Donnerstag, März 6

Lars P. Feld, einer der führenden deutschen Wirtschaftswissenschafter, hält das neue Schuldenpaket für falsch. Aus seiner Sicht ist damit eine Rückkehr zu einer marktwirtschaftlicheren Wirtschaftspolitik unwahrscheinlicher geworden.

Herr Feld, die CDU/CSU und die SPD haben sich am Dienstagabend noch vor den konkreten Koalitionsverhandlungen auf ein gigantisches Schuldenpaket geeinigt. Wie beurteilen Sie den Beschluss?

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Ich halte alle vier Bestandteile des Pakets für sehr problematisch und letztlich falsch. Das betrifft erstens die 500 Milliarden Euro neue Schulden für die Infrastruktur, zweitens die Öffnung der Schuldenbremse für die Verteidigungsausgaben, drittens die Lockerung der Schuldenbremse für die Bundesländer und viertens die dauerhafte Öffnung der Schuldenbremse für staatliche Investitionen über die Bildung einer Expertenkommission.

Wie begründen Sie das im Einzelnen?

Im Hinblick auf die bröckelnde Infrastruktur war ich schon immer dagegen, das Problem über ein sogenanntes Sondervermögen zu lösen. Die Infrastruktur betrifft Bund, Länder und Gemeinden. Der Bund hat im Haushalt genügend Spielräume für Investitionen in die Infrastruktur. Viele Probleme liegen aber auf Gemeindeebene und werden auch durch das Sondervermögen nicht behoben. Die Gemeinden investieren zu wenig, weil sie zu viele Sozialausgaben tätigen müssen. Diese bekommen sie vom Bund und den Ländern ohne Gegenfinanzierung aufgehalst. Das ist ein struktureller Fehler im System, der durch vorübergehende Massnahmen wie ein Sondervermögen nicht behoben wird.

Die Bundesländer klagen über den zu engen finanziellen Spielraum.

Das halte ich für übertrieben. Die Schuldenbremse für die Bundesländer war noch nie richtig in Kraft. Bis zum Jahr 2020 gab es eine Übergangszeit, dann kamen im Rahmen der Pandemie die ganzen Ausnahmeregeln. Die Schuldenbremse wurde eingeführt, um die Schulden der Länder zu begrenzen, damit sie nicht erneut in eine Schuldenkrise geraten. Jetzt gibt man gerade wieder den finanzschwachen Ländern eine Möglichkeit, sich höher zu verschulden. Wir sind dann genau so weit wie vor 2009, als man die Schuldenbremse eingeführt hat.

Höhere Verteidigungsausgaben gelten dagegen als dringend notwendig.

Die Landesverteidigung ist eine der Kernaufgaben jedes Staates und muss deshalb aus den laufenden Steuereinnahmen finanziert werden. Akut mehr Geld ist nur in zwei Fällen gerechtfertigt: Entweder man ist im Krieg, das ist Deutschland nicht. Oder man fürchtet einen Krieg und will einen Aggressor durch rasche Aufrüstung effektiv abschrecken. Ein Sondervermögen ist die beste Möglichkeit, die Mittel dafür rasch zu mobilisieren. Deswegen wäre für mich ein Sondervermögen Bundeswehr akzeptabel gewesen. Stattdessen ein Sondervermögen Infrastruktur zu beschliessen, ist hingegen ein Fehler.

Wie viel Geld wird die Verteidigung kosten?

1 Prozent des Bruttoinlandprodukts, des BIP, sind derzeit rund 45 Milliarden Euro. Wenn man für die Landesverteidigung künftig auf bis zu 3 Prozent des BIP geht, sind das bis zu 135 Milliarden Euro pro Jahr, wovon alles über 1 Prozent des BIP, also 90 Milliarden Euro, von der Schuldenbremse ausgenommen ist. Schlecht an der jetzigen Lösung ist, dass sie zusätzliche Spielräume im Haushalt für andere Ausgaben schafft, im Jahr 2025 etwa 8 Milliarden Euro, die für zusätzliche Subventionen oder Sozialtransfers zur Verfügung stehen. Zudem wäre ein Sondervermögen zeitlich begrenzt gewesen. Für die 1-Prozent-Regel hingegen wird ein Ablaufdatum voraussichtlich fehlen.

