Donnerstag, September 11

Das Flanders-Festival hat die Münchner Philharmoniker und deren künftigen Chefdirigenten ausgeladen – mit einer äusserst fragwürdigen Begründung. In der deutschen Politik werden Antisemitismusvorwürfe laut.

Sie lesen einen Auszug aus dem Newsletter «Der andere Blick am Abend», heute von Christian Wildhagen, Feuilletonredaktor der NZZ. Abonnieren Sie den Newsletter kostenlos. Nicht in Deutschland wohnhaft? Hier profitieren.

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Diese Absage ist eine Ausladung: Das Flanders-Festival in Gent hat den Münchner Philharmonikern und ihrem Dirigenten den Stuhl vor die Tür gestellt. Dies allein wäre ungewöhnlich genug – immerhin hatte das Festival den am 18. September vorgesehenen Auftritt ursprünglich als «künstlerisches Highlight» angekündigt. Beispiellos ist jedoch die Begründung, die die Veranstalter auf ihrer Website nachliefern.

Darin wird die Absage konkret an der Person des israelischen Dirigenten Lahav Shani festgemacht. Shani, 1989 in Tel Aviv geboren, ist designierter Chefdirigent der Münchner ab 2026; schon seit 2020 leitet er ausserdem das Israel Philharmonic Orchestra. Auf dieses zweite Amt in Israel bezieht sich die Absage.

«Im Lichte seiner Rolle als Chefdirigent des Israel Philharmonic Orchestra sind wir nicht in der Lage, für die nötige Klarheit über seine Haltung dem genozidalen Regime in Tel Aviv gegenüber zu sorgen», heisst es in der Erklärung des Festivals. In Übereinstimmung mit einem Aufruf der flämischen Kulturministerin und örtlicher Institutionen habe man entschieden, «keine Zusammenarbeit mit Partnern zu pflegen, die sich nicht eindeutig von diesem Regime distanziert haben».

Antisemitismusvorwürfe

Die Ausladung und die unverkennbar ideologisch gefärbte Bezeichnung «genozidales Regime» sorgen seither für heftige Kritik, namentlich vonseiten zahlreicher deutscher Politiker. Das Flanders-Festival schicke damit «schreckliche antisemitische Misstöne in die Welt», sagte etwa Bayerns Kunstminister Markus Blume. Dass die Münchner Philharmoniker ausgeladen würden, weil ein Israeli am Pult stehe, sei «nichts anderes als grober Antisemitismus», so Blume.

Der deutsche Kulturstaatsminister Wolfram Weimer sekundierte: Unter dem «Deckmantel vermeintlicher Israel-Kritik» werde hier ein «Kultur-Boykott» betrieben. «Wenn es akzeptabel wird, deutsche Orchester und jüdische Künstler kollektiv auszuladen, ist eine rote Linie überschritten.» Europäische Bühnen dürften nicht zu Orten werden, «an denen Antisemiten den Spielplan diktieren. Das wird Deutschland nicht hinnehmen – wir werden das Thema auch in die europäische Kulturpolitik tragen», kündigte Weimer an.

Fragwürdige Begründung

Tatsächlich wirkt die vom Festival vorgebrachte Begründung gleich in mehrfacher Hinsicht irritierend. So wird Lahav Shani zwar ausdrücklich zugestanden, dass er sich in der Vergangenheit wiederholt «für Frieden und Versöhnung» ausgesprochen habe – was den Tatsachen entspricht. Gleichzeitig scheint die Formulierung «genozidales Regime» jedoch nahezulegen, dass man von ihm eine Verurteilung von Israels Vorgehen in Gaza als Genozid verlangte. Eine solche Forderung geht entschieden zu weit. Damit disqualifizieren sich die Festivalmacher selbst – umso mehr, als sie wissen müssten, dass jeder Künstler auch das Recht hat, sich nicht zu politischen Fragen zu äussern. Gesinnungsprüfungen sind eine Sache von Diktaturen.

Der Vorwurf, Shani habe sich nicht eindeutig von der Politik der israelischen Regierung distanziert, ist auch noch aus einem anderen Grund befremdlich. Er erinnert nämlich an den Fall des russischen Dirigenten Valery Gergiev. Dieser wurde 2022 von der Stadt München als Chefdirigent der Philharmoniker entlassen, weil er sich nicht von der Kriegspolitik seines Förderers Wladimir Putin distanzieren wollte. Shani tritt nach einem Interim von vier Jahren Gergievs Nachfolge an. Eine Gleichsetzung der beiden Fälle, ob von den Festivalmachern beabsichtigt oder nicht, ist in der Sache falsch und unangemessen.

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