Dienstag, November 26

2015 sorgten die Verhaftungen von Fifa-Funktionären im Zürcher Hotel Baur au Lac für weltweites Aufsehen. Doch ob die Urteile aus den folgenden Prozessen Bestand haben werden, ist nach einer Entscheidung des obersten US-Gerichts ungewiss.

An einem Novembermorgen 2011 passten amerikanische Bundespolizisten im Foyer des Trump Tower in Manhattan einem Bewohner ab. Die FBI-Beamten beschäftigten sich normalerweise mit Korruptionsfällen in Osteuropa. Doch mit dieser Aktion trugen sie heikle Interna des internationalen Fussballs zusammen.

Der Bewohner des Trump Tower hiess Chuck Blazer. Das FBI hatte herausgefunden, dass er seine Ämter im Internationalen Fussballverband (Fifa) dazu benutzt hatte, sich um rund 20 Millionen Dollar zu bereichern. Und dass er jahrelang keine einzige Einnahme versteuert hatte.

Der damals 66-jährige Blazer, ein über 200 Kilogramm schwerer Funktionär mit dichtem weissem Bart, war kurz zuvor als Generalsekretär des nord- und mittelamerikanischen Fussballverbandes Concacaf entlassen worden. Der 2017 verstorbene Blazer sah im Zuge der Ermittlungen nur eine Option: Er wurde Hauptinformant für das FBI und die Steuerfahndung.

Das führte im Mai 2015 zu einer spektakulären Verhaftungsaktion im Zürcher Hotel Baur au Lac und brachte die Verhältnisse hinter den Kulissen des Weltfussballs in die Schlagzeilen. Die Ermittlungen zeigten eine Welt, in der führende Köpfe der Fifa ein System mit «unterschiedlichen kriminellen Aktivitäten einschliesslich Betrug, Bestechung und Geldwäsche» aufgebaut hatten. Das geht aus der 35 Seiten umfassenden Anklageschrift gegen Blazer hervor.

Anklagen gegen mehr als 40 Personen

Im Laufe der Zeit klagte die Bundesstaatsanwaltschaft in Brooklyn mehr als vierzig Fussballfunktionäre und Manager von Fernsehsendern und Produktionsfirmen aus allen Teilen der Welt an. Sie fand unter anderem Belege dafür, dass die beiden 2010 in Zürich vergebenen Weltmeisterschaften aufgrund von Schmiergeldern an Russland und Katar gegangen waren.

Im Zuge des strafrechtlichen Verfahrens leisteten zahlreiche andere Länder Amtshilfe bei der Festnahme und Auslieferung von Beschuldigten, darunter die Schweiz. Die Anschuldigungen brachten die Mehrheit der Verdächtigen dazu, Geständnisse abzulegen und vergleichsweise milde Strafen zu akzeptieren.

Nur wenige der Beschuldigten riskierten Prozesse, wie etwa die Südamerikaner José Maria Marin aus Brasilien und Juan Ángel Napout aus Paraguay. Sie verloren 2017 vor Gericht. Napout erhielt die höchste Strafe von allen, die in den Skandal verwickelt waren. Der ehemalige Präsident der südamerikanischen Konföderation Conmebol wurde zu neun Jahren Haft verurteilt und ist erst im vergangenen Juli vorzeitig aus einem Gefängnis in Florida entlassen worden. Andere entkamen dem Arm der US-Justiz, weil sie sich einer Auslieferung entziehen konnten. Oder sie starben wie Blazer, gegen den bei seinem Tod 2017 noch kein Strafmass verhängt worden war.

Verurteilte Funktionäre gehen in Berufung

Seit vergangenem Jahr dürfen sich die verurteilten Angeklagten allerdings Hoffnungen machen, dass ihre Strafen getilgt werden. 2023 schränkte der Supreme Court in Washington in einem anderen Streitfall den Anwendungsbereich jenes Gesetzes ein, dem ein Teil der Anklage in der Fifa-Korruptionsaffäre zugrunde gelegen war.

Wegen dieser Einschränkung erklärte die für den Fifa-Komplex zuständige New Yorker Richterin Pamela K. Chen im vergangenen September zwei Schuldsprüche aus dem Fifa-Fall für nichtig. Chens neue Deutung der Aktenlage: Bestechung von Nichtamerikanern zum Nachteil von nichtamerikanischen Unternehmen oder Organisationen wie der Fifa gelte nicht als Verstoss gegen US-Gesetze. Das wäre allenfalls Sache jener Länder, in denen die Korruption passiert ist. Und in denen die Geschädigten domiziliert sind. In diesem Fall zum Beispiel der Schweiz und ihrer Justiz.

Der Paraguayer Napout, der im Dezember 2015 bei einem zweiten Einsatz der Zürcher Polizei festgenommen worden war, will gegen seine Verurteilung in die Berufung gehen, «damit meine Akte sauber wird», wie er der «New York Times» vor wenigen Tagen sagte. Die Zeitung verbreitete am Samstag in einem Bericht ein düsteres Szenario: Das ganze Gebäude, das die Bundesstaatsanwalt für ihre Anklagen errichtet hatte, könnte «in sich zusammenfallen».

Staatsanwaltschaft will sich energisch wehren

Auch der zu vier Jahren Haft verurteilte Brasilianer Marin will in die Berufung gehen. Er gehörte zu der Gruppe jener Funktionäre und Sportrechte-Manager, die 2015 im «Baur au Lac» verhaftet worden waren. Sowohl Napout als auch Marin waren in ihren Prozessen von den Vorwürfen der Geldwäscherei freigesprochen worden. Das ist gut für sie, dieses Delikt wird von der neuen Dispens nicht abgedeckt. Jedenfalls nicht, wenn es mithilfe des amerikanischen Bankenwesens begangen wurde.

Die Staatsanwaltschaft in Brooklyn will sich «energisch» gegen die Entlastungsanträge wehren, wie ein Sprecher mitteilte. Wie gross die Chancen sind, dass die Urteile Bestand haben, lässt sich nicht abschätzen. Hoffnungen kann sich der ehemalige Concacaf-Präsident und Fifa-Vize Jack Warner machen, der seit 2015 gegen seine Auslieferung aus Trinidad und Tobago in die USA prozessiert.

Warner verlor in allen Instanzen. Das letzte Wort hat das oberste Berufungsgericht in London, das die Entscheidungshoheit über Rechtsstreitigkeiten in kleineren Commonwealth-Ländern hat. Dessen Urteil steht noch immer aus.

Exit mobile version