Mittwoch, Januar 15

Gewalttätige Fussballfans müssen konsequent verfolgt und bestraft werden.

Es werden gerade viele Zeichen gesetzt rund um Gewalt im Fussball. Zuerst sind es die Stadtzürcher Behörden. Sie entscheiden Ende Januar, die Südkurve, den Fansektor des FC Zürich, beim Heimspiel gegen Lausanne zu schliessen. Die grüne Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart betont, wie wichtig ein solches Zeichen sei.

Auslöser für die Massnahme sind Ausschreitungen nach dem Spiel gegen den FC Basel. Am 24. Januar greifen rund hundert FCZ-Ultras die Einsatzkräfte der Polizei mit brennenden Fackeln, Rauchpetarden, Feuerwerk, Steinen und Flaschen an.

Nach der Politik setzen die Fans ein Zeichen. Sie treffen sich unweit des Stadions Letzigrund, um dort vergünstigte Tickets für die Sektoren ausserhalb der Südkurve zu kaufen. Schliesslich kapern die Fans den Gästesektor. Die Botschaft: «Uns wird man so schnell nicht los.»

Der Fall illustriert die kollektive Ratlosigkeit im Kampf gegen Fangewalt im Fussball – und lässt den begrenzten Nutzen von gesperrten Fansektoren offensichtlich werden.

Seit Jahren schon ringen die Behörden um eine Antwort auf die Gewalteskalation im Umfeld der grossen Fussballklubs. Das Bild ist immer das gleiche: Auf Gewalt folgt Empörung, Verurteilung und Bestrafung. Bis zur nächsten Gewalttat. Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen Politik, Polizei und einigen hundert Krawallbrüdern.

Einen Durchbruch hat es bisher nie gegeben. Die Massnahmen illustrieren vielmehr die zunehmende Hilflosigkeit, mit der die Politik den gewaltsamen Auswüchsen begegnet.

Bezeichnend dafür ist folgendes Beispiel: Zürich schränkt seit rund zwei Jahren den öffentlichen Verkehr rund um Fussballspiele ein. Wer einen Match im Letzigrund besucht oder auch nur in der näheren Umgebung wohnt, muss deshalb bei vielen Spielen zu Fuss nach Hause. Die zunächst nur vorübergehend eingeführte Massnahme gilt noch immer. Der zuständige Stadtrat Michael Baumer bezeichnete die Einschränkungen zwar als ein Ärgernis. Denn bestraft werden dadurch nicht nur die Krawallsucher, sondern auch Anwohner und harmlose Matchbesucher. Doch eine Lösung ist nicht in Sicht.

Die Kantone und Städte haben eine härtere Gangart angekündigt. Sie setzen auf das sogenannte Kaskadenmodell. Die Massnahmen orientieren sich dabei an der Schwere und Häufigkeit der Regelverstösse: je gravierender ein Ereignis, desto folgenschwerer die Sanktionen. Sektorenschliessungen gehören zu den Konsequenzen, die bei Gewalt gegen Personen oder beim Einsatz von Waffen und Pyrotechnik angeordnet werden können. Als Ultima Ratio vorgesehen sind: Geisterspiele und Punktabzüge.

Die Basler Regierungsrätin Stephanie Eymann bezeichnete das Modell im Interview mit der NZZ als Zeichen an die gemässigten Fans. An die Fans, die aus Freude ins Stadion gingen und sich nicht wohlfühlten, solange Gewaltausbrüche toleriert würden. Sie sagte: «Gewalt wird nicht toleriert. Das ist die rote Linie.» Dialog sei nach Exzessen allein nicht mehr zielführend.

Eymann hat zwar recht mit ihrer Aussage, dass Gewalt nicht toleriert werden dürfe. Mit Kollektivstrafen wird man der Macht der Ultras aber kaum Herr werden.

Die Massnahmen treffen nämlich nicht nur die Gewalttäter, sondern vor allem Unbeteiligte – friedliche Fussballfans wie normale Nutzer des öffentlichen Verkehrs.

Dabei ist es durchaus verständlich, dass der Frust bei Behörden, Justiz und Politik tief sitzt. Auch wenn es zwischendurch wieder ruhiger ist, passiert nach wie vor zu oft etwas. Wenn nicht im oder vor dem Stadion, dann irgendwo in der Stadt. An einem Bahnhof, auf der Zugfahrt zum Match, vor dem Fanlokal, in der Bar oder im Tram.

Wie Ende Januar in Zürich. Dort hielt eine grössere Gruppe GC-Anhänger die Polizei am Abend vor dem Derby gegen den FCZ auf Trab, weil sie mit Stangen, Schlagstöcken, Pfeffersprays und Messern bewaffnet durchs Niederdorf zog. Die Polizei kontrollierte die Ultras schliesslich, als sie im Tram unterwegs waren.

