Gisbert Brunner ist einer der führenden Uhren-Experten weltweit – und seit über 60 Jahren Sammler. Ein Gespräch über Leidenschaft, spektakuläre Funde – und den Zeitmesser, den er bei seiner Beerdigung am Handgelenk tragen will.
Seine erste Uhr enttäuschte ihn, seine zweite machte ihn zum Helden des Pausenplatzes, und die sechste weckte seine Sammellust. Dann wurde er uhrensüchtig und bald auch hoch verschuldet. Bis er ein frühes Schnäppchen verkaufte – zum Preis eines Einfamilienhauses. Gisbert Brunner gilt heute als Uhrenpapst: Wir haben den versierten Sammler und Autor von unzähligen Fachbüchern in seinem Zuhause in München besucht.
Herr Brunner, wie hat Ihre Leidenschaft für Uhren begonnen?
Schon als Schüler träumte ich von einem Chronografen. Der erste, den ich kaufte, da war ich 15 Jahre alt, kostete rund 70 Mark – und war eine Enttäuschung: Wenn man die Stoppfunktion betätigte, blieb die Zeitanzeige stehen. Also wollte ich etwas wirklich Gutes und sparte auf eine Heuer Carrera, die ich mir dann auch kaufte. Für 311 Mark.
Etwas viel Geld für einen Schüler.
Ich trug jeden Freitag Zeitungen aus, ein Regionalblatt, 800 Exemplare. Dafür erhielt ich jeweils zehn Mark. An Weihnachten ging ich dann von Haustür zu Haustür, klingelte überall, überreichte die Zeitung und wünschte den Leuten frohe Weihnachten. Manchmal erhielt ich 50 Pfennige, manchmal auch fünf Mark. So hatte ich am Ende 500 Mark zusammen. Aber wegen der Uhr gab es Streit mit meinem Vater, der als Diplom-Ingenieur monatlich etwas über 600 Mark verdiente. Er fand meinen Kauf übertrieben und war wütend. Doch auf dem Schulhof war ich der Held. Alle wollten die Uhr mal tragen und ausprobieren.
Und es blieb nicht bei dieser einen Uhr.
1965, also ein Jahr später, träumte ich von einer Armbanduhr mit Wecker und kaufte mir eine Jaeger-Le Coultre Memovox. Die bimmelte so richtig schön. Ich ärgerte damit auch die Lehrer, wenn ich die Uhr im Unterricht läuten liess. Niemand kam auf die Idee, dass das Bimmeln von einer Armbanduhr stammen könnte.
Es dauerte nicht lange, und Brunner träumte von einem dritten Stück. Diesmal wollte er einen Chronometer, also eine als besonders genau zertifizierte Uhr. Es wurde eine Omega Constellation mit dem rotvergoldeten Kaliber 560. 1967, als Brunner zu studieren begann, fiel ihm auf einem Trödelmarkt in München die Auslage eines Händlers mit drei Uhren auf: eine Rolex Prince im charakteristischen viereckigen Silbergehäuse, eine Gigandet Wakmann mit dem Kaliber Valjoux 72 sowie eine Omega Genève mit Handaufzug. Er kaufte sie alle für 600 Mark.
War dies der Moment, in dem Sie das Uhrenfieber so richtig gepackt hat?
Wenn man sechs Uhren hat, beginnt man langsam, süchtig zu werden. Ich habe mich verstärkt mit dem Thema Uhren beschäftigt und auch immer wieder bei Händlern nachgefragt, ob sie etwas hätten.
Waren Sie auf ein bestimmtes Sammel-Thema aus?
Ich habe aus dem Bauch heraus gesammelt. Mechanische Armbanduhren. Und Pendeluhren. Die haben mich ebenfalls fasziniert.
Und so kam es bald zur Uhr, die später in Ihrem Leben eine grosse Rolle spielen sollte.
Das war 1973. Ich war mit dem Studium fertig und hatte mein erstes grösseres Geld verdient. In München, in der Maximilianstrasse, lag beim Juwelier ein Patek-Philippe-Schleppzeiger-Chronograph. Ich hatte ihn schon lange im Auge; er lag seit fünf Jahren in der Auslage. Ich ging ins Geschäft und fragte, ob man über den Preis reden könne. Am Ende einigten wir uns auf 10 560 Mark, angeschrieben war die Uhr für 14 000. Das war eine Stange Geld damals. Zum Vergleich: Ein VW Käfer kostete um die 4500 Mark. Aber ein Schleppzeiger-Chronograph ist die höchste Schule unter den Chronografen – da geht nichts darüber.
