht rate ich davon ab, nüchtern zu trainieren. Es gibt keine Ausrede; ein Müesliriegel oder zwei Reiswaffeln genügen als kleines Frühstück vor dem Training. Sehr individuell ist das zyklusorientierte Training: Einige Frauen haben kaum Beschwerden, andere spüren die hormonellen Veränderungen stark. Das Allerwichtigste ist, dass jede Frau ihren Zyklus erfasst und beobachtet, wie sie sich fühlt.

Lange war die Periode ein Tabuthema, vor allem im Sport. Wie gross ist das Bewusstsein heute?

Es ist in den vergangenen fünf Jahren gewachsen; bei den Profisportlerinnen, den Amateursportlerinnen, aber auch bei den Trainern. An einem Weiterbildungswochenende des österreichischen Triathlon-Verbands über Periode im Sport nahmen viele männliche Trainer an meinen Workshops teil. Sie wissen mittlerweile, wie stark sich der Zyklus auf die Leistungsfähigkeit der Athletinnen auswirkt. Eine Frau, die zyklusorientiert trainiert, fühlt sich besser, verletzt sich seltener. Sie ist eine zufriedenere und oft auch eine erfolgreiche Athletin.

Sie haben sich dieses Wissen erst vor kurzem angeeignet. Ihre Karriere hätte anders verlaufen können.

Hätte ich früher mehr über meinen Zyklus gewusst, wäre ich wahrscheinlich noch besser gewesen. In Leipzig habe ich dieses Jahr den Veranstaltungsrekord und meine Bestzeit im Halbmarathon geknackt, bin die Strecke in 1:16 Stunden gelaufen. Und das mit 45 Jahren! Ich bin zufrieden mit meiner Karriere, dankbar für all das, was mein Körper geschafft hat. Aber anderen Frauen möchte ich meinen Leidensweg ersparen.

Ex-Weltrekordlerin

hin. · Yvonne van Vlerken ist eine niederländische Triathletin und Duathletin. Die 45-Jährige gewann 16 Ironman-Wettkämpfe; 2008 stellte sie bei der Challenge Roth mit 8:45:48 den damaligen Weltrekord über die Ironman-Distanz auf. 2019 trat van Vlerken zurück. Seitdem widmet sie sich mit ihrer Trainingsgruppe Vonsy’s Tri Family dem Coaching von Profi- und Amateur-Triathletinnen. Sie lebt mit ihrem Partner in Leipzig.

Exit mobile version