Sonntag, Oktober 6

Am Opernhaus Zürich nahm seine Weltkarriere ihren Lauf, gerade hat er bei den Salzburger Festspielen und an der Pariser Olympiade gesungen. Aber Benjamin Bernheim erkennt auch die Gefahr, bloss auf die eindimensionale Rolle des «Star-Tenors» festgelegt zu werden.

Im August hatte Benjamin Bernheim seinen bislang spektakulärsten Auftritt, jedenfalls optisch gesehen: Bei der Abschlusszeremonie der Olympischen Spiele in Paris sang er die «Hymne à Apollon» von Gabriel Fauré. Im Stade de France stand der Tenor dabei mit hauchdünnem, meterlangem Mantel in einem fahrbaren Rad, während sein Klavierbegleiter, der Schweizer Pianist Alain Roche, an einem schief gelegten Flügel in den Nachthimmel gezogen wurde.

Von einem «Super-Tenor» sprach der deutsche Fernsehkommentator des Spektakels, wohl eine verunglückte Wortschöpfung aus «Superstar» und «Startenor». Doch egal: Wer vor einem Millionen-, wenn nicht Milliardenpublikum an den weltweiten Fernsehern singen darf, hat es definitiv über die engeren Klassik-Kreise hinausgeschafft. Das sieht er auch selbst so: «Es ist eine Form der Koinzidenz, dass ich in einem guten Moment meiner Karriere zu einem solchen Event eingeladen werde», sagt Bernheim im Gespräch. Irgendwie würden sich die Planeten für ihn gerade fügen.

Nur wenige Tage später stand er in der Titelpartie von Jacques Offenbachs «Hoffmanns Erzählungen» auf der Bühne der Salzburger Festspiele. Auch damit erfüllte sich für ihn ein Traum, besass doch schon sein Adoptivvater, der Bariton Antoine Bernheim, zwei wohl nur halblegale Mitschnitte der beiden vorangegangenen Salzburger Premieren desselben Stücks mit Plácido Domingo und mit Neil Shicoff. Ende September sang Bernheim dieselbe Rolle, eine der längsten und forderndsten des französischen Repertoires, dann auch noch an der New Yorker Metropolitan Opera. Der 39-Jährige scheint sich auf dem bisherigen Höhepunkt seiner Karriere zu befinden. Dass der Auftritt bei Olympia in seiner Geburtsstadt Paris stattfand, erhöhte auch für seinen eigenen Eindruck die Symbolwirkung.

Ein Schweizer Gewächs

Dabei könnte man den «französischen Tenor», wie er in Kritiken gern genannt wird, mindestens ebenso gut einen Schweizer Tenor nennen. Bernheim ist in Genf aufgewachsen und hat in Lausanne studiert, seine ersten Berufsschritte führten ihn ins Opernstudio des Opernhauses Zürich. 2010 wurde er dort vom Intendanten Alexander Pereira ins Ensemble übernommen, der ihn, später Intendant der Salzburger Festspiele, gleichfalls beim weltweit bedeutendsten Musikfestival einführte. Und auch Pereiras Nachfolger in Zürich, Andreas Homoki, setzt immer wieder auf Bernheim, zuletzt bei einer eindrucksvollen Aufführung von Puccinis «La Rondine», die zwar eine italienische Oper ist, aber immerhin in Paris spielt.

Bis heute lebt Bernheim, der auch bestens Deutsch spricht, mit seiner Familie hauptsächlich in Zürich, obwohl er daneben einen Wohnsitz in Paris hat. Doch sein kultureller Hintergrund, sagt er selbst im Gespräch, sei stärker französisch geprägt. Was in der Schweiz insofern kein Problem ist, als sie in Sachen Mehrsprachigkeit ohnehin eine, wie Bernheim es ausdrückt, «Wegkreuzung Europas» sei. Aber insofern doch nicht unwichtig, als Bernheim sich vorgenommen hat, seinen französischen Hintergrund in Zukunft stärker zu betonen, vor allem bei der Rollenauswahl. Denn das französische Repertoire, so ist er überzeugt, «wurde in den letzten zwanzig Jahren sehr schlecht bedient».

Ihn treibt also die Sorge um, dass im Zuge der Globalisierung des Klassikmarkts seine Muttersprache auf den Bühnen an den Rand gedrängt wird, vor allem durch das italienische und das deutsche Repertoire. Nur «Carmen», sagt Bernheim, werde immer und überall gespielt, aber schon Charles Gounods «Roméo et Juliette» erklinge inzwischen selbst in Frankreich eher selten, obwohl diese Shakespeare-Oper «eine Säule des französischen Repertoires» sei – er hat das selbst, ebenfalls in Zürich, als Roméo nachdrücklich unter Beweis gestellt.

