Donnerstag, Oktober 10

Lauter Protest über die Asylpolitik, leiser Protest über die BVG-Reform. Eindrücke von der Delegiertenversammlung der SVP.

Pierre-Yves Maillard, Gewerkschaftsführer und SP-Ständerat, wurde von den Delegierten der SVP ausnehmend freundlich empfangen. Parteipräsident Marcel Dettling kündigte ihn wie einen Headliner an: «Es ist uns gelungen, den Gewerkschaftsboss zu holen!» Dann gab es warmen Applaus in der Halle. Und sogar Nationalrat Andreas Glarner, sonst nicht für Differenzierung bekannt, war es wichtig, den «sehr geschätzten Kollegen» Maillard «in Schutz zu nehmen», als er in seinem Referat für die Reform der beruflichen Vorsorge (BVG) auf «ungeheuerliche Lügen» der politischen Gegner zu sprechen kam.

Maillard war nach Leuk gekommen, um die Delegierten der SVP davon zu überzeugen, eine andere Parole zu fassen als die Parteileitung: Nein zur BVG-Reform. «Ich weiss, dass viele Mitglieder Ihrer Partei unseren Kampf für gute Renten unterstützen», sagte Maillard. Im Januar war er schon einmal zu Gast bei der SVP gewesen, und an der Albisgüetli-Tagung in Zürich gegen Christoph Blocher angetreten, um dessen Leute von einem Ja zur 13.-AHV-Initiative zu überzeugen. Am Ende dürften die rechten Stimmen entscheidend gewesen sein für den gewerkschaftlichen Triumph.

Jetzt in Leuk war die Ausgangslage ähnlich: Maillard sah die Chance, die von Blocher wirtschaftsliberal geprägte SVP noch einmal gegen ein wirtschaftsliberales Anliegen zu mobilisieren. Und als die Diskussion begann, sah es gut aus für Maillard. Jean-Luc Addor, Nationalrat aus dem Unterwallis, sagte, man dürfe es nicht den Gewerkschaften allein überlassen, für die kleinen Leute auf der Strasse zu argumentieren. Er ist gegen die Reform. Eine Frau von der SVP International sprach vom «BVG-Reförmchen», das viel zu viel koste, und sowieso «idiotisch kompliziert» sei. Eine andere Delegierte, selbst in der beruflichen Vorsorge angestellt, sagte: «Es ist mutlos, kompliziert und teuer.»

Erst als die nationalen Parlamentarier ans Mikrofon gingen, kehrte die Stimmung. «Kriechen Sie bitte nicht auf den Leim der Gewerkschaften», sagte Fraktionschef Thomas Aeschi. Auch Bundesrat Albert Rösti hatte sich zur Sicherheit in die Rednerliste eintragen lassen. An einer Versammlung gibt es immer einen gewissen sozialen Druck, der Parteileitung zu folgen – Pierre-Yves Maillard sagte deshalb: «Lehnen Sie die Reform, wenn nicht hier, so wenigstens im September an der Urne ab.» Am Ende verweigerten sich dennoch 23 Prozent der Delegierten der offiziellen Ja-Parole (174 Ja-, 37 Nein-Stimmen, 16 Enthaltungen). Der offiziellen Nein-Parole zur 13. AHV-Rente hatten sich, zum Vergleich, nur 13 Prozent der Delegierten widersetzt.

Pierre-Yves Maillard sagte am Samstag nach der Versammlung: «Schon damals spürte ich, dass wir auf viele Leute in der SVP-Basis zählen können. So auch jetzt. Ich frage mich, wie lange die Parteileitung ihre Linie noch durchziehen will.»

«Ich zuerst»

In den Führungsgremien der SVP ist man weiterhin überzeugt vom wirtschaftsliberalen Blocher-Kurs, mit dem man sich in sozialpolitischen Fragen von rechtspopulistischen Parteien in Europa unterscheidet (Rassemblement National, et cetera). An der weit weniger reichen Basis gibt es andere Prioritäten: «Jetzt melden die Leute selbst Bedarf an: Switzerland first, ich zuerst!», sagte der SVP-Denker Peter Keller nach der Abstimmung über die 13. AHV-Rente. Diese Devise gilt nicht mehr nur migrations-, sondern zunehmend auch sozialpolitisch.

Symbolisch dafür stehen die freundlichen Empfänge von Pierre-Yves Maillard bei der SVP. Nach der Versammlung stand er noch lange draussen im Foyer, er trug ein Kurzarmhemd und erzählte Anekdoten aus seinem Vorleben als Arbeiterkind. Fast ehrfürchtig stellte sich der «Gründer der SVP International» bei ihm vor.

SVP-Präsident Marcel Dettling will die neuen sozialpolitischen Töne nicht überbewerten. «Wir sind eine Volkspartei, da gibt es allerhand Positionen. Wichtig ist, dass in unseren wichtigsten Themen niemand abweicht.»

Veränderung, Verhärtung

Pierre-Yves Maillard war an diesem Samstag nicht der einzige SP-Politiker, an dem sich der aktuelle Zustand der SVP beschreiben liess: Maillard steht für eine Veränderung, Bundesrat Beat Jans für eine Verhärtung.

Einen ganzen Morgen lang beschäftigte sich die SVP in Leuk mit der Asylpolitik und dem zuständigen Bundesrat. Marcel Dettling gelangte schon am Anfang seiner Rede zum Schluss: «Beat Jans kanns nicht, noch viel schlimmer, er will nicht.» Jans führe das «Asylchaos seiner Vorgängerin» nahtlos weiter. Er lasse die Grenzen offen, aber schliesse sein Büro hermetisch ab, wenn ihm einige SVPler, gemeinsam mit einem Fotografen, eine Liste mit Lösungsvorschlägen ins Büro bringen wollten. Am Freitagabend hatte man Jans per Pressemitteilung bereits zu einem Austausch aufgefordert: «Wann haben Sie Zeit, Herr Bundesrat Jans?»

In der Asylfrage verschärft die SVP weiter den Ton. Fraktionschef Aeschi sagte: «Die Schweiz ist heute kein sicheres Land mehr.» Mehrere Nationalräte «aus den Grenzgebieten» (Dettling) berichteten über Straftaten von Asylbewerbern. Parteipräsident Dettling sagte, mit «illegalen Migranten» sei es «ähnlich wie mit dem Wolf, der auch unkontrolliert einreist». Asylbewerber würden von einer «5-Sterne-Gesundheitsversorgung» und von der «Schweizer Luxus-Betreuungsindustrie» profitieren. «200 Tage des Versagens» warf er Jans persönlich vor. In dieser Frage sind sich in der SVP alle einig.

Die Beschäftigung der SVP mit Jans ist manchmal nahezu obsessiv – als Marcel Dettling irgendwann seinen Nationalratskollegen Kolly auf die Bühne bat, nannte er ihn aus Versehen nicht «Nicolas», sondern «Beat».

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