Freitag, Oktober 18

Die portugiesisch-britische Künstlerin Paula Rego ergründet die Machtverhältnisse der Geschlechterbeziehungen. Das Kunstmuseum Basel zeigt die erste Ausstellung in der Schweiz, wo sie immer noch als Entdeckung gilt.

Ein Schlafzimmer. Eine Frau. Zwei Mädchen. Und ein Mann. Er sitzt auf der Bettkante. Breitbeinig. Manspreading nennt man das heute. Ein Neologismus, der umschreibt, wie sich Männer zu viel Raum nehmen. Das Phänomen fällt vor allem Frauen auf. Etwa in öffentlichen Verkehrsmitteln. In dem Gemälde ist der Raum ein privater. Sehr privat. Und es herrscht ein Gefühl der Beklemmung vor. Was passiert da genau?

Wird dieser Mann im Anzug gerade bekleidet oder ausgezogen? Zu melden hat er nicht viel. Seine Regungen sind im Keim erstickt. Der eine Arm der Frau verschliesst ihm Mund und Nase. Das eine Mädchen drängt sich zwischen seine Beine. Das andere beobachtet die Szene – in Erwartung von was auch immer.

Dieser Mann ist ausgeliefert. Da ist zwischen Fürsorglichkeit und Übergriff kaum noch zu unterscheiden. Paula Regos Bild heisst «The Family». Es ist 1988 entstanden. Und jetzt im Kunstmuseum Basel zu sehen: ein Schlüsselwerk der portugiesisch-britischen Künstlerin (1935–2022).

Subversive Revolte gegen ein Ideal

Die Familie und ihre Machtkonstellationen: ein Minenfeld von einem Thema. Und eines, das Rego mit Vorliebe beackert hat. Wobei in ihren Bildern die gängigen Machtverhältnisse umgepflügt werden. Da wird gewühlt, gegraben und freigelegt, was manchmal nur dicht unter der Oberfläche liegt. Etwa, dass auch Frauen übergriffig sein können.

Die Frauenfiguren in ihren Gemälden sind zwar devote Dienerinnen, beflissene Hausangestellte, hilfsbereite Schwestern und wohlerzogene Töchter aus gutem Hause – auf den ersten Blick. Sie scheiteln und kämmen Jünglingen das Haar, polieren Männerstiefel auf Hochglanz. Doch die Handlungen erhalten eine latent erotisch-aggressive Note.

Man schaut nochmals hin, traut seiner eigenen Wahrnehmung nicht ganz. Paula Rego pflegt in ihrer Kunst eine ebenso abgründige wie subversive Revolte gegen das angebliche Ideal des braven Mädchens, der unterwürfigen Frau. In ihren Bildern gerät das traditionelle Machtgefüge zwischen den Geschlechtern ins Wanken.

Auf besonders subtile Weise passiert das im Gemälde «The Cadet and His Sister» (1988): Die ältere Schwester schnürt ihrem Bruder in Uniform die Schuhe. Sie hat buchstäblich die Fäden in der Hand. Die Hände des zarten Jünglings stecken dagegen in weissen Handschuhen: Er weiss noch wenig vom Leben; geschützt von der Welt wird er durch eine hohe Mauer.

Hinter ihr führt eine Allee in die Weite. Sie kennt die ganze Perspektive. Neben ihr liegen ihre Handschuhe. Sie weiss, wie die Dinge anzupacken, zu hantieren sind, sie tut es mit blossen Händen. Da ist auch mit weiblichen und männlichen Geschlechtsorganen assoziierte Symbolik auszumachen: Die Handtasche der Schwester mit rotem Futteral steht leicht geöffnet im Sonnenlicht. Im linken unteren Bildrand hingegen sucht ein zerbrechlicher Keramik-Gockel Schutz im Schatten der Bank.

Verbotene Spiele

Paula Regos Kunst lebt vom psychologischen Kippeffekt. Darin war die vor zwei Jahren im Alter von 87 Jahren verstorbene Malerin eine Meisterin. Heute ist sie in Grossbritannien, ihrer Wahlheimat, längst ein Star. Dieses Attribut hat sie sich in einer langen Künstlerkarriere erstritten. Ausserhalb der Insel ist sie immer noch ein Geheimtipp. Das dürfte sich nun mit der grossen Retrospektive im Kunstmuseum Basel ändern.