Hat der wahrscheinliche neue Bundeskanzler Friedrich Merz mit dem enormen Schuldenpaket einen Wortbruch gegenüber den Wählern begangen?

Ja, Merz hat sein Wort gebrochen. Zwar hat die CDU immer angedeutet, dass sie im Hinblick auf die Schuldenbremse etwas für die Bundesländer machen will. Aber die Öffnung der Schuldenbremse für die Verteidigung und das Sondervermögen Infrastruktur haben eindeutig Elemente eines Wortbruchs. Das gilt übrigens auch für den Beschluss, über eine Expertenkommission eine Investitionsorientierung in der Schuldenbremse einzuführen.

Hat sich die Union von den Sozialdemokraten über den Tisch ziehen lassen?

Durch die schnelle Einigung auf das Schuldenpaket vor den eigentlichen Koalitionsgesprächen hat die Union jedenfalls die eigene Verhandlungsposition geschwächt, um endlich zu einer marktwirtschaftlicheren Wirtschaftspolitik zurückzukehren. Dringend nötige Strukturreformen wird es so einmal mehr nicht geben.

Welche Folgen hat das Paket für den Bundeshaushalt?

Die Staatsverschuldung dürfte nach ersten Berechnungen in den kommenden zehn Jahren um rund 30 Prozentpunkte auf über 90 Prozent des BIP steigen. Das ist dann schon ein kritischer Wert. Zudem werden die Zinsausgaben kräftig zulegen. Bei einem Zinssatz von 2,5 Prozent für zehnjährige Bundesanleihen betragen die Zinsausgaben in zehn Jahren 250 Milliarden Euro. Steigt der Zinssatz auf 4 Prozent, liegen wir bei 400 Milliarden Euro, also 40 Milliarden Euro Zinsausgaben pro Jahr. Das ist meines Erachtens nicht vertretbar und schränkt die Handlungsfähigkeit des Bundes massiv ein.

Wie schätzen Sie die Wachstumswirkung des Pakets ein?

Es erhöht primär die Schulden. Die konjunkturelle Wirkung ist nicht so eindeutig, da ein guter Teil der Gelder in den Konsum geht. Die Reparatur eines Schuldaches ist zwar dringend nötig, es bringt aber kein zusätzliches Wirtschaftswachstum, da es sich nicht um eine Innovation oder einen technischen Fortschritt handelt. Die Schülerinnen und Schüler sind aufgrund der Reparatur auch nicht besser ausgebildet, was wachstumsfördernd wäre.

Könnten die neuen Schulden hingegen die Inflation anheizen?

Das ist durchaus plausibel. Die Kapazitäten der Rüstungsindustrie und der Bauwirtschaft sind beschränkt. Die höhere Nachfrage wird daher vor allem erst einmal zu höheren Preisen führen. Schliesslich wissen auch Rüstungs- und Baufirmen, dass jetzt viel Geld da ist. Meine Befürchtung ist daher gross, dass das Paket zu höheren Inflationsraten führen wird.

Was wäre denn aus Ihrer Sicht ein ideales Paket gewesen?

Ich hätte lediglich ein Sondervermögen für die Bundeswehr gebildet. Alles andere hätte man aus dem laufenden Bundeshaushalt finanzieren müssen und können, beispielsweise durch eine Verringerung der Transfers zugunsten höherer Investitionen des Staates. Das muss nicht zulasten der Sozialleistungen gehen. Die Subventionen in Prozent des BIP haben sich seit 2017 verdoppelt. Hier gibt es ein grosses Sparpotenzial.

Die Deutsche Bundesbank hat am Mittwoch einen eigenen Vorschlag für eine Reform der Schuldenbremse vorgelegt. Was halten Sie davon?

Die Bundesbank schlägt vor, die Schuldenbremse für mehr Investitionsausgaben zu öffnen. Das ist weder nötig noch sinnvoll. Zudem gibt es immer Abgrenzungsprobleme, was wirklich eine Investition ist und was Konsum. Der Vorschlag klingt zudem recht kompliziert. Das liegt wohl daran, dass die Experten ihren Präsidenten Joachim Nagel noch bremsen wollten. Es war schliesslich die Bundesbank, die immer klare Fiskalregeln gefordert hat. Der neue Präsident mischt sich jedoch so stark in die Politik ein, wie es das noch nie gegeben hat. Am Ende ist die Bundesbank umgekippt.

In St. Gallen habilitiert

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