Haben Sie damals geahnt, dass irgendwann der Preis solcher Uhren stark steigen würde?
Nein. Ich habe alle meine Uhren gekauft, weil ich Freude daran hatte. Und ich ging davon aus, dass das Geld, das ich dafür ausgab, weg sei. Ich habe ausgegeben, was ich verdient habe und was mir die Bank geliehen hat. Und ich kann sagen, dass ich auf Teufel komm raus Uhren gekauft habe.
Es waren die 1970er Jahre, die beste Zeit zum Sammeln. Die Quarzuhr trat ihren Siegeszug an, für die mechanische Uhr schien das letzte Stündchen geschlagen zu haben. Die Händler waren froh, wenn sie ihre mechanischen Zeitmesser loswurden, und an den Flohmärkten gab es Schnäppchen ohne Ende. 1979 zum Beispiel, als Brunner in der Früh durch den Münchner Flohmarkt bummelte. Bei einer Frau lagen 500 Uhren in einer Kiste, fast alle rechteckig, eine schöner als die andere, alle verpackt in Ölpapier – IWC, Movado, Longines usw. 10 Mark wollte die Frau pro Stück dafür, denn keine funktionierte. Das Öl in den Werken war verharzt. Die Uhren hatte sie von einem Händler namens Huber für ihren Kindergarten erhalten, damit die Kinder damit spielen könnten. Brunner kaufte die ganze Kiste.
Und dann kam der Tag, an dem es kein Halten mehr gab. . .
Es war 1978, ich weilte beruflich in Augsburg. Beim Rathausplatz gab es einen Uhrenladen, Kirschfink hiess er, seit 20 Jahren geschlossen. Aber an jenem Tag hing ein grosses rotes Banner am Schaufenster: «Heute Wiedereröffnung – Sonderpreise». Ich trat ein, und da gingen mir die Augen über.
Warum?
Der hatte alles ab 1945/46 – IWC, Vacheron Constantin, Ebel, Tudor, Omega, alles, was das Herz begehrt. Die alten Preise hingen dran, und der neue Besitzer gab noch 30 Prozent Rabatt darauf – er wollte den alten Plunder, wie er meinte, loshaben. Es gab die IWC-Kaliber 89 für 70 Mark, die Ingenieur für 200, abzüglich Rabatt. Am Abend legte ich daheim 35 gekaufte Uhren aufs Bett und genoss ihren Anblick. Da kam meine Freundin und spätere Frau nach Hause . . .
. . . und war entsetzt?
Sie sagte: «Du spinnst.» Aber ich antwortete: «Das musste sein. Das war ein Wahnsinnsschnäppchen.»
Dennoch, es ging um viel Geld. Hatten Sie das einfach so auf der Seite?
Nein, ich hatte Schulden. Mir stand das Wasser bis zum Hals. Jede Woche rief mich die Bank an und wollte wissen, wann ich endlich damit beginnen wolle, Schulden zurückzuzahlen. Ich habe auch von meinen Freunden Geld geliehen, ich habe alles Geld organisiert, das ich zusammenkratzen konnte. Ich musste Zinsen bezahlen, manchmal 8 Prozent. Es war ein Irrsinn. Jeder hat mich für komplett verrückt erklärt. Und ich habe nie etwas verkauft. Die Uhren waren meine Babys, die sind mir ans Herz gewachsen.
Sie waren süchtig?
Total. Ich konnte nicht an einer guten Uhr vorbeigehen. Ich habe auch mal Checks ausgeschrieben, obwohl die eigentlich gar nicht richtig gedeckt waren. Aber irgendwie wurden sie dann doch immer eingelöst.
Einen VW Käfer Cabriolet besass Gisbert Brunner genau einen Tag lang. Dann wurde ihm eine Uhr angeboten – das Auto dafür verkauft. Und auf die Immobilie seiner Frau nahm er eine Hypothek auf, das verschaffte ihm wieder Liquidität. Und mithin neue Uhren: 800 Stück waren es schliesslich.
Irgendwann begannen Sie, Uhren doch auch zu verkaufen. War die Not zu gross?
Es ging um ein Haus, das ich Ende der 1980er Jahre kaufen wollte. «Mit welchem Geld willst du das denn bezahlen?», fragte meine später verstorbene Frau. «Keine Sorge», sagte ich. Und verkaufte meine Patek Philippe mit Schleppzeiger, die ich 1973 für 10 560 Mark erworben hatte, für 430 000 Mark. Da sagte meine Frau: «Von jetzt an kannst du jede Uhr kaufen, die du willst.»
