Sonntag, Oktober 6

Christophe Prat ist der neue Chef von Campari Schweiz. Im Gespräch diskutiert er Alkoholtrends – und er gibt zu, dass er den Song «Campari Soda» nicht kennt.

Die Sprache ist Christophe Prat noch fremd, genauso wie einige kulturelle Eigenheiten. Auf die Frage, was er über den Song «Campari Soda» denke, diese vielleicht schönste züritütsche Ballade über das Fliegen, lächelt er höflich, aber verlegen. «Den kenne ich leider nicht», gibt er zu.

Prat, ein Franzose, ist seit vielen Jahren in der Spirituosenbranche tätig. Er lebte in London, Istanbul und Mexiko-Stadt. Zuletzt arbeitete er für Campari in Paris, als er zum neuen Chef für die Schweiz ernannt wurde. Im Juli bezog er sein Büro in Zug.

Herr Prat, trinken die Menschen in der Schweiz anders Alkohol als in anderen Ländern?

Es ist noch ein bisschen früh für mich, um das im Detail zu sagen. Was wir aber bereits sehen: In der Schweiz wird ähnlich viel im Ausgang wie zu Hause konsumiert, die beiden Absatzkanäle halten sich etwa die Waage. Im Süden Europas, im Mittelmeerraum, ist das nicht so, die Menschen konsumieren mehr in Bars. Je weiter nördlich man geht, desto häufiger wird zu Hause getrunken.

Also sind die Schweizer mehr wie die Deutschen und weniger wie die Italiener?

Im Tessin gibt es keinen Unterschied zu Italien, und in der Westschweiz orientieren sich die Leute an Frankreich. Wir haben darum auch unterschiedliche Strategien für die drei Landesteile. Was mich aber in der Deutschschweiz überrascht hat: Ich hatte erwartet, dass Bier eine grössere Rolle spielen würde, so wie in Deutschland. Aber es wird viel weniger Bier konsumiert als dort oder auch in Österreich.

Was sind Ihre ersten Aufgaben hier als Regionaldirektor?

Campari Schweiz ist die älteste Niederlassung ausserhalb Italiens, sie ist mehr als hundert Jahre alt. Die Geschäfte hier laufen gut, aber es gibt noch Möglichkeiten zu wachsen. Derzeit läuft eine Initiative, die unsere Premium-Produkte stärker vermarkten soll, also Champagner, Cognac, Whiskey. Hier sehen wir in der Schweiz viel Potenzial.

Weil die Schweizer viel Geld haben?

Man muss gar nicht so viel Geld haben, um Champagner zu trinken, es ist kein Rolls-Royce. Es geht vielmehr um das Geschmacksprofil in einem Land. In der Schweiz sind die Menschen eher bereit, Geld für guten Wein auszugeben – und damit auch für Champagner. Das ist in vielen anderen Ländern nicht so.

Sie sind seit vier Jahren bei Campari und waren davor schon in der Getränkeindustrie tätig. Sie arbeiteten und lebten in Frankreich, in Mexiko, in der Türkei. Wie unterscheidet sich der Alkoholkonsum in diesen Ländern?

In Europa haben die Leute ein recht vernünftiges Verhältnis zu Alkohol. Sie trinken nicht zu viel. Ausserdem gibt es eine etablierte Cocktail-Kultur. In der Türkei spielt die Religion eine grosse Rolle, ein signifikanter Anteil der Bevölkerung trinkt gar keinen Alkohol. Gleichzeitig wird viel Raki getrunken, und die Leute gehen feiern, es gibt gigantische Nachtklubs. Vor allem im Sommer läuft das Geschäft dort gut. In Mexiko wird natürlich viel Tequila getrunken, oder auch Whiskey. Aber ein grosser Anteil der Bevölkerung kann sich hochwertigen Alkohol gar nicht leisten – zumindest keinen importierten.

In Europa hat Tequila bei vielen Leuten einen schlechten Ruf.

