Dienstag, November 26

Von den rabiaten Protesten in Deutschland und Frankreich lassen sich die Schweizer Bauern nur ein bisschen anstecken.

Die Schweizer Bauern sind protesterprobt. 1996 stellten sie ihre Traktoren vors Bundeshaus. Rund 10 000 Bauern demonstrierten in Bern. Manche warfen Äpfel oder Kuhschwänze und wurden prompt in einen Tränengasnebel gehüllt. Der Bundesrat wollte damals wegen des grassierenden Rinderwahnsinns 230 000 Kühe notschlachten lassen. Dagegen wehrten sie sich.

2024 blockieren in Berlin Tausende Traktoren die Strassen. In Frankreich spritzen wütende Bauern Gülle an Regierungsgebäude und zünden Reifen und Strohballen an. Der Bauernstand der Nachbarländer protestiert rabiat gegen Subventionskürzungen und höhere Energiepreise. Er wehrt sich gegen Auflagen im Namen des Umwelt- und Klimaschutzes, die seine Einkommen bedrohen.

Aber in der Schweiz bleibt es ruhig.

Das zahmste aller Instrumente

Auch der Schweizer Bauernverband klagt über sinkende Einkommen der Bauern. Er will das internationale Momentum nutzen, aber nur zahm. Am Montag hat er eine Medienmitteilung verschickt, in der er das mildeste aller politischen Instrumente zückt: Er sammelt Unterschriften für eine Petition. Das mag auf den ersten Blick überraschen, aber es hat gute Gründe, dass die Schweizer Bauern ihre Traktoren nicht mehr auf den Bundesplatz steuern.

Markus Ritter, der Präsident des Bauernverbands, sagte in einem Beitrag von Radio RTS zur Protestwelle: «Wir müssen weniger rabiat auftreten, wir sind nicht in Frankreich.» Ritter ist Nationalrat der Mitte-Partei und für viele einer der mächtigsten Politiker im Land. Bei den letzten Wahlen konnten die Bauern ihre Abordnung im Parlament noch einmal vergrössern. Auf der Liste der bäuerlichen Vertreter stehen nun fast vierzig Namen. Keine andere Berufsgruppe ist im Parlament so gut vertreten. Im Bundesrat sind die Repräsentanten der bäuerlich-agronomischen Welt mit Guy Parmelin, Albert Rösti, Beat Jans und der Schwarznasenschaf-Züchterin Elisabeth Baume-Schneider sogar in der Mehrheit.

Die Schweizer Bauern müssen nicht mehr protestieren, weil sie direkt Einfluss nehmen können. Das hat sich letztmals gezeigt, als das Parlament in der vergangenen Wintersession über Sparmassnahmen im Agrarsektor debattierte. Der Vorschlag des Bundesrats wurde prompt versenkt, die Subventionen für die Bauern nicht angetastet. Gespart werden soll unter anderem bei den beiden ETH.

Warum also die Petition? Auch die Schweizer Bauern haben Sorgen und wollen die Chance nicht verpassen, auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen. Über viele Jahre sind ihre Einkommen gestiegen. 2022 waren sie teuerungsbedingt wieder einmal rückläufig. Die Bauern konnten ihre gestiegenen Produktionskosten nicht an die Lebensmittelverarbeiter und den Detailhandel weitergeben.

Zudem fürchten sie das Gleiche wie ihre Kollegen in Frankreich und Deutschland: dass der Staat ihnen immer härtere Umweltauflagen macht, ohne sie dafür richtig zu entschädigen. Doch sie wissen: Ihre wirtschaftliche Lage ist deutlich besser als in den Ländern der EU. Man protestiert also, löst aber die Handbremse beim Traktor noch nicht. Die Kritik richtet sich auch weniger an die Politik als an die Abnehmer landwirtschaftlicher Produkte und an die breite Öffentlichkeit.

In der Schweiz erhalten die Bauern vergleichsweise viel Steuergeld

Anteil der staatlichen Unterstützung an den Einnahmen der Landwirtschaftsbetriebe in der EU und ausgewählten OECD-Ländern, in Prozent

Die Petition des Bauernverbands ist vor allem auch eine Beruhigungspille gegen innen, ein Zeichen vor allem in Richtung Westschweiz. Dorthin ist der Funke von Frankreich schon übergesprungen. Noch organisieren sich die Bauern der Romandie in Facebook-Gruppen und drehen Ortsschilder auf den Kopf. Damit bringen sie zum Ausdruck, dass einiges wider die Vernunft laufe, wie Arnaud Rochat, der junge Anführer des Protests, gegenüber Radio RTS sagte. «Die Bewegung in der Westschweiz ist riesig», beobachtet Martin Rufer, der Direktor des Bauernverbandes. Vorläufig sind die Aktionen nur symbolischer Natur. Die Petition soll einen Beitrag leisten, damit das so bleibt. Solange die Bauern sich mit friedlichen Mitteln Gehör verschaffen können, greifen sie nicht zur Heugabel.

Sympathien nicht aufs Spiel setzen

Die Bäuerinnen und Bauern wollen nicht ihr Image in der Bevölkerung riskieren. Dank den breiten Sympathien, die sie geniessen, konnten sie bis jetzt fast jede Initiative, die ihnen mehr Umwelt- oder Tierschutz aufgezwungen hätte, abwehren. Das gilt für die Pestizid- und die Trinkwasserinitiative ebenso wie für jene zur Massentierhaltung. Trotz diesen Erfolgen sagt der Bauernverbandsdirektor Martin Rufer, er beobachte ein zunehmend «negatives Bild der Landwirtschaft» in Teilen der Bevölkerung. Die Verbesserungen, die die Bauern im Umweltbereich erzielt hätten, würden zu wenig wahrgenommen.

Noch in diesem Jahr werden die Bauern in den nächsten Abstimmungskampf ziehen müssen. Die Biodiversitätsinitiative klingt harmlos, löst bei ihnen aber Ängste aus. Die Initiative will schutzwürdige Landschaften und Ortsbilder bewahren – auch ausserhalb heutiger Schutzgebiete. Die Bauern befürchten neue Auflagen und den Verlust von Acker- und Weideland. Höchste Zeit also, den Rückhalt in der Bevölkerung zu stärken.

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