Montag, Februar 24

Der Militärexperte Olexander W. Daniljuk wehrt sich gegen Trumps Schwarzmalerei und hält dessen Konzessionen an Russland für dumm. Im Gespräch sagt er, die Ukraine kämpfe zur Not auch ohne amerikanische Hilfe weiter.

Herr Daniljuk, die Lage der Ukraine am dritten Jahrestag der grossen russischen Invasion ist schwierig. Die Front hält zwar. Aber die Verteidiger müssen sich stetig zurückziehen.

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Moment, damit bin ich nicht einverstanden. Die Russen kämpfen immer noch dreissig Kilometer von jener Linie entfernt, an der sie 2022 ihren Angriff begonnen haben. Natürlich mussten wir völlig zerstörte Kleinstädte wie Awdijiwka oder Bachmut aufgeben. Aber wir halten weiterhin ein Stück Land in Kursk, und die Gewinne unseres Gegners sind eher symbolisch. Seine Überlegenheit in fast allen Bereichen nützt ihm auf dem Schlachtfeld wenig. Es herrscht grösstenteils ein Patt. Unsere Front kollabierte auch nicht, als 2024 monatelang keine Hilfe mehr aus den USA kam.

Doch die amerikanische Unterstützung ist heute unsicherer denn je: Donald Trump will sie einstellen und verhandelt mit den Russen über die Köpfe der Ukrainer hinweg. Spüren Sie das an der Front?

Nein. Die amerikanische Hilfe kommt weiterhin an, es gibt keine Unterbrechungen. Aber es ist natürlich ein sehr heikler Moment. Trump sagt immer, dass er «Frieden durch Stärke» wolle. Die Russen haben aber kein Interesse an einem Frieden. Auch mit seiner ganzen Verhandlungskunst erreicht Trump nur etwas, wenn er den Druck auf Moskau massiv erhöht. Davon sehen wir bis jetzt nichts.

Glauben Sie, dass Trump die Ukraine fallenlässt?

Ich sitze leider nicht im engsten Kreis der Präsidentenberater, obwohl ich ihm gerne einiges erklären würde (lacht). Aber ich sehe wirklich nicht, wie und weshalb sich die USA aus diesem Krieg zurückziehen sollen. Das würde sie als Grossmacht sehr beschädigen. Es ist dumm, dass Trump so viele Konzessionen macht, statt Russland vor Verhandlungen zu schwächen. Ich bin aber skeptisch, ob er wirklich das Verlangen hat, eine brutale Niederlage zu erleiden, indem er die Ukraine im Stich lässt. Das wäre für ihn und für die Republikaner politisch sehr schlecht. In der Partei sehen viele Russland als Feind.

Es gibt allerdings auch einen prorussischen Flügel, der an Bedeutung gewinnt. Kann dieser eine Abkehr von der bisherigen amerikanischen Politik erzwingen?

Bisher sehe ich den Unterschied gegenüber Präsident Biden vor allem in der Kommunikation. Trump stellt die Lage als katastrophal dar, und das ist sie einfach nicht. Man sollte das nicht tun, wenn man eine gute Vereinbarung machen will. Allerdings wollte auch sein Vorgänger die Ukraine nicht in der Nato, und er übte Druck aus auf die Europäer, uns gewisse Waffen nicht zu liefern. Er hatte immer nur Angst um das strategische Gleichgewicht mit den Russen. Trump befürwortet immerhin europäische Truppen in der Ukraine, anders als sein Vorgänger. Es ist also noch nichts verloren. Alles hängt von den nächsten Schritten des Weissen Hauses ab.

Sie haben die Rhetorik Trumps erwähnt, die Russland oft in die Hände spielt. Ist er in einer «Desinformations-Blase» gefangen, wie Präsident Selenski letzte Woche behauptete?

Ich weiss, dass die Geheimdienste Präsident Trump bereits vor seinem Amtsantritt mit Lagebeurteilungen versorgten. Er hat also Zugang zu den korrekten Informationen. Es wäre sehr tragisch für uns alle, wenn er nicht richtig instruiert würde.

Hat die neue Rhetorik aus Washington denn Ihrer Meinung nach eine geopolitische Wirkung?

Ja, Trumps Rhetorik beschädigt das internationale Image der USA. Wenn sogar die Europäer und Nato-Mitgliedsstaaten an den Amerikanern als Sicherheitsgaranten zweifeln: Wie ist das erst in Taiwan oder auf den Philippinen, für die es gar keine formalen Beistandspflichten gibt? Damit stärkt er Chinas Position, und dies auch in Europa.

Kiew und Peking pflegen gute Beziehungen, obwohl die Chinesen Russland unterstützen. Selenski meinte jüngst, diese könnten eine grössere Rolle spielen als Sicherheitsgaranten. Ist das realistisch?

Wieso sollten sie das tun? Die Chinesen wollen doch, dass die Ukraine zum Opfer wird, weil sie die Amerikaner fallenlassen. Damit können sie allen zeigen, dass die USA unglaubwürdig sind.

