Freitag, Dezember 27

Als Weltnummer 3 im Voltigieren zählt die Bernerin zu den Attraktionen des internationalen Pferdesport-Turniers in Basel. Dabei war Hannich lange vom Pech verfolgt. Sie musste auch einen schweren Schicksalsschlag überwinden.

Lange dachte Ilona Hannich, es sei besser, wenn sie im sportlichen Umfeld nicht über ihre «schwierige Geschichte» rede. Sie wollte nicht Mitleid erwecken, sich nicht ins Zentrum der Aufmerksamkeit stellen. Aber dann, als sie auf dem Podest stand, merkte sie, dass es gut ist, wenn die Leute wissen, was hinter einer Leistung steckt. Dass diese aus mehr besteht als nur aus Zahlen wie einer Rangierung oder einer Jurybewertung.

Ilona Hannichs Geschichte geht so: Die Bernerin war eines der grössten Talente im Schweizer Voltigieren, dieser Sportart, in der Athletinnen und Athleten auf einem galoppierenden Pferd ihre Akrobatik demonstrieren. Doch der Durchbruch wollte ihr nicht gelingen, das Pech haftete an ihr. Mal war sie verletzt, mal fehlte ein gutes Pferd – und dann folgte auch noch ein Schicksalsschlag: 2017 beging ihr Vater Suizid.

Solch ein Ereignis kann eine Karriere zum Einstürzen bringen, gerade wenn man auf elterliche Unterstützung angewiesen ist, weil man mit seiner Sportart nichts verdienen kann. Doch Ilona Hannich hat auch diesen Tiefpunkt überwunden. Heute, mit 29 Jahren, ist sie die Nummer 3 der Welt. An diesem Wochenende tritt sie am internationalen Turnier in Basel, dem CHI in der St.-Jakobs-Halle, zum Weltcup-Final an.

Wer ihre Sportart betreibt, muss den Fokus stets auf seinen Übungen haben, sonst wird es gefährlich

Ihre Geschichte erzählt Hannich vor Weihnachten in einem Café am Bahnhof im sankt-gallischen Wil. Ihr sei es wichtig, psychische Gesundheit im Spitzensport zu thematisieren, «weil Leute aus diesem Bereich vielleicht gefährdeter sind als der Durchschnitt der Gesellschaft». Schliesslich seien im Spitzensport Druck und Selbstzweifel ausgeprägt vorhanden. Hannich ist eine Spezialistin auf diesem Gebiet: Sie hat Psychologie studiert und arbeitet in einem 60-Prozent-Pensum für die Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz. Aber wie hat sie den Ausweg aus dem Negativstrudel gefunden?

Hannich sagt, in ihrer «Traumasituation» habe das Voltigieren sie gerettet, es habe ihr Struktur gegeben. «Ich habe da in meine eigene Welt abtauchen können. Düstere Gedanken waren für den Moment weit weg.» Wer ihre Sportart betreibt, muss den Fokus stets auf seinen Übungen haben, sonst wird es gefährlich. Das Balancieren auf dem Rücken eines Pferdes ist eine Gratwanderung. Hannich ist auch schon hinuntergestürzt und zog sich dabei eine Blessur oder einen Bruch zu.

Das Zusammenspiel mit einem Tier hat etwas Unberechenbares, aber für Hannich auch etwas Bereicherndes. Sie berichtet von einem Pferd, das aus Angst immer abgehauen sei, wenn es kein befreundetes Pferd bei sich gehabt habe. Doch an gewissen Turnieren ist es nicht erlaubt, seinem Pferd eine Art Buddy zur Seite zu stellen. Deshalb sei sie stolz darauf, dass das betroffene Pferd unterdessen genug Vertrauen gefasst habe und ohne Begleitung auskomme.

Und manchmal braucht es eine glückliche Fügung, damit eine Karriere aufblühen kann. Im Fall von Hannich ereignete sich diese Ende 2021. Im Team von Lütisburg aus dem Kanton St. Gallen, das auch internationale Erfolge anvisiert, war damals Knall auf Fall ein Athlet zurückgetreten. Und die Trainerin Monika Winkler-Bischofberger brauchte für die anstehenden Weltmeisterschaften dringend Ersatz. Also meldete sie sich bei Hannich, in dem Wissen, dass diese möglicherweise nicht bereit wäre, den weiten Weg von der Stadt Bern in ein 1600-Seelen-Dörfchen im Toggenburg zu pendeln.