Der Ruf würde sich verbessern, wenn die Menschen die hochwertigeren Sorten kennen würden. Ich habe lange im Tequila-Geschäft gearbeitet, in diesem Bereich gab es in den letzten zwanzig Jahren eine Art Revolution. In den USA ist Tequila inzwischen beliebter als Wodka.

Wie erkennt man, ob ein Getränk das Potenzial hat, zum nächsten Trend zu werden?

Ich denke, es geht vor allem darum, was man als Unternehmen aus seinen Marken macht. Nehmen wir das Beispiel Aperol: Es gab zahlreiche Versuche, wie man das Getränk am besten präsentiert. Das Mischverhältnis, die Farbe, das runde, bauchige Glas, all das spielt eine Rolle. Und man braucht Geduld. Wenn man den Absatz von Aperol mit dem vor fünfzehn Jahren vergleicht, ist das ein himmelweiter Unterschied. Es hat eine ganze Weile gedauert, bis der Aperol Spritz wirklich durch die Decke gegangen ist.

Wie kam es dazu, dass gerade der Aperol Spritz so erfolgreich wurde?

Der Wandel begann in Italien. Die Heimat des Spritz liegt in Venedig, und mit der Zeit bekam der Drink dort immer mehr Aufmerksamkeit. Von Venedig breitete er sich in Italien aus und kam schliesslich in die Schweiz, nach Deutschland und nach Frankreich. Aber selbstverständlich war das nicht. Denn was den Geschmack der Leute angeht, ist der Unterschied zwischen Italien und dem Rest der Welt tatsächlich recht gross.

Inwiefern?

Die Italiener wachsen durch Getränke wie Crodino oder San Bitter mit dem bitteren Geschmack auf, sie sind daran gewöhnt. In der Schweiz ist das nicht so. Hier müssen die Leute diesen Geschmack erst schätzen lernen. Wir wissen aber, dass der Spritz das Geschmacksprofil vieler Menschen verändert hat. Sie haben mehr Lust auf Bitterkeit und trinken dann auch öfter mal Campari oder Cynar.

Der Aperol Spritz ist also ein Anfängergetränk.

Ich würde es nicht Anfängergetränk, sondern Einstiegsgetränk nennen. Campari hat beim Spritz vieles richtig gemacht, er bettet sich gut in die Gesamtstrategie ein. Andere Marken setzen auf Digestifs oder auf Drinks in Nachtklubs, die für einen Energieschub sorgen. Campari hingegen setzt von Anfang an auf Drinks, die man am späten Nachmittag vor dem Abendessen trinkt. Das war eine sehr gute Entscheidung, denn dieser Bereich wächst.

Ist Campari deswegen vor allem in Ländern wie der Schweiz oder Frankreich erfolgreich?

Die Schweiz ist wegen der Apéro-Kultur sicher ein gutes Land für uns. Ich glaube aber, dass wir beim Spritz nach wie vor am Anfang stehen, gerade in Nordamerika und in Asien ist der Drink noch kaum verbreitet.

Wie wollen Sie ihn den Amerikanern schmackhaft machen?

Es ist nicht meine Aufgabe, für den US-Markt zu sprechen. Aber wenn man einen Aperol Spritz trinkt, ist das wie ein Stück Italien im Glas. Und die Amerikaner lieben italienisches Essen und die italienische Kultur.

Und doch kann der Drink ja nicht endlos wachsen, er bleibt ein Sommergetränk.

Nicht unbedingt. Warum sollte man nicht auch im Winter einen Spritz vor dem Abendessen trinken, etwa beim Skifahren? Wenn man den Konsum von Aperol Spritz mit dem von Bier vergleicht, ist das ein Bruchteil. Da wollen wir unseren Anteil ausbauen. Aber natürlich versuchen wir permanent, neue Drinks auf den Markt zu bringen.

Wenn Sie auf Ihre bisherige Karriere zurückblicken, wie hat sich die Getränkeindustrie entwickelt?

Was die Getränke angeht, hat Wodka inzwischen eine schwierige Zeit. Dafür gab es den grossen Aufstieg des Gins, der heute in Hunderten Varianten überall zu finden ist. Und dann gab es natürlich finanziell herausfordernde Zeiten: einmal die Finanzkrise im Jahr 2008, und natürlich die Pandemie.

