Die frühere britische Kronkolonie will demnächst ein eigenes Gesetz zur nationalen Sicherheit einführen. Medienschaffende sind alarmiert.
Es war ein denkwürdiger Auftritt, den Hongkongs Regierungschef John Lee am 30. Januar absolvierte. «Ausländische Geheimdienste, die CIA und britische Dienste haben öffentlich erklärt, dass sie gegen China und Hongkong arbeiten», wetterte Lee an einer Pressekonferenz zum Auftakt der Konsultationsphase für Hongkongs neues Gesetz zur nationalen Sicherheit.
Mit dem geplanten Gesetz, so der frühere Polizeichef weiter, wolle sich Hongkong «gegen Angriffe ausländischer Kräfte und anderer Länder schützen». Lee übernahm damit praktisch wortgleich die Rhetorik des chinesischen Staats- und Parteichefs Xi Jinping, der ausserhalb der Grenzen Chinas überall Bedrohungen wittert. Es ist dies nur eines von immer mehr Indizien, dass Hongkong mehr und mehr zu einer chinesischen Stadt wie viele andere wird.
Noch bis zum 28. Februar liegt der 110-seitige Entwurf für Hongkongs Gesetz zur nationalen Sicherheit zur Einsicht und Kommentierung aus. Spätestens im Juli will die Regierung das neue Regelwerk offiziell in Kraft setzen. Es ist nicht zu erwarten, dass die Behörden an der Vorlage noch gravierende Änderungen vornehmen. Denn augenscheinlich hat Hongkongs grosser Bruder, die Regierung in Peking, bei dem Entwurf Feder geführt.
Angriff auf die Pressefreiheit
Journalisten befürchten durch das neue Gesetz einen weiteren Angriff auf die Pressefreiheit in der Stadt mit 7,5 Millionen Einwohnern. «Das Gesetz könnte Auswirkungen auf die journalistische Arbeit in Hongkong haben», sagt etwa Ronson Chan. Der Hongkonger arbeitete bis Ende 2021 für das Nachrichtenportal Standnews. Dann schloss die Regierung die Plattform wegen allzu regierungskritischer Berichterstattung.
Jetzt steht Chan in Diensten des Nachrichtenkanals Channel C, der über Youtube verbreitet wird. Gleichzeitig ist er Vorsitzender der Hongkong Journalism Association. Chan stört sich vor allem an den Ausführungen zum Straftatbestand des Verrats von Staatsgeheimnissen in dem Gesetzesentwurf.
Schwammig definierte Paragrafen
Noch sind die entsprechenden Paragrafen nicht ausformuliert. Doch Chan befürchtet, dass der Hongkonger Regierung die Definition von Staatsgeheimnissen ähnlich schwammig geraten könnte, wie dies in China der Fall ist. «Das können dann ja schon Wirtschaftsdaten oder der Gesundheitszustand eines Politikers sein», sagt der Journalist. Die Freiräume für ihn und seine Kollegen würden damit weiter eingeschränkt.
Der gesamte Duktus des Gesetzesentwurfs erinnert stark an die Wortwahl der Gesetzgeber in Peking; das Regelwerk zielt auf die gleichen Vergehen ab wie die entsprechenden Gesetze in China. In fünf Kapiteln listet das Hongkonger Papier die verschiedenen Tatbestände auf – Landesverrat, Aufwiegelung zum Aufstand, Diebstahl von Staatsgeheimnissen, Sabotage und Einmischung von aussen –, die die nationale Sicherheit beeinträchtigen.
Fallen die Definitionen der Vergehen wie zu erwarten ähnlich vage aus wie bei entsprechenden Pekinger Gesetzen, wäre etwa Kritik an politischen Vorhaben nicht mehr möglich, Peking hätte die Kontrolle über die einst pulsierende und bunte Stadt komplett übernommen.
Gemäss Artikel 23 der Hongkonger Verfassung, des sogenannten Basic Law, ist Hongkong verpflichtet, ein Gesetz zur nationalen Sicherheit einzuführen. Ein erster Versuch im Jahr 2003 scheiterte an massiven Protesten. Zeitweilig gingen bis zu eine halbe Million Menschen gegen das geplante Gesetz auf die Strasse.
