Der Mazan-Prozess gegen die Vergewaltiger von Gisèle Pelicot ist zu Ende. Das Gericht hat alle 51 Angeklagten für schuldig befunden. Dominique Pelicot wird wohl für den Rest seines Lebens hinter Gittern bleiben.
20 Jahre. Dominique Pelicot blickte zu Boden, als am Donnerstag um 10 Uhr 15 im Strafgericht von Avignon die Höchststrafe gegen ihn verkündet wurde. Es dürfte für niemanden ein überraschendes Urteil gewesen sein. 20 Jahre für schwere Vergewaltigung, das hatten die Staatsanwälte gefordert, damit rechnete die Öffentlichkeit, sicher auch Pelicot selber.
Und doch wirkte der 72-jährige Hauptangeklagte, der ein gutes Jahrzehnt lang seine Ex-Frau Gisèle heimlich mit Drogen betäubt, missbraucht, erniedrigt und immer wieder fremden Männern zum Missbrauch überlassen hatte, in diesem Moment so, als hätte ihm der Vorsitzende Richter Roger Arata einen Schlag versetzt.
«Eine schwere Tortur»
Dominique Pelicot wird frühestens mit 86 Jahren das Gefängnis verlassen können, da er zwei Drittel seiner Haftstrafe in jedem Fall hinter Gittern verbüssen muss. Das Gericht erklärte ihn ausserdem der versuchten schweren Vergewaltigung einer anderen Frau (der Ex-Frau eines Mitangeklagten) und der Aufnahme und Verbreitung von Bildern sexuellen Charakters seiner Tochter Caroline Darian und weiterer Familienangehöriger für schuldig.
Für schuldig befunden wurden auch alle anderen 50 Angeklagten – all jene, mit denen sich Dominique Pelicot über die Jahre im Internet verabredet und die er zu sich nach Hause eingeladen hatte, um sich an Gisèle Pelicot zu vergehen. Die Strafen gegen diese Männer fielen jedoch insgesamt tiefer aus, als die Staatsanwaltschaft gefordert hatte. Arata verhängte Haftstrafen von zwischen drei und 15 Jahren gegen sie, zumeist drei bis vier Jahre weniger, als es die Staatsanwälte in ihrer Anklageschrift Ende November formuliert hatten. Einen von ihnen sprach das Gericht lediglich wegen versuchter Vergewaltigung schuldig, zweien legte es sexuelle Gewalt zulasten.
Die Angeklagten hielten ihre Köpfe beim Urteil gesenkt. Einer von ihnen, der zu acht Jahren Gefängnis verurteilt wurde, brach im Saal in Tränen aus. Die Strafen seien «unverhältnismässig» und «ungerecht», sagte einer der Verteidiger gegenüber der Presse. Während Dominique Pelicot seine Taten von Beginn an vollumfänglich zugegeben hatte, verteidigten die meisten Anwälte der Mitangeklagten ihre Mandanten: Sie hätten nicht gewusst, was sie getan hätten, hiess es. Sie hätten Gisèle Pelicot nicht vergewaltigen wollen, sie seien einfach überzeugt gewesen, sich an einem «erotischen Spiel» eines freizügigen Paares beteiligt zu haben. Von den 51 Tätern hatten 30 – vergeblich – auf Freispruch plädiert.
Gisèle Pelicot zeigte sich nach der Urteilsverkündung gefasst und glücklich. Sie respektiere die Urteile, sagte sie. Doch natürlich sei der Prozess eine «schwere Tortur» für sie gewesen. Sie denke an ihre drei Kinder David, Caroline und Florian und an ihre Enkelkinder, aber auch an alle anderen Familien, die von dieser Tragödie betroffen seien, und an die Opfer sexueller Gewalt, «deren Geschichten im Schatten bleiben».
Vor dem Gerichtsgebäude wurde die 72-jährige Französin, die für viele eine Ikone im Kampf gegen Gewalt an Frauen geworden ist, von Unterstützerinnen mit Jubel empfangen. Eine feministische Gruppe hatte am Vortag ein Transparent mit dem Schriftzug «Merci, Gisèle!» an der historischen Stadtmauer entrollt. Blandine Deverlanges, die an der Aktion beteiligt war, zeigte sich nach der Urteilsverkündung am Donnerstag tief enttäuscht: «Man kann eine Vergewaltigung nicht rückgängig machen. Das ist nicht wie bei einem Diebstahl, wo man etwas zurückzahlen kann.» Viel rigoroser, fand sie, hätten deswegen alle Strafen ausfallen müssen.
Die Scham hat die Seiten gewechselt
Das seit dem 2. September laufende Verfahren hatte Frankreich aufgewühlt. Das schiere Ausmass und der lange Zeitraum, in dem die Verbrechen stattfanden, aber vor allem die kaltblütige Vorgehensweise von Dominique Pelicot, den die Medien den «XXL-Perversling» nannten, machten den Fall so aussergewöhnlich. Da sich Gisèle Pelicot von Anfang an für einen öffentlichen Prozess entschied, «damit die Scham die Seiten wechseln möge», wie sie sagte, war ihr weltweite Aufmerksamkeit gewiss.
Die verstörenden Verbrechen waren vor vier Jahren ans Licht gekommen, als sich Dominique Pelicot in einem Supermarkt dabei erwischen liess, wie er Aufnahmen mit Blick unter die Röcke von Frauen machte. Die Polizei durchsuchte anschliessend seinen Computer und entdeckte dabei die Fotos und Videos, die er von den Vergewaltigungen gemacht hatte. 50 Täter konnten so relativ leicht identifiziert werden. Die Ermittler schätzen allerdings, dass Pelicot noch deutlich mehr Männer, zwischen 70 und 80, zum Missbrauch an seiner Frau «rekrutierte».
Bei den Tätern handelt es sich um Männer aus fast allen Altersgruppen und sozialen Schichten, der jüngste von ihnen war zur Tatzeit 21 Jahre, der älteste 68 Jahre alt. Zugleich brachte der Prozess auch die Erkenntnis, dass mehrere Angeklagte selbst als Kinder missbraucht worden waren. Auch Dominique Pelicot behauptete dies, ohne es belegen zu können.
Viele Franzosen hoffen, dass der Pelicot-Prozess das Bewusstsein für sexuelle Gewalt an Frauen schärft. Nach Missbrauchsfällen in der Vergangenheit, die oft durch die #MeToo-Bewegung aufgedeckt worden waren, ging Frankreich zumeist schnell zur Tagesordnung über. Die Staatsanwältin Laure Chabaud äusserte Ende November die Hoffnung, dass es beim Fall Pelicot für die französische Gesellschaft «ein Vorher und ein Nachher geben» werde.

