Mittwoch, März 12

Eine Wahlrechtsreform sorgt auf der Inselgruppe im Südpazifik seit Tagen für Unruhen. Fünf Personen sind ums Leben gekommen. Französische Politiker werfen Aserbaidschan Einmischung vor.

Fünf Tote, Hunderte zerstörte oder beschädigte Gebäude und mehr als 200 Festnahmen: Das ist die vorläufige Bilanz nach drei Tagen Unruhen im französischen Überseegebiet Neukaledonien. Mindestens 300 weitere Menschen wurden verletzt, örtliche Medien veröffentlichten Fotos und Videos von geplünderten Supermärkten und Tankstellen. Rund 5000 Randalierer sollen beteiligt sein. Bei zwei der Toten handelt es sich um Sicherheitskräfte.

Eine lokale Politikerin sprach in einem Brief an Emmanuel Macron von einem Bürgerkrieg. Daraufhin rief die französische Regierung am Mittwoch den Ausnahmezustand aus. Am Dienstag hatte sie bereits eine vorübergehende Sperrung der Video-App Tiktok angekündigt, um die Kommunikation unter den Randalierern zu erschweren. Hunderte Polizisten wurden in die Hauptstadt Nouméa entsendet, um die lokalen Kräfte zu unterstützen. 2700 Polizisten sind inzwischen im Einsatz.

Neu hinzugekommene Bewohner sollen Wahlrecht erhalten

Neukaledonien liegt 1500 Kilometer östlich von Australien. Von 1853 bis 1946 war es französische Kolonie, heute ist es ein Überseegebiet mit besonderem Status. Die Bewohner Neukaledoniens sind Franzosen, die Inselgruppe gehört aber nicht der EU an. Der Auslöser der Proteste war eine Verfassungsreform, die später hinzugezogenen Bewohnern das Wahlrecht in Neukaledonien und somit mehr politischen Einfluss einräumen soll.

Nach der bisher gültigen Regelung dürfen nur diejenigen Bewohner Neukaledoniens an den Provinzwahlen teilnehmen, die bereits 1998 im Wahlregister standen, sowie deren Kinder. Neu sollen alle Bewohner wählen dürfen, die seit zehn Jahren in dem Überseegebiet leben- Neukaledonien hat 270 000 Einwohner, gut 50 000 wären von der Reform betroffen. In der Nacht auf Mittwoch nahm die französische Nationalversammlung die Gesetzesvorlage mit grosser Mehrheit an.

Die Befürworter einer Unabhängigkeit Neukaledoniens von Frankreich befürchten, dass damit der Einfluss der ursprünglichen Bevölkerung schwinden könnte. Vor allem die Bevölkerungsgruppe der Kanaken, der Ureinwohner Neukaledoniens, hofft schon lange auf einen eigenen Staat. Die Kanaken machen rund 40 Prozent der Bevölkerung aus.

Die Situation galt als beruhigt

Das Ausmass der Proteste hat die französische Politik überrascht. Die Situation auf Neukaledonien galt eigentlich als befriedet, die letzten grossen Unruhen gab es in den 1980er-Jahren. 1984 wurde die Kanakische sozialistische Front der nationalen Befreiung (FLNKS) gegründet, es folgten Jahre voller Unruhen und politischer Morde. Der Höhepunkt war eine Geiselnahme von 27 Polizisten und einem Richter durch die Separatisten im April 1988.

Die Folge der damaligen Unabhängigkeitsbestrebungen war das Matignon-Abkommen, das Neukaledonien grössere Autonomie gewährte. Das Abkommen von Nouméa aus dem Jahr 1998 übertrug weitere Kompetenzen auf Neukaledonien. Wie in dem Vertrag vorgesehen, wurden in den Jahren 2018, 2020 und 2021 Referenden über eine Unabhängigkeit durchgeführt, bei denen sich die Bevölkerung jedes Mal für einen Verbleib bei Frankreich entschied.

Beim letzten Referendum stimmten 96 Prozent gegen die Unabhängigkeit. Allerdings war die Wahlbeteiligung mit 44 Prozent vergleichsweise tief, auch, weil Politiker der FLKNS zum Boykott aufgerufen hatten. Als Grund dafür nannten sie die Corona-Pandemie. Die Unabhängigkeitsbefürworter erklärten daraufhin, das Wahlergebnis nicht anzuerkennen.

Für den jüngsten Gewaltausbruch machen sowohl französische Politiker als auch die lokale Bevölkerung die CCAT verantwortlich, eine radikale Splittergruppe, die Ende 2023 aus der FLNKS hervorgegangen ist. Innenminister Darmanin bezeichnete die Organisation als «mafiös».

Eine Splittergruppe mit ausländischer Unterstützung

Die CCAT stellt sich vehement gegen die Wahlrechtsreform und bezeichnet die Gewaltausbrüche als Ausdruck der Ungleichheit, die die Bewohner Neukaledoniens täglich zu spüren bekämen. Tatsächlich handelt es sich bei den Randalierern laut verschiedenen Medienberichten überwiegend um junge Männer, die aus benachteiligten Quartieren der Hauptstadt stammen.

Allerdings wird die Unabhängigkeit der CCAT von französischen Politikern, darunter Innenminister Darmanin, bezweifelt. Ein kürzlich veröffentlichtes Communiqué der Gruppe wurde von der «Baku-Initiativgruppe» mitunterzeichnet, einer aserbaidschanischen Organisation, die vorgibt, «gegen den Neokolonialismus» zu kämpfen. Darmanin beschuldigte Aserbaidschan am Donnerstag der Einmischung in Neukaledonien, die Unabhängigkeitsbewegung sei einen Deal mit dem Land eingegangen.

Die Beziehungen zwischen Paris und Baku haben sich aufgrund der französischen Unterstützung für Armenien zuletzt deutlich verschlechtert. Auch das Tiktok-Verbot auf Neukaledonien erfolgte unter anderm aus Angst vor Einmischung und Desinformation durch Länder wie China und Aserbaidschan, berichtet der «Figaro» unter Berufung auf Regierungsquellen.

Macron bemüht sich um Dialog

Aserbaidschan weist die Anschuldigungen als unbegründet und «beleidigend» zurück. Die aserbaidschanischen Behörden hatten allerdings bereits im Juli 2023 Unabhängigkeitsbefürworter aus Martinique, Französisch-Guayana, Neukaledonien und Französisch-Polynesien zu einer Konferenz nach Baku eingeladen. Aus dieser Konferenz war die «Baku-Initiativgruppe» hervorgegangen.

Der französische Präsident versucht, die Wogen zu glätten. Am Donnerstag verschob er einen geplanten Besuch des Atomreaktors in Flamanville, der kurz vor der Inbetriebnahme steht, und berief eine weitere Krisensitzung ein. Macron habe zur Wiederaufnahme des politischen Dialogs aufgerufen und wolle die kaledonischen Delegationen rasch in Paris empfangen, teilte die Regierung mit.

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