Leichtigkeit und Eleganz

Eine Liebeserklärung an das Land ist ebenso Bernheims jüngstes, Ende August erschienenes Album – schon dem Titel nach, der einem berühmten Gassenhauer von Charles Trenet entnommen ist: «Douce France». Tatsächlich verbindet Bernheim darauf drei Klassiker des jüngeren Chansons mit französischen Liedern aus dem 19. Jahrhundert – und wagt sich zugleich erstmals in einer Einspielung auf das Terrain des nur klavierbegleiteten Liedes. Er verstehe es auch als Ermutigung für Sänger anderer Nationen, sagt er, vor der französischen Sprache nicht zurückzuschrecken.

Doch so unvertraut, wie er behauptet, sind die «Mélodies» von Berlioz, Chausson und Duparc auch in deutschsprachigen Gefilden nicht. Ebenso wenig wie die Opernrollen, die Bernheim nun verstärkt in den Fokus nehmen will: Roméo, Werther in der gleichnamigen Oper von Massenet, Des Grieux in dessen «Manon», bald auch Don José in «Carmen». Da gäbe es im französischen Musiktheater in Wahrheit noch ganz andere Raritäten zu entdecken. Zudem will Bernheim auch keineswegs alle italienischen Partien aufgeben, etwa weiterhin in Puccinis «La Bohème» auftreten, ebenso in Verdis «Un ballo in maschera» und «Simon Boccanegra», möglicherweise irgendwann sogar als Wagners Lohengrin.

Vielleicht handelt es sich deshalb beim prononcierten Bekenntnis zum Französischen eher um eine Abgrenzungsstrategie von einer viel umfangreicheren Rolle, die Bernheim in den letzten Jahren zunehmend zugeschrieben wurde: die des Star-Tenors, des «Tenorissimo», der erwartungsgemäss gerade auch im italienischen Fach brilliert. Dass Bernheim nebenbei optisch eine gute Figur auf der Bühne macht, hat sicher nicht geschadet. Dabei war seine Stimmführung schon immer französisch geprägt, ausgelegt auf Leichtigkeit, Eleganz und weichen Fluss, überzeugend vor allem durch die Klarheit der Tonbildung und die intelligente Deklamation.

Was dagegen fehlt, ist die glühende Emphase, die rückhaltlose Expressivität, die man im italienischen Fach erwarten darf, auch die bombensichere Attacke in der Höhe. Stattdessen wahrt Bernheim zu seinen Rollen immer eine gewisse Distanz, die man positiv als Noblesse, negativ als Kühle beschreiben kann. «Ich stelle meine Stimme in den Dienst des Geschichtenerzählens», erklärt er, «das ist mir wichtiger, als eine grosse Stimme zu haben.»

«Faszinierende Erfahrung»

Dem Klassikmarkt ist so etwas im Zweifelsfall egal, er sucht einfach nur den «Super-Tenor». Doch ebenso gesucht, wie Supertenöre sind, so leicht werden sie auch wieder fallengelassen. Der Fall von Rolando Villazón, der sich in schwereren italienischen Tenorrollen früh verglüht hat, ist dafür nur das bedauerlichste Beispiel. Sich von solchen Marktmechanismen abzugrenzen, kann zweifellos klug sein.

Umso heikler allerdings, dass Bernheim in jüngster Zeit auch im französischen Fach nicht rückhaltlos überzeugen konnte. Die Kritiken für «Hoffmanns Erzählungen» bei den Salzburger Festspielen fielen nicht günstig aus, geschuldet vor allem der Inszenierung von Mariame Clément. Weil sie aus der Titelfigur unbedingt einen verschrobenen Autorenfilmer machen wollte, stand Bernheim vorzugsweise am Rand des emotionalen Geschehens herum. Er selbst haderte damit aber laut eigener Aussage nicht. Eher sah er «eine faszinierende Erfahrung» darin, «mehr als Schauspieler denn als Sänger» gefordert zu werden.

Unbedingt allein verantwortlich dagegen ist Bernheim für die bereits erwähnte neue Liedplatte, die bemerkenswerte technische Leerstellen zeigt. Viele Ansätze klingen rau, Bögen oft unstet, die Tiefen bleich, Ausflüge in die Halbstimme ungewohnt mühsam, besonders in aufsteigenden Phrasen. Was nicht besser wird durch das interpretatorisch kaum eigenständige, oft gläserne Klavierspiel von Carrie-Ann Matheson, die Bernheim als Stimmcoach an der Zürcher Oper kennengelernt hat. Entweder liegt das Lied Bernheim weniger als die Oper, oder die Platte ist ein Ausdruck davon, wie sehr er sich kurz vor dem vierzigsten Geburtstag in einer Orientierungsphase befindet.

Höhepunkte einer Karriere sind immer auch Wegkreuzungen; das mit Energie bestiegene und endlich erreichte Hochplateau will erst einmal verteidigt werden. Man muss hoffen, dass Bernheim den Weg findet, der seinen Möglichkeiten entspricht.

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