Das 25-Hours-Hotel verbindet das Rotlichtviertel mit der vielgescholtenen Europaallee. Ein Gespräch über flirtwillige Gäste, Gegensätze im Quartier und ungewöhnliche Bezahlmethoden.
An wenigen Orten in Zürich prallen zwei Welten so stark aufeinander wie an dieser Ecke. Wo die Europaallee und die Langstrasse zusammenkommen, mischen sich die Milieus: Pendler eilen in den Feierabend, Kreative nippen an ihrem Apéro, Süchtige suchen nach Stoff, und Prostituierte warten auf Freier.
Mitten im Getümmel steht ein schwarzer Glaskasten mit bunten Stühlen und Sonnenschirmen: das 25-Hours-Hotel. Die gleichnamige deutsche Hotelgruppe ist 2017 angetreten, um die Ausgehmeile mit dem neuen und sterilen Business-Distrikt Europaallee zu verbinden. «Ehrenhaft absteigen im Rotlichtquartier», nannte es die NZZ bei der Eröffnung.
Für manche verkörpert das Hotel die Gentrifizierung des Quartiers und gehört längst zum Stadtbild. Der gebürtige Bieler Lukas Meier leitet das Hotel seit 2022. Der 35-jährige General Manager hat vieles ausprobiert in seinem Leben: Er war Berufsfischer, Bademeister und Müllmann, bevor er in die Hotellerie wechselte.
Herr Meier, Sie führen ein Hotel direkt an Zürichs Ausgehmeile, wo fast rund um die Uhr etwas los ist. Wer tut es sich an, hier abzusteigen?
Zu uns kommen Leute, die etwas erleben wollen, egal, wie alt sie sind. Und wir sind ja nicht nur an der Langstrasse, hier beginnt auch die hypermoderne Europaallee . . .
. . . die von vielen Leuten als kalt und gesichtslos empfunden wird.
Ja, aber bei der Eröffnung hat uns etwas anderes Sorgen gemacht. Der internationale Kapitalismus baut ein Hotel in einem Quartier, in dem auch die alternativ-linke Szene unterwegs ist. Wir haben uns gefragt: Schlagen die uns jetzt die Scheiben ein?
Und, haben sie?
Nein. Die damalige Direktorin und einer der Gründer der Hotelgruppe 25 Hours leben in Zürich und haben früh Kontakt zur lokalen Künstler- und Musikszene gesucht. Die Klubs müssen ihre DJ, Restaurants ihre Spezialköche irgendwo unterbringen. Wir quartieren sie zu Freundschaftspreisen bei uns ein, dafür können wir unsere Gäste in den Klubs auf die Gästeliste setzen lassen. Durch solche Kooperationen sind wir heute gut im Quartier verankert.
Woher kommen Ihre Gäste?
Die meisten kommen aus der Schweiz, dann folgen Gäste aus Deutschland und den USA oder Grossbritannien. Die Amerikaner kommen sehr gern nach Zürich, 2024 waren es 15 Prozent mehr als im Vorjahr.
Welche Tipps geben Sie einem 20-jährigen Amerikaner, der zum ersten Mal in Zürich ist?
Wenn er den schönsten Sonnenuntergang sehen will, schicke ich ihn mit einem Bier aus der Gratis-Minibar im Hotelzimmer auf den Negrellisteg ganz in der Nähe des Hotels. Die Sonne, die hinter den Gleisen untergeht, die vorbeifahrenden Züge – das ist Stadtfeeling pur. Oder ich empfehle ihm, bei uns ein Velo zu mieten und bei der Chinawiese im See baden zu gehen. Abends gibt es natürlich unzählige Möglichkeiten, auszugehen.
In der Umgebung ist aber nicht nur das Partyvolk unterwegs, es leben auch Menschen in prekären Verhältnissen. Direkt hinter Ihrem Hotel befindet sich die Lebensmittelausgabe für Bedürftige.
Ja, das ist eine Realität, vor der wir die Augen nicht verschliessen. Besonders in der Pandemie war die Nachfrage gross. Wir haben deshalb zusammen mit Schwester Ariane, die die Essensabgabe organisiert, eine Initiative gestartet: Jeden Tag kochen wir rund hundert Portionen warmes Essen für bedürftige Menschen. Wir nehmen Lieferungen mit überschüssigen Lebensmitteln an, die anschliessend verteilt werden. Und manchmal braucht Schwester Ariane auch ein Zimmer bei uns.
Sie geben Zimmer an Bedürftige ab?