Manspreading ist, was Paula Rego ihrerseits und als Reaktion auf die männlich dominierte Kunstwelt tat, in der sie sich ihren Raum erst erobern musste. Und sie tut es ganz konkret auf einem grossen Gemälde gleich zu Anfang der Schau. Darauf sitzt die Künstlerin breitbeinig in ihrem Atelier und raucht Pfeife. Die Deklaration ist klar: In dieser Ausstellung werden die Geschlechterrollen neu verhandelt.

Paula Rego wuchs in Lissabon während der Diktatur Salazars auf – in einer Zeit, die für die Frauen vor allem die Rolle am häuslichen Herd vorgesehen hatte. «Definitiv ein tödliches Umfeld für Frauen», wie Rego einmal bemerkte. Ihr demokratisch eingestellter und anglophil geprägter Vater schickte seine Tochter nach England, an die Slade School of Fine Art in London. Von dort aus begann Rego die Beschränkungen in ihrer autoritär regierten, pa­triarchal geprägten Heimat zu reflektieren.

Bereits Paula Regos früheste Arbeiten erzählen davon, wie sich Frauen ihren Raum zurückerobern. Diese Bilder waren noch einer kindlich-bilderbuchhaften Bildsprache verpflichtet. Dennoch sorgen in den knallbunten, grob hingepinselten Gemälden unartige Äffchen und Kaninchen aus dem Plüsch-Repertoire von Kinderzimmern für schleichende Verstörung.

Da schlägt etwa ein rotes Äffchen seine Frau. Und schon wird ihm auf dem nächsten Bild der Schwanz abgeschnitten. In der Serie «Girl and Dog» von 1986 wird man Beobachter von Kinderspielen. Kleine Mädchen springen in ihrem kindlichen Eifer so gar nicht zimperlich mit ihren Schosshündchen um, dass man am liebsten einschreiten würde.

Mit Schleifen und Kettchen wird hantiert und sogar mit einem Rasiermesser. Es wird gefüttert, gekämmt, gezogen, gezupft und gezerrt. Das Spiel ist längst zum Machtspiel geworden, die Rollen klar verteilt und offensichtlich, wer der Underdog ist. Sind diese Kinderspiele noch harmlos? Oder ist da Böses und Verbotenes im Gang?

Im Treibsand der Gefühle zwischen Zärtlichkeit und Aggression droht alles vom Vertrauten ins Unheimliche zu entgleiten. Und bei aller vordergründigen Unschuld dieser häuslichen Alltagsszenen tun sich alsbald Abgründe auf. Aus dem Spiel wird plötzlich bitterer Ernst. Das gipfelt in der düsteren Radierung à la Goya, «Four Girls with a Dog», die an eine Gruppenvergewaltigung erinnert.

Macht und Ohnmacht

Paula Rego sagt es selber: «Meine Lieblingsthemen sind Machtspiele und Hierarchien.» Und sie spricht aus eigener Erfahrung. Nicht nur aus jener ihrer Kindheit in der totalitär regierten Heimat Portugal in den siebziger Jahren. In England lernte Rego ihren Ehemann, den Maler Victor Willing, kennen.

Die Ehe war angeblich schwierig. Mitte der sechziger Jahre wurde bei ihm multiple Sklerose diagnostiziert. Obwohl er sie nicht immer gut behandelt haben soll, pflegte sie ihren Mann bis zu seinem Tod 1988. Diesen häuslichen Reigen von Macht und Ohnmacht, Demut und Demütigung hat sie in ihre Malerei übersetzt.

Von wiederkehrenden Depressionen geplagt, unterzog sich die Künstlerin einer jahrzehntelangen Psychoanalyse. Malen erhielt für Paula Rego auch eine selbsttherapeutische Bedeutung.

Nicht zuletzt engagierte sie sich auch politisch und prangerte in ihrer Kunst gesellschaftliche Missstände an. So reagierte sie etwa auf die gesundheitliche Gefährdung von Frauen durch Abtreibungsprozeduren ohne medizinische Versorgung. Ihre drastischen Bilder von geradezu aktivistischer Intensität zeigen Frauen bei einer illegalen Abtreibung.

Grund dieser Grafiken und Pastellbilder war ein 1998 gescheitertes Referendum gegen die Folgen restriktiver Abtreibungsgesetze in Portugal. Erst 2007 wurde erneut abgestimmt. Dann änderte sich auch die Gesetzeslage.

«Paula Rego. Machtspiele», Kunstmuseum Basel, bis 2. Februar 2025. Katalog: Fr. 49.–.

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