Trump bezeichnet Selenski als Diktator und gibt den Ukrainern die Schuld am Krieg. Was löst das im Land aus?

Die Leute scharen sich um Selenski, auch wenn sie ihn nicht mögen, weil sie eine solche Einmischung von aussen als Beleidigung verstehen. Natürlich nutzen die Russen diese Spannungen, um die Gräben in der euroatlantischen Gemeinschaft zu vertiefen. Aber so kommunizieren Trump und seine Leute eben. Wir sollten uns daran gewöhnen und aufhören, über die Medien miteinander zu reden. Mehr Diskretion und eine diplomatische Sprache wären hilfreich.

Jüngst sorgten auch Versuche, diskretere «Deals» abzuwickeln, für Empörung. So fand ein Vertragsentwurf, der den Amerikanern als Zahlung für geleistete Hilfe die Hälfte der ukrainischen Rohstoffe sichern sollte, den Weg in die Medien.

Der Druck auf die Ukraine, ein unfaires amerikanisches Angebot zu unterzeichnen, ist gross. Aber wir wollen unbedingt eine Vereinbarung, und wir müssen nun schauen, was wir erreichen. Vielleicht sind 20 oder 30 Prozent besser als die Hälfte. Und wir brauchen solide Sicherheitsgarantien dafür. Wir müssen darauf zählen können, dass Amerikaner und Europäer militärisch eingreifen, sollte Russland uns nach einem möglichen Waffenstillstand wieder angreifen. Wenn nicht, kämpfen wir ohne amerikanische Hilfe weiter.

Sind denn noch genug Ukrainer bereit dazu? Die Armee hat grosse Mühe, ihre Verluste zu ersetzen.

Wir haben wirklich grosse Probleme mit der Mobilisierung. Wir hatten lange so viele Freiwillige, dass die Regierung sich keine Gedanken darüber machte, wie sie andere Leute ermutigen könnte, in die Armee einzutreten. Viele sagten sich, dass der Krieg mit ihnen nichts zu tun hat, weil sie keine Helden sind. Nun kämpfen die Freiwilligen seit drei Jahren und werden nicht abgelöst. Das ist unfair. Die Regierung hat hier versagt. Dass gerade Politiker und ihre Verwandten immun gegen die Rekrutierung zu sein scheinen, verschlimmert die Sache noch.

Lässt sich dieses Problem lösen? Die Vorstellung, das zivile Leben gegen einen Schützengraben einzutauschen, ist nicht attraktiver geworden.

Es braucht eine Militarisierung der Gesellschaft, damit die Leute verstehen, dass der Dienst ihre Pflicht ist. Wir brauchen aber auch eine Begrenzung der Dienstzeit, bessere Löhne und mehr Werbung für die Armee. Dennoch: Trotz dem schrecklich schlechten System, das wir haben, schaffen wir es auch heute, genügend Soldaten zu finden.

Wäre das auch ohne amerikanische Waffen der Fall?

Kollabieren würden wir nicht. Die Russen sind weit davon entfernt, selbst relativ frontnahe Städte wie Dnipro oder Sumi zu erobern. Für die Ukraine lautet die Frage, wie viel mehr Blut und Schmerz es braucht, um diesen Krieg zu überleben. Ohne amerikanische Waffen litte die Zivilbevölkerung noch stärker, und es gäbe mehr Flüchtlinge in Richtung Europa. Aber wir wissen, was es heisst, unter russischer Besetzung zu leben. Wir wollen nicht, dass unsere Kinder in Konzentrationslagern aufwachsen. Wir kämpfen weiter für westliche Werte, sogar wenn der Westen selbst diese immer seltener vertritt.

Die Desillusionierung über den Westen nimmt in der Ukraine zu?

Ja, natürlich. Die Leute haben das Gefühl, dass sich die Amerikaner mehr für unsere Rohstoffe interessieren als für Souveränität und Demokratie. Manche glauben den Russen, wenn diese sagen: Schaut, der Westen hat euch betrogen, er hat euch Hilfe versprochen, und jetzt habt ihr ein zerstörtes Land. Die weltweit abnehmende Strahlkraft des westlichen Modells ist der bisher grösste Sieg Moskaus.

Gut vernetzter Militärexperte

Der 43-jährige Olexander Wolodimirowitsch Daniljuk gehört zu den renommiertesten ukrainischen Militärexperten. Der Anwalt und Aktivist war 2014 Chefberater des Verteidigungsministers und danach an Militäroperationen im Donbass beteiligt. In den letzten zehn Jahren leitete er die ukrainische Denkfabrik Centre of Defence Reforms und schrieb mehrere Bücher über Russlands hybride Kriegsführung. Der Associate Fellow am britischen Royal United Services Institute lebt in Kiew und pflegt enge Beziehungen zu ukrainischen Sicherheitskreisen.

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