Ja, an Menschen, die in Not sind und dringend für eine Nacht ein Dach über dem Kopf brauchen. Das kommt vier bis fünf Mal im Jahr vor. Klar, da prallen Gegensätze aufeinander, aber das passt zu unserem Hotel. Wir machen gerne alles ein bisschen anders.
Was zum Beispiel?
Wir duzen unsere Gäste. Ausser, jemand will das explizit nicht, dann respektieren wir das natürlich. Wer nicht genug Geld hat, kann an der Réception Gegenstände gegen eine Übernachtung eintauschen. Wir nehmen zum Beispiel eine schöne Uhr als Anzahlung. Manchmal kommen auch Künstler und bieten eines ihrer Werke an. Einige davon hängen bei uns im Hotel. Sie sehen, unsere Gäste sind sehr aufgeschlossen. Das ist fast ein bisschen Voraussetzung.
Weil Sie ein Party-Hotel sind?
In den Zimmern hört man bei geschlossenem Fenster nichts. Aber klar, wenn jemand am Donnerstag- oder Freitagabend bei uns eincheckt, herrscht Hochbetrieb. Auch sonst läuft bei uns viel. Wir führen regelmässig Day-Raves durch, kürzlich haben wir einen Brunch mit Dragqueens organisiert.
Das klingt alles sehr szenig. Hat sich das Hotel der Umgebung angepasst?
Nein, wir müssen uns nicht verstellen. Unsere Hotels sind von jeher LGBTQ-freundlich, bei uns sind alle willkommen. Der Brunch kam übrigens super an, alle Plätze waren besetzt. Mit dem Restaurant und der Bar verdienen wir zwar weniger als mit den Zimmern, aber sie sind unser Sex-Appeal. Viele der Gäste kommen von extern, auch um jemanden kennenzulernen . . .
. . . und die übernachten dann gleich im Hotel?
Das kommt durchaus vor. Wenn wir an einem Freitag oder Samstag erst zu 70 Prozent ausgelastet sind, weiss ich, dass wir trotzdem voll werden. Wir haben aber keine Gäste bei uns, die das hauptberuflich machen, wenn Sie darauf hinauswollten.
Eigentlich nicht, aber das Hotel befindet sich ja im Rotlichtmilieu. Führt das nie zu Konflikten?
Heute nicht mehr. Aber als das Hotel eröffnet wurde, haben Prostituierte herausgefunden, wie sie auf die Zimmer anrufen können. Sie machten Telefonwerbung, ein Gast machte uns darauf aufmerksam. Wir haben das dann unterbunden. Auch mit Diebstahl und Gewalt haben wir wenige Probleme. Klar, manchmal sind Substanzen im Spiel.
Und dann gibt es zerstörte Zimmer?
Das ist zum Glück erst einmal vorgekommen. Etwa alle drei Monate haben wir Gäste, die das Zimmer nach einer wilden Nacht in einem sehr schmutzigen Zustand hinterlassen. Dann gehen wir rigoros vor, auch aus Respekt gegenüber dem Reinigungspersonal: Was salopp formuliert nicht mit dem Hochdruckreiniger geputzt werden kann, muss raus. Das stellen wir dann auch in Rechnung. In Erinnerung bleibt mir vor allem eine seltsame Aktion von Unbekannten kurz nach der Hoteleröffnung.
Nämlich?
In einzelne Toiletten wurde Beton gegossen und eine Klobürste hineingesteckt. Wir haben dann die Polizei eingeschaltet, aber nie herausgefunden, wer dahintersteckte. Ob das jetzt eine Kunstaktion oder Vandalismus war.
Sie führen in Zürich-West ein weiteres 25-Hours-Hotel. Geht es dort auch so bunt zu und her?
Wir haben dort vor allem Business-Gäste, darum ist es etwas ruhiger. Aber auch dort erlebten wir schon die eine oder andere Geschichte. Vor ein paar Jahren logierte ein Fussballstar des FC Bayern München, der mitten in der Nacht von der Polizei aus dem Bett geklingelt wurde. Er hatte eine offene Verkehrsbusse, die seit Jahren unbezahlt war. Die Polizisten gingen mit ihm direkt zum nächsten Bancomaten.
Sie werden uns den Spielernamen wohl nicht verraten?
Sorry, Berufsgeheimnis. Aber der Herr regte sich ziemlich über die Schweizer Gründlichkeit auf. Es ist nun mal so, dass wir den Behörden Meldung machen müssen, wer bei uns übernachtet. In der Schweiz gilt die Meldescheinpflicht. Bei Straftätern oder offenen Bussen blinkt es drüben bei der Polizei.
Zürich-West ist als Quartier eher unbelebt. Wie läuft das Geschäft dort draussen?
