Donnerstag, Oktober 10

Als sich die Berner im März vom Trainer trennten, stand der Klub an der Tabellenspitze. Jetzt spricht der Walliser erstmals über die Freistellung.

Raphael Wicky, wie ist das Gefühl, wenn man als Trainer auf Jobsuche ist?

Das weiss ich nicht, weil ich zurzeit nicht auf Jobsuche bin. Ich habe mich nach meiner Freistellung bei YB im März früh entschieden, dass ich im Sommer keine neue Mannschaft übernehmen werde. Es gab sofort viele spannende Kontakte und Anfragen, doch ich fühlte mich noch nicht bereit für eine neue Aufgabe.

Wie spürten Sie das?

Die Zeit bei YB war schön und sehr intensiv. Aber das Ende hat geschmerzt, zumal wir Leader waren und zwanzig grossartige Monate zusammen erlebt hatten. Ich realisierte, dass ich mich erholen muss. Energie tanken, analysieren, leben. Ich war noch nicht in der Lage, schon wieder mit voller Kraft als Trainer zu arbeiten. Das Feuer fehlte.

Was tun Sie derzeit?

Ich habe die Zeit genutzt, um Dinge zu machen, die sonst zu kurz kommen. Meine Frau und ich sind viel unterwegs, in diesen Tagen beispielsweise in Zermatt, bald gehen wir wieder fünf Wochen nach Los Angeles, in die Heimat meiner Frau. Und im Herbst werde ich hospitieren, mich weiterbilden, mein Netzwerk pflegen. Es gab im Frühling sehr interessante Vereine und Verbände aus fast allen Kontinenten, die sich bei mir meldeten. Das zeigt, wie erfolgreich wir bei YB waren. Und welche Strahlkraft YB besitzt. Ich durfte mit dem FCB und den Young Boys die zwei grössten Klubs der Schweiz trainieren und freue mich auf die nächste Herausforderung.

Trainer sein: Ist das gesund?

Gute Frage. Was ist gesund? Es ist einfach ein Job, der total anders ist. Es gibt keinen normalen Rhythmus, der Puls ist ständig hoch, alle drei, vier Tage gibt es eine Begegnung, es geht immer weiter. Der Beruf ist komplex und beinhaltet viele Dinge. Es geht nicht nur um die zwei Stunden Training am Tag. Im Grunde genommen ist man CEO eines KMU, mit 10, 15 Leuten im Staff, mit 20, 25 Spielern, mit Verein, Vorstand, Medien, Fans, Sponsoren, mit denen man im Austausch ist. Man kommuniziert ständig, nach oben, unten, nach links und rechts. Das ist herausfordernd und sehr spannend.

Kann man als Trainer Begegnungen auch geniessen?

Klar. Wenn wir mit YB in der Champions League gegen Manchester City spielten, schlief ich vielleicht nicht so viel, aber das waren auch für mich Festtage. Es geht darum, einen guten Umgang mit den Anforderungen zu finden. Das ist mir immer recht gut gelungen. Für mich ist wichtig, dass ich wirklich nie etwas über mich lese. Ich weiss ja am besten, wie meine Mannschaft gespielt hat. Deshalb bin ich den Journalisten gegenüber auch nicht voreingenommen. Oder haben Sie mich an einer Pressekonferenz einmal aufbrausend erlebt?

Sie haben in Bern nicht gemerkt, dass die lokalen Medien schon zum Einstand ein bemerkenswert kritisches Interview mit Ihnen führten?

Doch, natürlich, ich beantwortete ja diese Fragen. Und es gibt eine Presseabteilung, die einen informiert, wenn man etwas wissen muss.

Ist die allgegenwärtige Kommunikation die grösste Veränderung im Fussballgeschäft in den letzten zehn, zwanzig Jahren?

Durch das Internet und die sozialen Netzwerke ist alles noch viel schneller und intensiver und auch wilder geworden. Aber gilt das nicht für alle Lebensbereiche? Man muss sich als Trainer radikal abgrenzen. Und es ist entscheidend, seine Entscheidungen gut zu kommunizieren und den Spielern zu erklären. Als ich spielte, sprachen die Trainer viel weniger mit den Fussballern.

Ist es manchmal entwürdigend, wie Trainer, die unter Druck stehen, in der Öffentlichkeit dargestellt werden, wenn etwa geschrieben wird, das sei nun das Spiel der letzten Chance?

Wurde das bei mir auch geschrieben? Wie gesagt: Es hilft, wenn man nichts liest. Bei YB hatten wir eineinhalb sensationelle Jahre: Meister, Pokalsieger, Champions-League-Qualifikation, Überwintern im Europacup, viele lukrative Spielerverkäufe. Klar lief es Anfang 2024 nicht mehr wie am Schnürchen, mein Vertrag wäre Ende Saison ausgelaufen, es gab lange Zeit keine ernsthaften Gespräche, wie es weitergehen soll. Das war ungewöhnlich. Aber ich sah mich immer als Teil der Lösung, nie als Teil des Problems. Dann schieden wir gegen ein sehr starkes Sporting Lissabon im Europacup aus, und es folgte diese Woche mit den Niederlagen gegen Servette, im Cup beim FC Sion und dann beim FCZ. Das war’s.

Wie reagierten Sie auf Ihre Freistellung?