Wie haben Sie darauf reagiert?

Zu Beginn der Pandemie lag unser Fokus darauf, unsere Barkeeper zu unterstützen. Denn auf sie sind wir angewiesen, sie sind unsere Partner. Dann haben wir unsere Marketingstrategie angepasst. Wir wussten sehr schnell, dass das Jahr 2020 für uns gelaufen sein würde. Gleichzeitig stieg der Online-Handel rasch an, was uns geholfen hat.

Hat die Pandemie das Geschäft langfristig verändert?

Als das Coronavirus kam, konnten die Menschen nicht mehr ausgehen und begannen, mehr zu Hause zu konsumieren. Und das sieht man auch jetzt noch: Es wird mehr in der eigenen Wohnung konsumiert als vor der Pandemie. Die Leute haben ihr Zuhause für sich entdeckt.

Lassen Sie uns über einen anderen Trend reden: Abstinenz. Die Schweizer trinken immer weniger Alkohol, manche Gruppen zelebrieren die Enthaltsamkeit geradezu. Beunruhigt Sie das?

Es stimmt, dass es ein grösseres Bewusstsein für einen verantwortungsvollen Konsum von Alkohol gibt. Und das ist auch eine gute Sache. Wir wollen ja nicht, dass die Leute exzessiv trinken, das wäre schlecht für unser Image. Wir wollen, dass sie die Drinks geniessen. Ich denke aber nicht, dass unser Geschäft sich deswegen langfristig auf alkoholfreie Getränke umstellen wird.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erklärte vor kurzem, dass schon ein Tropfen eines alkoholischen Getränks schlecht für die Gesundheit sein könne. Wie definieren Sie gesunden Alkoholkonsum?

Ein verantwortungsvoller Alkoholkonsum ist von den Werten des mediterranen Stils inspiriert. Es geht also um einen Konsum, der mehr auf Qualität als auf Quantität beruht und immer in Verbindung mit geselligen Momenten und Speisen steht.

Haben Sie manchmal den Eindruck, sich als Hersteller alkoholhaltiger Getränke rechtfertigen zu müssen, ähnlich wie die Tabakindustrie?

Nein, wir müssen uns nicht für einen verantwortungsvollen Alkoholkonsum rechtfertigen. Unser Geschäft ist mit einer ausgewogenen Lebensweise durchaus vereinbar.

Bedeutet verantwortungsvolles Trinken auch, hochwertigere Getränke zu konsumieren?

Das sieht man bereits: Die Leute trinken weniger, aber dafür teurer. Selbst beim Bier, wo Craft-Beer oder IPA beliebter werden. Beim Wein ist es dasselbe – und natürlich auch bei Spirituosen.

Wie wichtig ist für Sie die Pop-Kultur? Der Cosmopolitan beispielsweise hat seinen Erfolg massgeblich der Serie «Sex and the City» zu verdanken.

Das stimmt. Aber solche Beispiele gab es seither kaum mehr. Bei Filmen und Serien verpassen wir als Industrie ein bisschen eine Chance. Wir könnten ruhig mehr mit Netflix und Co. zusammenarbeiten. In der zweiten Staffel der amerikanischen Serie «White Lotus», die auf Sizilien spielt, haben die Charaktere immer wieder Aperol Spritz getrunken. Die Verkäufe in den USA stiegen danach um 50 Prozent an.

Suchen Sie aktiv die Kooperation mit Filmstars?

Das würden wir natürlich gerne, aber diese Stars sind teuer und haben bestimmte Vorstellungen. Oft wollen sie, dass die Marke zu ihrer wird. Es ist unter amerikanischen Promis ein Trend geworden, eigene Drinks zu lancieren, einen eigenen Gin oder Tequila. Manche von diesen Projekten sind erfolgreich, aber viele scheitern. Oft fehlen ihnen die richtigen Vertriebskanäle.

Noch eine letzte Frage: Was ist Ihr Lieblingsdrink?

Ich habe zwei: Negroni und Lallier, ein Champagner.

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