Doch Hannich war Feuer und Flamme. Bis dahin konnte sie ihre Ambitionen nur in den Disziplinen Einzel und Doppel verfolgen, nun hatte sie endlich ein Umfeld, in dem sie auch in der Gruppe von Grösserem träumen durfte. Seither fährt sie regelmässig mit dem Zug in die Ostschweiz; einmal hin und zurück ergibt fünf Stunden Reisezeit. Wenn sie es nicht mehr nach Hause schafft, darf sie bei den Eltern der Trainerin übernachten.

Guetzli verkaufen, Fasnachtsbar betreiben – die Lütisburger sind sich für keinen Aufwand zu schade

Die Trainingszeit beträgt pro Woche um die zwanzig Stunden. Nur einen Bruchteil davon verbringt Hannich auf einem Pferderücken, der Rest besteht aus Dehnen, Turnen, Tanzen, Krafttraining und Einheiten auf einem Simulator, einem elektrisch betriebenen Holzpferd. Im vergangenen Sommer an den EM in Schweden gab es die Belohnung. Hannich stand gleich viermal auf dem Podest; sie errang zwei Silber- und zwei Bronzemedaillen. Im Gruppenwettkampf musste sich Lütisburg nur knapp einem deutschen Team geschlagen geben. Woher der Exploit?

Ilona Hannich kommt auf das Engagement zu sprechen. Ein Verein wie Voltige Lütisburg müsse in finanzieller Hinsicht ans Limit gehen, um international überhaupt eine Chance zu haben und sich gute Trainingsbedingungen leisten zu können, aber die Mitglieder seien sich für keinen Aufwand zu schade. Sie fangen die Unkosten auf, indem sie einen Sponsorenlauf durchführen, selbstgebackene Guetzli verkaufen oder an der Fasnacht eine Bar betreiben.

Zum Erfolgsrezept gehöre auch, sagt Hannich, dass sie unterschiedliche Charaktere seien. Sie sei die Strukturierte und Disziplinierte im Team – und die Zuhörerin, wenn jemand eine solche benötige. Mit ihrer Vita sei sie ja für diese Rolle prädestiniert. Es brauche aber ebenso die anderen; die Sorgloseren und Extrovertierteren. Jene, die auch ihr einmal den Druck von den Schultern nähmen. Sie sagt: «Für mich ist es wie eine zweite Familie.»

Zu diesem Gefühl trägt auch die Cheftrainerin Monika Winkler-Bischofberger bei. Sie ist im Hauptberuf schulische Heilpädagogin – und weiss von Haus aus, worauf es im Spitzensport ankommt. Ihr Mann Patrick Winkler ist eine Legende des FC St. Gallen; er beackerte einst mit einer Pferdelunge die Rasenplätze der Nationalliga A.

Sie wünschte sich ein Pferd und bekam ein Trottinett

Wenn Ilona Hannich nun am CHI Basel für einmal mehr Beachtung erfährt, schliesst sich für sie ein Kreis. Denn ihr verstorbener Vater war ganz in der Nähe der Halle aufgewachsen und besuchte Fussballspiele im «Joggeli». Und das weckt bei Hannich weitere Erinnerungen.

Sie sei im Gegensatz zu Teamkolleginnen nicht in eine Pferdefamilie geboren worden, erzählt sie. Als sie sich als Kind zum Geburtstag einmal ein Pferd wünschte, erhielt sie zu ihrer Enttäuschung ein Trottinett. An ihrer Sportart fand sie Gefallen, weil sie am Kiosk Pferdeheftli wie das «Wendy» kaufte. Und weil sie im Voltigieren eine Option sah, sich zu verwirklichen. Stark berührt hat sie, als ihr Vater in einer schwierigen Lebensphase eine Therapie mit Pferden absolvierte.

Und: War es richtig, ihr einst kein Pferd zum Geburtstag zu schenken? «Ja, absolut», sagt Hannich mit einem Lachen, «mir hätte die Zeit gefehlt, um ein Tier zu halten.» Auch darin zeigt sich, warum sie es im Sport zu Erfolg gebracht hat: weil sie trotz ihren Träumen Realistin geblieben ist.

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