Mittwoch, November 27

Der FC Zürich ist nach dem 2:1-Sieg gegen die Grasshoppers neuer Leader. Er erzielt unerwartete Tore, während der Gegner bereits wieder in den Abstiegskampf verwickelt wird. Der GC-Trainer Marco Schällibaum sagt, er sei in der Pause zu seinen Spielern gar nicht nett gewesen.

Es ist eine eigentümliche Super-League-Saison mit Geschichten und Entwicklungen, die kaum jemand erwartet hätte. Der vergangene Samstagabend ist der beste Beweis dafür. Im ausverkauften Wankdorfstadion besiegte der Serienmeister YB vor 31 500 Zuschauern den FC Luzern 2:1, es war das Duell des sensationellen Tabellenletzten mit dem überraschenden Leader. Gleichzeitig setzte sich der FCZ im Zürcher Derby gegen GC vor fast 20 000 Besuchern mit 2:1 durch – und übernahm die Tabellenspitze.

Kuriositäten gehören in der unterhaltsamen Schweizer Topliga in diesen Wochen dazu. Es sollte das 286. Zürcher Derby sein, wie es in den Schlagzeilen heisst, und wenn man über diese Zahl nachdenkt, verschwindet die Aktualität hinter einer fast unendlich langen Reihe an grossen und kleinen Ereignissen. Das Zürcher Derby hat schon bessere Zeiten erlebt, und dann ist da noch die ewige, leidige Stadionfrage in der Stadt.

Der FCZ liegt schon zwölf Punkte vor dem Titelfavoriten YB

An Ausgabe 286 des Derbys wird man sich kaum lange erinnern. Aber die Rivalität zwischen den beiden Klubs wirkt immer noch extrem, weniger auf dem Rasen, jedoch seltsam ausgeprägt unter den Fans in der Ultra-Szene. So fühlen sich Supporter des Grasshopper-Clubs seit längerer Zeit nicht mehr sicher, wenn sie in der Öffentlichkeit als GC-Anhänger zu erkennen sind, es kam zu teilweise üblen Angriffen von FCZ-Fans.

Gerade erst wurde bekannt, dass 40 bis 60 FCZ-Anhänger, einige sollen sogar bewaffnet gewesen sein, am letzten Mittwoch rund ein Dutzend GC-Supporter überfallen haben, als diese eine aufwendige Choreografie für das Derby erstellten. Teile der Choreo wurden am Samstagabend Mitte der ersten Halbzeit wie ein Diebesgut in der Südkurve präsentiert.

Die FCZ-Fans halten im Derby GC-Banner hoch – als vernünftiger Mensch schüttelt man den Kopf. Als Fussballfreund ist man gleichzeitig erstaunt über das Geschehen auf dem Rasen. Noch vor kurzem, nach dem 1:0-Sieg in Bern gegen YB, war beim Grasshopper-Club von Aufbruchstimmung und Erlösung zu hören. Langjährige Vereinsvertreter sprachen vom Ende der Tristesse nach sechs komplizierten Jahren und der Abstiegssaison 2018/19.

Im FCZ ist seit dem Meistertitel 2022 kaum ein Stein auf dem anderen geblieben, der Klub will sich neu erfinden. Viele Menschen in allen Bereichen des Unternehmens wurden ausgetauscht, der Sportchef Milos Malenovic hat überall Vertraute installiert, er ist die starke Figur im Konstrukt und hat das Kader nach seinen Wünschen umgestellt.

Es gibt Personen im Umfeld des Vereins, die von einer unruhigen, beinahe ängstlichen Stimmung im Betrieb sprechen, aber auch von viel Energie und Kraft. Der Trainer Ricardo Moniz steht mit seinem teilweise irritierenden, aber jederzeit von sich überzeugten Verhalten dafür. Der Präsident und Klubbesitzer Ancillo Canepa sagte kürzlich im «Tages-Anzeiger» über den Trainer: «Er ist bereits jetzt das Gesicht des neuen FCZ.»

Nach dem 2:1-Sieg gegen GC ist der FCZ Leader – zwölf Punkte vor dem Titelfavoriten YB. Verkehrte Welt? Der gute Saisonstart des FC Zürich mag für viele unerwartet gekommen sein. Aber das Team tritt stabil und organisiert auf, es hat ein paar starke Schlüsselspieler wie Cheick Condé im Mittelfeld und den neuen Stürmer Juan José Perea. Identitätsstiftend wirken die zahlreichen Transfers aus allen möglichen Ländern keineswegs, aber so ist der Fussball im Jahr 2024. Vielleicht hat es unter den zahlreichen Zugängen Spieler, der später für gutes Geld weiterverkauft werden können.

So ist das Geschäftsmodell in der Super League. So ist das auch bei GC. Der Rekordmeister schloss seine Personalplanung sehr spät ab, und man hat den Eindruck, dass ihm im Sommerschluss-Einkauf ordentliche Transfers gelungen sind. Zum Beispiel mit dem südkoreanischen Angreifer Young-Jun Lee. Sein Auftritt im Derby verlief allerdings unglücklich.

GC-Fehler werden effizient ausgenutzt

Doch nach ungenügender erster Halbzeit hätte GC am Ende gegen den FCZ dank einer deutlich besseren Darbietung nach der Pause einen Punkt verdient gehabt. In Sachen erwartbarer Tore liegen die Grasshoppers sogar deutlich vorne in der Statistik (1,86 zu 1,10), Tomás Verón Lupi und Giotto Morandi vergaben beste Gelegenheiten. Awer Mabil hatte in der 61. Minute, kurz nach seiner Einwechslung, für GC zum 1:2 getroffen.

Der FCZ profitierte vor der Pause zweimal von der zögerlichen GC-Defensive, vor allem Saulo Decarli war zu wenig aufsässig. Lindrit Kamberi, für einmal im rechten Mittelfeld aufgestellt, und Antonio Marchesano trafen für den FCZ mit präzisen Distanzschüssen. Es waren keine erwartbaren Tore, aber solche, die Zielstrebigkeit, Entschlossenheit und Mut demonstrieren. Eigenschaften, die der Trainer Moniz von seinen Fussballern fordert.

Und so ist die Ernüchterung bei den Grasshoppers nach Matchende gross, sie liegen nach zehn Runden bereits dreizehn Punkte hinter dem FCZ und sind schon wieder in den Abstiegskampf verwickelt. Der Captain Amir Abrashi sprach von «blöden Eigenfehlern», der Trainer Marco Schällibaum sagte, er sei in der Pause zu seinen Spielern gar nicht nett gewesen – Decarli wechselte er gleich aus.

Der FCZ-Trainer Moniz ist ebenfalls ein Mann der klaren Worte. Er nannte die erste Halbzeit die vielleicht beste unter seiner Führung, war aber verärgert über den erneuten Leistungsabbau nach der Pause. Womöglich fliegt der FCZ gerade zu hoch. Wenn der Gegner schnell kombiniert, geraten die grossen, kräftigen Abwehrspieler in Not.

Im Moment ist der FCZ beim Blick auf die Tabelle ein Spitzenteam. Von aussen mag man aber das Gefühl haben, alles sei noch ein wenig wacklig und andere Teams seien stärker. Doch war das in der Meistersaison vor drei Jahren nach dem unerwartet erfolgreichen Saisonstart des FCZ anders?

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