Ich habe bisher nie darüber gesprochen, weil ich der Meinung bin, dass es nichts bringt, über die Medien etwas zu erzählen, das man vielleicht in den Emotionen sagt und später bereut. Ein paar Monate danach kann ich sagen, ohne jemanden angreifen zu wollen: Die Entlassung traf mich sehr. Ich hätte mir nach diesen sehr erfolgreichen Zeiten und mit all den erfüllten Zielen natürlich mehr Unterstützung gewünscht. Es gibt keinen Trainer, der jubelt, wenn er entlassen wird.

Sie waren lange Profi. Spürt man, wenn es mit einem Trainer dem Ende entgegengeht?

Ich habe viele Trainerwechsel erlebt. Aber da steckten wir meistens tief im Abstiegskampf. Und ganz ehrlich: Als Spieler dachte ich immer nur daran, dass ich diesen Trainer, der am nächsten Tag in der Kabine stehen wird, davon überzeugen muss, dass er mich am Wochenende aufstellt.

Und als Trainer?

Ich hatte vor einem Spiel nie das Gefühl, dass es um meinen Job geht, im Gegenteil, das Verhältnis zu den Spielern war auch immer gut. Hätten wir mit YB gegen Servette gewonnen, hätte der Vorsprung zehn Punkte betragen. Als ich gehen musste, waren wir immer noch Leader. Würden Sie verstehen, dass Sie dann trotzdem nicht mehr die richtige Besetzung sind?

Man hörte, die YB-Verantwortlichen hätten andere Vorstellungen von Fussball gehabt als Sie. Zeigt Ihre Entlassung, dass die Young Boys letztlich auch ein normaler Fussballklub sind, der sich von Emotionen und Ergebnissen treiben lässt?

Es ist nicht an mir, das zu beurteilen. Ich wollte attraktiven, mutigen Fussball spielen lassen. Logisch, gelingt das nicht immer. Am Ende geht es um Resultate, diese waren ausgezeichnet, daran will man als Trainer gemessen werden. Das gibt mir viel Selbstvertrauen für die Zukunft. Fussball ist sehr schnelllebig, man wird fast täglich bewertet, das weiss man als Trainer und muss es aushalten können. Beim FC Basel spielten wir die beste Champions-League-Kampagne der Geschichte, sehr früh in der nächsten Saison wurde ich entlassen. Vielleicht haben die Verantwortlichen später gesehen, dass das eine Fehlentscheidung war. Aber kann ich diese Entwicklung ändern? Nein. Ich kann einzig mein Verhalten kontrollieren und versuchen, jeden Tag die beste Version von mir zu sein. Ich habe hart daran gearbeitet, eine dicke Haut zu bekommen.

Würden Sie mit St. Gallens Sportchef Roger Stilz, mit dem Sie befreundet sind, zusammenarbeiten?

Nicht in der Konstellation Trainer und Sportchef. Das gilt auch für Martin Schmidt, der bei Mainz arbeitet. Es gibt so viele Fussballklubs, da muss ich nicht bei den zwei Vereinen angestellt sein, bei denen Freunde von mir meine direkten Vorgesetzten wären. Diese Freundschaften sind mehr wert.

Fussballtrainer werden gerne in Schubladen gesteckt. Wofür stehen Sie?

Mir ist es wichtig, dass mein Team spielerische Lösungen findet, offensiv spielt, konstruktiv ist. Ich bin heute ein besserer Trainer als vor zwei Jahren. Und ich bin mit 47 Jahren immer noch ein eher junger Trainer, so empfinde ich das jedenfalls. Zudem glaube ich, dass ich ein gutes Gespür dafür habe, mit konstruktiven Menschen zusammenzuarbeiten.

Es hiess, bei YB hätten Vorgesetzte Einfluss darauf nehmen wollen, wen Sie aufstellen und wie das Team auftreten soll. Was ist für Sie das grösste Learning aus der Zeit bei YB? Noch kompromissloser zu sein?

Als Trainer nehme ich für mich in Anspruch, zusammen mit meinem Team immer über die Aufstellung zu entscheiden. Und mir sind Anstand, Respekt und Werte weiterhin sehr wichtig.

YB ist miserabel in die neue Saison gestartet. Fühlen Sie sich bestätigt, weil die Mannschaft eben nicht mehr so stark ist wie vorletzte Saison?

Ich bin wie alle auch überrascht, hat YB nach fünf Runden nur zwei Punkte auf dem Konto. Aber so denke ich nicht. Es gibt keine schlechten Gefühle, wir wohnen auch immer noch in Bern.

Sie gelten als Kosmopolit und lebten lange in Deutschland, Spanien und den USA. Welches Klischee über die Schweiz stimmt?

Ich höre oft, dass Schweizerinnen und Schweizer verschlossener seien und nicht so kontaktfreudig. Vielleicht geht es in anderen Ländern lockerer zu und her. Als ich in Madrid spielte, kamen aber die Möbel nicht an jenem Tag, an dem sie hätten geliefert werden sollen. Das findet man dann nicht mehr so locker und cool. Ich habe versucht, die besten Dinge aus unterschiedlichen Mentalitäten mitzunehmen. Mir gefällt die positive, lösungsorientierte Einstellung vieler Amerikaner. In den USA wird nicht gejammert, die Athletinnen und Athleten haben eine sensationelle Einstellung. Never give up.

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