Tatsächlich ging dieses Hotel lange etwas vergessen, was sicher auch mit der Geografie zu tun haben dürfte. Nach uns kommt schon die Autobahn. Das ganze Quartier entwickelt sich nicht so, wie es sich die Stadt erhofft hat.
Keine gute Ausgangslage für ein Hotel.
Wir mussten uns etwas überlegen. Was gibt es in Zürich noch nicht? Da entdeckten wir den Typ des sportlichen und gesunden Individualreisenden. Wir wollen das Hotel mit dem besten Sportangebot sein. Ich meine nicht nur einen Fitnessraum oder eine Sauna, sondern Sport, wohin man blickt. Diesen Mai eröffnen wir einen 25-Meter-Pool. Wer im Hotel eincheckt, darf Bälle auf einen Basketball-Korb werfen. Wer gut trifft, bekommt ein Zimmer-Upgrade.
Und das funktioniert?
Bei den Jungen kommt das sehr gut an. Wir merken, dass die Generation Z, also die Jahrgänge zwischen 1995 und 2010, viel gesünder unterwegs ist. Die trinken viel weniger Alkohol. Wir führen deswegen an der Bar für jeden Drink eine alkoholfreie Variante, auch an der Langstrasse. Nur beim Essen sind die jungen Leute weniger konsequent, die mögen alle noch gerne frittierte Sachen.
Das Übernachtungsangebot in der Stadt Zürich ist gross, die Zimmerauslastung der Hotels lag in letzter Zeit bei 74 Prozent. Wie war das bei Ihnen?
Das Hotel an der Langstrasse liegt bei 80 Prozent, jenes in Zürich-West bei 77 Prozent. Bei den Wochentagen gibt es grosse Unterschiede, was die Auslastung betrifft.
Inwiefern?
Der Sonntag ist schwierig, obwohl wir schon einiges ausprobiert haben. Die Leute durften früher einchecken, oder wir senkten die Preise. Wir warben auch schon gross mit unserem Sportangebot. Nichts hat wirklich geholfen.
Was erwarten die Gäste, wenn sie nach Zürich kommen?
Zürich ist das grösste Dorf und die kleinste Weltstadt der Welt. Wir müssen uns nicht vor Barcelona und Co. verstecken. In Zürich ist es sicher und sauber, es gibt Kultur und Nachtleben. Und in gut einer Stunde ist man mit dem Auto in Engelberg. Aber lange galt die Stadt nicht als Freizeitdestination. Ausser für die Fünfsternehäuser, in denen Touristen vom Golf den heissen Sommer überbrückten.
Und wie ist es heute?
Heute verzeichnen wir im Juli und im August die meisten Übernachtungen. Zürich ist längst mehr als Business und Banken. Die Leute kommen zu uns, weil wir der perfekte Ausgangspunkt für Europa sind.
Als nach der Pandemie die Touristen zurückkehrten, herrschte in der Branche Fachkräftemangel. Bei Ihnen auch?
Ja, die Personalsuche war eine Katastrophe. Plötzlich meinten durchschnittliche Köche, sie könnten 9000 Franken im Monat verlangen.
Das haben Sie bezahlt?
Unmöglich. Wir haben stattdessen die Vier-Tage-Woche eingeführt. So fanden wir schneller wieder Personal. Allerdings mussten wir aufpassen, was für Leute wir anziehen. Wenn einer nur zu uns kommt, um drei Tage frei zu haben, dann ist er bei uns am falschen Ort.
Wie funktioniert die Vier-Tage-Woche?
Man arbeitet bei uns 90 Prozent auf vier Tage verteilt bei 100 Prozent Lohn. Das macht pro Person eine Stunde mehr pro Tag. Wir haben uns gesagt: Alles darüber würde bedeuten, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kein Privatleben mehr haben.
Dieses Wochenende schliesst Zürichs legendärer Klub «Zukunft». Viele Leute beklagen eine zunehmende Verdrängung von bestehenden Institutionen im Langstrassenquartier. Sie auch?
An der Langstrasse begegnen einem auf zehn Meter dreissig verschiedene Leute. Eine Mischung, die man sonst nirgends trifft. Es ist darum wichtig, dass der Kreis 4 seine Wurzeln nicht verliert. Das Schlimmste für mich wäre, wenn die Langstrasse zu einer zweiten Bahnhofstrasse würde. Wenn all die kleinen Läden und Lokale verschwinden würden und nur noch die grossen Marken da wären. Nichts gegen McDonald’s, aber zum Glück ist der nicht bei uns, sondern auf der anderen Seite der Gleise.