Es war ein Paradigmenwechsel. Und er markierte den Beginn einer neuen Ära in der Welt der Uhren. Auch die 500 Huber-Uhren vom Flohmarkt wurden Brunner in den 1990er Jahren plötzlich buchstäblich aus der Hand gerissen – er verkaufte sie mit beachtlichem Gewinn. Schlagartig wurde dem leidenschaftlichen Sammler eines klar: Seine Uhren hatten einen Wert. Und dieser stieg rasant.
Ein Beispiel: Als Patek Philippe 1986 den Chronographen mit ewigem Kalender, Referenz 3970, vorstellte, war die Nachfrage verhalten. Man konnte das Modell problemlos mit 30 Prozent Rabatt erwerben. Doch nur drei Jahre später, nach dem 150-Jahre-Jubiläum der Marke 1989, explodierten die Preise – und die mechanische Armbanduhr als solche erwies sich generell als gesuchtes Investitionsobjekt.
Gisbert Brunner sammelte und etablierte sich parallel dazu als Autor. 1981 erschien sein erster Artikel in der vom legendären Uhrenpublizisten Christian Pfeiffer-Belli herausgegebenen Zeitschrift «Alte Uhren». Thema waren die Huber-Armbanduhren. Literatur über dieses Thema gab es damals nur sehr wenig. Daher geriet auch sein 1983 publizierter 400-Seiten-Wälzer «Armbanduhren», den er mit den Co-Autoren Helmut Kahler und Richard Mühe verfasste, zum internationalen, in mehrere Sprachen übersetzten Standardwerk. Viele Uhrenfans stellten es als ihr erstes Fachbuch ins Regal.
Es folgten zahlreiche weitere Artikel in Zeitschriften, Tageszeitungen und jährlich kurz vor der Messe Baselworld auch mehrseitig in der NZZ folgten. Oftmals in Zusammenarbeit mit seinem Kollegen Pfeiffer-Belli entstanden diverse Bücher, teilweise im Auftrag von Uhrenmarken, die ihr historisches Erbe aufarbeiten wollten.
Nicht immer war die Arbeit ungefährlich: Während der Recherche für ihr Audemars-Piguet-Buch – für das sie weltweit Sammler besuchten und nach wichtigen Modellen suchten – gerieten Brunner und Pfeiffer-Belli in Mumbai in einen Hinterhalt. Ein vermeintlicher Anbieter von Uhren hatte sie in einen Friedhof gelockt, wo sie plötzlich von zwielichtigen Gestalten mit gezückten Messern umringt wurden. In einem dramatischen Sprint retteten sich die beiden in ein nahestehendes Tuk-Tuk – die brenzlige Szene fand ihren Weg in ein japanisches Manga-Comic. In der japanischen Uhren-Community, so muss man wissen, ist der deutsche Uhrenpapst eine prominente Grösse.
Seine publizistische Arbeit setzt Brunner bis heute fort. Seit er 2011 seine eigentliche berufliche Tätigkeit durch Pensionierung beendet hat, hat er dafür auch erstmals wirklich Zeit. Mehr als 25 Bücher hat er mittlerweile veröffentlicht, darunter den über 180 000-mal verkauften Bestseller «Watch Book Rolex». Auch online in seinem Uhrenkosmos und auf Instagram ist der 77-Jährige sehr aktiv. Keine Uhren-News, die man nicht bei Brunner findet.
Sie schreiben bis heute regelmässig über Uhren. Sammeln Sie auch noch?
Das Feuer brennt noch, aber ich bin zurückhaltender geworden. Ich habe keine Lust, irrsinnige Summen für Uhren auszugeben, die ich seinerzeit für kleines Geld kaufen konnte. Und ich habe begonnen, auch neue Uhren zu kaufen. Meine Sammlung besteht heute zur Hälfte aus Vintage-Uhren, zur Hälfte aus neuen.
Welche neuen Uhren stehen bei Ihnen denn hoch im Kurs?
Natürlich Rolex – eine Marke, die ich schon seit Jahrzehnten liebe. Daneben Patek Philippe, Audemars Piguet, Lange & Söhne und ausgewählte Stücke anderer Hersteller.
Keine unbekannteren Marken?
Doch, natürlich, es kann beispielsweise auch mal eine französische Péquignet sein. Oder sonst eine Uhr mit einem aussergewöhnlichen Manufaktur-Kaliber. Aber nochmals: Ich kaufe zurückhaltend. Ich bin jetzt bald 78 Jahre alt und renne nicht mehr jeder Auktion nach. Ich will das Leben geniessen, gut essen, gut trinken und mit meiner jetzigen Frau verreisen.