Im Juli 2020, ein Jahr nach den heftigen Protesten, die sich an einem umstrittenen Auslieferungsgesetz Hongkongs entzündet hatten, führte Peking ein eigens für die Stadt formuliertes Gesetz zur nationalen Sicherheit ein. Das Gesetz machte die politische Opposition mundtot und schränkte die Freiheiten für Medienschaffende gravierend ein.
«Seit der Implementierung des Gesetzes geht es den Medien in Hongkong nicht mehr gut», sagt der Journalist Ronson Chan. Viele Sender und Zeitungen schickten ihre Reporter nicht mehr hinaus zu Recherchen. Chan sagt: «Es ist sehr schwierig, seriöse und wichtige Nachrichten zu bringen.»
Keine roten Linien
Dabei ist die Arbeit für Medienschaffende in Hongkong beinahe noch schwieriger als in China. In der Volksrepublik haben die Behörden die roten Linien klar gezogen: Medien müssen die Parteiideologie als ihre eigene Ideologie akzeptieren, die Parteipolitik propagieren und die Führung der Partei akzeptieren. Jeder Journalist weiss, worüber er in welcher Form berichten darf – und worüber nicht.
In Hongkong dagegen wissen Journalistinnen und Journalisten lediglich, dass die Behörden seit der Einführung des Gesetzes zur nationalen Sicherheit durch Peking jederzeit gegen sie vorgehen können. «Ich könnte der Nächste sein», sagt Yin Bong Lam mit Blick auf die zahlreichen in Hongkong inhaftierten Journalistinnen und Journalisten.
Seit 2021 kennt Hongkong ein Vergehen namens «sanfter Widerstand». «Niemand weiss allerdings, was der Begriff genau bezeichnet», sagt Lam vom Nachrichtenkanal Renews. Die Willkürherrschaft, so scheint es, hat in Hongkong Einzug gehalten. Die Medienschaffenden der Stadt stochern im Nebel und versuchen dennoch irgendwie weiterzuarbeiten.
Neue Proteste sind unwahrscheinlich
Lam arbeitete wie Ronson Chan für das inzwischen geschlossene Nachrichtenportal Standnews und berichtete von den Protesten im Jahr 2019. Jetzt betreibt der Hongkonger auf Instagram seinen eigenen Nachrichtenkanal. Dass die Hongkonger gegen das neue Gesetz zur nationalen Sicherheit wie 2019 noch einmal auf die Strasse gehen könnten, glaubt Lam nicht. Viele Kritiker sitzen im Gefängnis, andere haben Hongkong verlassen.
Jimmy Lai, Hongkongs prominentesten Journalisten, den Gründer und Chef der 2021 geschlossenen regierungskritischen Zeitung «Apple Daily», nahmen die Strafverfolgungsbehörden auf der Grundlage des chinesischen Gesetzes zur nationalen Sicherheit 2020 fest. Lai steht derzeit vor Gericht.
Gewaltiges Interesse am Prozess gegen Jimmy Lai
Das Interesse an dem Prozess ist gewaltig. An jedem Verhandlungstag stehen die Menschen schon am frühen Morgen vor dem Gerichtsgebäude im Stadtteil Kowloon Schlange, um einen der wenigen Besucherplätze zu ergattern, auch bei Regen, Wind und Kälte. Es sind Hongkonger aus allen gesellschaftlichen Gruppen: Pensionäre, Studenten, Hausfrauen und ältere Hongkonger im Hippie-Outfit.
Viele der Besucher verstehen ihre Anwesenheit auch als Solidaritätsbekundung gegenüber Lai. Die Staatsanwaltschaft versucht dem ehemaligen Verleger und Journalisten nachzuweisen, dass Artikel seiner Zeitung im Jahr 2019 die Hongkonger «aufgewiegelt» hätten.
Ganz tot scheint die politische Opposition wohl noch nicht zu sein. Womöglich sprach der Regierungschef John Lee an seiner denkwürdigen Pressekonferenz auch deshalb von der «Saat der Unruhe».