Donnerstag, November 28

Der Bundesrat lehnt die Neutralitätsinitiative der SVP ab. Die FDP spricht sogar von einer «Pro-Putin-Initiative».

Die Neutralität hat einen hohen emotionalen Wert in der Schweiz. Es dürfte daher für den Bundesrat nicht ganz einfach werden, zu erklären, warum es die Neutralitätsinitiative der SVP nicht braucht. An der Medienkonferenz am Mittwoch hat es Ignazio Cassis zuerst mit einer kleinen Würdigung versucht. Die Neutralität sei «Teil der Schweizer Identität» und ein wichtiges aussenpolitisches Instrument, sagte der Aussenminister. Um dann aufzuzeigen, dass es der Bundesrat sei, der die Tradition der Neutralität hochhalte, nicht die SVP.

Bereits im Sommer hatte der Bundesrat verkündet, die Verfassungsänderung ohne Gegenvorschlag abzulehnen. Nun hat er die entsprechende Botschaft ans Parlament verabschiedet. Der Bundesrat wolle an der «bewährten Praxis» einer «flexiblen Neutralität» festhalten, sagte Cassis am Mittwoch. Die Neutralität sei 1848 bewusst nie inhaltlich definiert, sondern stets an die aussenpolitischen Umstände der Schweiz angepasst worden. So solle es bleiben, zum Wohle der Sicherheit und des Wohlstands des Landes.

Tatsächlich war die Neutralität immer viel schwammiger, als sie die SVP darzustellen versucht. Die Partei möchte die «immerwährende, bewaffnete Neutralität» in die Verfassung schreiben. Diese definiert heute nicht, was Neutralität genau bedeutet, sondern legt lediglich fest, dass Bundesrat und Bundesversammlung «Massnahmen zur Wahrung der äusseren Sicherheit, der Unabhängigkeit und der Neutralität der Schweiz» zu treffen hätten.

Dazu orientiert sich die Schweiz an zwei widersprüchlichen Vorgaben. Einerseits an der Haager Konvention von 1907. Diese stammt aus einem Zeitalter des Imperialismus und Kolonialismus. Damals durften Staaten Machtinteressen auch mit Krieg durchsetzen. Neutralität hiess, beide Kriegsparteien, ob Aggressor oder Opfer, gleichzubehandeln. Gleichzeitig ist die Schweiz Mitglied der Uno. Sie verbietet Angriffskriege und verurteilt Völkerrechtsverletzungen.

Sanktionen verbieten

Seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt die Schweizer Politik entsprechend hitzige Diskussion, wie man auf den Völkerrechtsbruch Russlands reagieren solle. Dabei geht es vor allem um Sanktionen und Waffenexporte. Nach anfänglichem Zögern beschloss der Bundesrat im Februar 2022, die EU-Sanktionen gegen Russland zu übernehmen. Gleichzeitig untersagte er es Ländern wie Deutschland, Dänemark oder Spanien, in der Schweiz gekauftes Rüstungsmaterial an die Ukraine weiterzugeben. Das Parlament ist bis heute gespalten, die Diskussion noch nicht abgeschlossen. Unter anderem, weil das Exportverbot Folgen hat: Der Schweizer Rüstungsindustrie gehen deswegen mittlerweile Aufträge verloren.

Die SVP möchte nun ein paar dieser Fragen abschliessend klären. Sanktionen will sie verbieten, ausser es handelt sich um Massnahmen der Uno. Und auch die Zusammenarbeit mit Militärbündnissen sollen nur im Falle eines Angriffskriegs erlaubt sein. Die starre Neutralität, davon ist die SVP überzeugt, sei das beste Mittel zum Frieden. Sie setzt darauf, dass Aggressoren kein Land angreifen werden, das sich konsequent aus allen Händeln heraushält.

Der Bundesrat dagegen sieht in der Initiative eine Gefahr für die Verteidigungsfähigkeit der Schweiz. So könnten Schweizer Truppen nicht mehr mit dem Verteidigungsbündnis Nato oder mit der EU trainieren. Im Falle eines Angriffs stünde sie allenfalls alleine da: Es sei «fraglich», ob solche Bündnisse und Partnerstaaten unter diesen Umständen überhaupt bereit wären, die Schweiz zu unterstützen, schrieb der Bundesrat in der Botschaft. Dazu kämen unter anderem mögliche Reputationsschäden, wenn sich die Schweiz bei Sanktionen nicht «solidarisch» zeige.

Die FDP zeigte sich erfreut über die Botschaft des Bundesrats. Die «Pro-Putin-Initiative» der SVP würde die Schweiz in ein starres Korsett zwängen und ihre Handlungsfähigkeit massiv einschränken, schrieb sie in einer angriffigen Medienmitteilung. Die Partei setze die Interessen von Despoten über diejenigen der Schweiz. Der Freisinn sei für die «bewährte, flexible Neutralität».

Die Schweiz kann sich nicht verteidigen

Andere wünschen sich eine Neuausrichtung, die sich mehr am Völkerrecht orientiert. Dazu gehört die 21-köpfige Studienkommission, die Bundespräsidentin Viola Amherd im Sommer 2023 eingesetzt hatte. Die Mehrheit der Kommission empfiehlt, die Neutralitätspolitik solle sich stärker an der Uno-Charta ausrichten. Dasselbe fordert eine Gruppe rund um den emeritierten Staatsrechtsprofessor Thomas Cottier und den freisinnigen Altständerat René Rhinow. Im Mai präsentierten sie ein Zehn-Punkte-Manifest für eine «Neutralität 21».

Die Schweizer Armee sei nicht in der Lage, das Land allein zu verteidigen, schrieb Cottier kürzlich in einem Beitrag und formulierte ein ziemlich extremes Szenario. Versuche, Bündnisse erst nach Kriegseintritt abzuschliessen, wie es die SVP fordert, würden «hoffnungslos zu spät kommen». Das Land müsse damit rechnen, «dass strategisch wichtiges Gelände inmitten Europas bei drohenden Konflikten von der Nato präventiv besetzt werden muss».

Eine schlecht verteidigte Schweiz, die für Europa zum Sicherheitsrisiko wird und teilweise besetzt wird – so weit geht der Bundesrat in seinen Überlegungen nicht. Und auch von einer Neuausrichtung der Neutralität kann nicht die Rede sein. Die Landesregierung hält an der Haager Konvention fest. «Die Neutralität darf nicht eingeengt werden», sagte Cassis an der Medienkonferenz. Offenbar weder in die eine oder andere Richtung. Sonst werde der Handlungsspielraum des Bundesrats eingeschränkt. Die Frage ist, ob der Bundesrat den Spielraum nutzen will. Cassis selbst ist vor zwei Jahren mit der Idee der «kooperativen Neutralität» aufgelaufen.

Exit mobile version