Kann man heute noch Schnäppchen finden?
Kaum. Man muss richtig viel Vermögen mitbringen, wenn man tolle Sachen sammeln will. Aber es gibt schon auch Ausnahmen. Vor sechs Jahren entdeckten meine Frau und ich ganz hinten in der Auslage eines Pfandleihgeschäfts an der Ramblas in Barcelona eine kleine, rechteckige Audemars Piguet mit dem winzigen Baguette-Kaliber 104 von Le Coultre. Hergestellt in den 1950er Jahren. 146 Edelsteine zierten das Goldgehäuse und -band, Diamanten, Saphire, Rubine usw. Ein Traumstück. Der Händler meinte, sie laufe nicht mehr, man müsse noch die Batterie wechseln – und überliess sie mir für sehr moderate 2400 Euro. Meine Frau und ich haben den Fund umgehend mit Champagner gefeiert. Manchmal ist ein Wissensvorsprung ganz hilfreich.
Gibt es in Ihrer Sammlung ein Stück, welches Ihnen besonders am Herzen liegt?
Viele Uhren verknüpfe ich mit Erlebnissen. Ein besonderes Stück ist meine sogenannte Exit-Uhr. Erworben habe ich sie 1988, während ich in Genf am Patek-Philippe-Buch über Armbanduhren arbeitete. In der Mittagspause entdeckte ich im Schaufenster eines Gebrauchtuhrenhändlers eine Stahluhr mit der Aufschrift «Ecole d’Horlogerie de Genève». Als ich sie öffnen liess, sah ich sofort, dass innen das «Ecole»-signierte Patek-Philippe-Kaliber 12’’’-400 tickt. Offensichtlich war sich der Händler dessen nicht bewusst – er verlangte lediglich 500 Franken. Dabei gibt es davon schätzungsweise nur etwa 30 Stück. Die besten Uhrmacherschüler erhielten für ihre Schuluhr Werk und Gehäuse der Referenz 2509 von Patek Philippe. Sie durften die feine Mechanik zusammensetzen, regulieren und einschalen. Wenn ich irgendwann im Sterben liege, möchte ich diesen Zeitmesser gerne abschliessend an meinem Handgelenk tragen. Danach wird sich hoffentlich mein Sohn sehr lange daran erfreuen.
Sechs Gisbert-Brunner-Tipps für angehende Uhrensammler
- Setzen Sie lieber auf bewährte Klassiker als auf extravagante Exoten. Mechanische Uhren renommierter Marken lassen sich auch in 20 und mehr Jahren noch reparieren.
- Bevorzugen Sie eine Uhr mit Patina oder einem Kratzer am Gehäuse gegenüber einem Modell, bei dem das Zifferblatt aufgefrischt oder mit den Kratzern am Gehäuse auch alle Kanten gnadenlos wegpoliert wurden. Letzteres ist ein Sakrileg und entwertet die Uhr.
- Erwägen Sie den Abschluss einer Trageversicherung. Wer eine teure Uhr trägt, muss heute leider damit rechnen, dass sie gestohlen oder geraubt wird. Die Versicherung erstattet zumindest den Wert – ob man die Uhr jemals wiederfindet, ist eine andere Frage.
- Auf einen Uhrenbeweger können Sie verzichten. Eine Uhr, die nicht tickt, nutzt sich nicht ab – man lässt sein Auto ja auch nicht mit laufendem Motor in der Garage stehen. Sinnvoll ist ein Uhrenbeweger allenfalls für einen ewigen Kalender, der nach einem Stillstand oft nicht ganz einfach nachzustellen ist.
- Seien Sie wachsam, kaufen Sie Uhren nur aus vertrauenswürdigen Quellen, und lesen Sie auf Ebay und Co. die Beschreibungen ganz genau. Heute gibt es perfekt gemachte Fälschungen. Auch mit gefälschten Papieren dazu.
- Beobachten Sie den Graumarkt. Wenn eine neue Uhr dort bereits mit Rabatt erhältlich ist, kann das im Fachgeschäft ein Argument für einen Preisnachlass sein.
Beilage in der «Neuen Zürcher Zeitung»
Dieser Artikel ist Teil des NZZ-Schwerpunkts «Uhren & Schmuck», der am Ostersamstag, 19. April 2025, im Print erschienen ist. Weitere aktuelle Storys, Reportagen und Interviews aus der 18-seitigen Beilage sind im E-Paper der «Neuen Zürcher Zeitung» zu finden oder hier unten unter «Themenschwerpunkt Uhren & Schmuck»