Einige Stunden später wurde die gleiche Gruppe in Schwamendingen von mehreren Dutzend Anhängern des FCZ angegriffen. Die FCZ-Leute schlugen die Scheiben eines Trams ein, in dem sich die Kontrahenten befanden. Bilanz des Derbys vor dem Derby: fünf Personen im Spital sowie ein Tramtriebwagen, bei dem praktisch sämtliche Scheiben zerstört wurden.

Eine von der Polizei und der Swiss Football League veröffentlichte Analyse bilanzierte 2022, dass Fanausschreitungen in der Schweiz ein «grundsätzlich persistentes und immer wieder aufkommendes Problem» seien. Das zeigen auch Zahlen aus Zürich, wo sich die fanatischen Anhänger von GC und FCZ immer wieder blutige Auseinandersetzungen liefern.

Die Statistik der Stadtpolizei Zürich belegt: In den vergangenen fünf Jahren schwankte die Zahl der registrierten Straftaten beträchtlich. Auf Phasen mit Gewaltexzessen folgten ruhigere Perioden. Wurden im Jahr 2019 insgesamt 109 Vorfälle registriert, waren es 2021 bloss 31. Allerdings gab es dort aufgrund der Pandemie viele Einschränkungen, die das Bild verfälschen. In den letzten beiden Jahren verzeichnete die Stadtpolizei 56 beziehungsweise 53 Vorfälle, bei denen es zu Gewalttaten oder Sachbeschädigungen kam.

Es ist also nicht so, dass die bisher ergriffenen Massnahmen keine Wirkung hätten. Um die Gewalt einzudämmen, braucht es aber eine konsequente Bündelung von verschiedenen Instrumenten. Fünf Ansätze erweisen sich als vielversprechend:

  • Spezialisten bei den Strafverfolgern: Die Gewaltexzesse haben sich in den letzten Jahren zusehends weg von den Stadien verlagert. Beobachter wie der Sicherheitsexperte Maurice Illi sprechen zudem von einer Radikalisierung eines Teils der Ultras. Die vornehmlich jungen Männer sind gut organisiert, verschwiegen, verachten die Ordnungshüter und schrecken auch nicht vor brutalen Aktionen gegen Unbeteiligte zurück. Will man sie überführen, braucht es Spezialisten bei den Strafverfolgern, die sich mit der Szene auskennen – beispielsweise um frühzeitig Hinweise auf geplante Aktionen der Ultras zu erhalten. Meint es die Politik wirklich ernst, braucht es mehr Mittel für die konsequente Verfolgung der Täter.
  • Personalisierte Tickets: Das Kaskadenmodell sieht die Schliessung eines Fansektors oder gar Geisterspiele bei schwerwiegenden Ausschreitungen vor. Ob das Modell die gewünschte Wirkung entfaltet, ist allerdings fraglich. Das Problem: Es trifft nicht nur die Übeltäter, sondern auch alle anderen Fans. Im schlimmsten Fall führen die Kollektivstrafen dazu, dass sich die harmlosen Fans mit den gewaltbereiten Ultras solidarisieren und damit das Problem gar noch verschärfen. Sinn ergeben Sperrungen als letztes Mittel – wie etwa im Fall von Basel, als Vermummte Mitarbeitende der Sicherheitsfirma des Stadionbetreibers tätlich angriffen und teilweise schwer verletzten. Sinnvoller wären personalisierte Tickets. Damit liessen sich gezielt jene Personen vom Stadion fernhalten, die für Gewalttaten verantwortlich sind. Nicht verständlich ist, dass sich die Vereine gegen persönliche Eintrittskarten wehren, weil sie negative Auswirkungen auf die Ticketeinnahmen befürchten. An grossen Konzerten liessen sie sich auch umsetzen. Und in jedem Fall sind sie besser als Geisterspiele.
  • Meldeauflagen: Heute sprechen die Klubs für Täter Stadionverbote aus. Bei gravierenderen Vergehen verhängen die Behörden auch Rayonverbote. Solche Verbote zu kontrollieren, bindet aber viele personelle Ressourcen. Bei einer Meldeauflage muss ein Täter sich während des Spiels auf einer Polizeistelle melden. Tut er es nicht, wird er belangt. Damit lassen sich fehlbare Ultras effektiv von den Stadien fernhalten und bestrafen.
  • Distanzierung von Gewalt: Oft ist von den Klubs zu hören, sie hätten mit Ausschreitungen nichts zu tun, weil die Gewalt fernab des Stadions stattfinde. Das ist zwar nicht falsch, aber die Klubs müssen trotzdem stärker signalisieren, dass sie die Gewalt ausserhalb der Stadien nicht akzeptieren. Wenn etwa der FCZ-Präsident Ancillo Canepa in einem Interview mit den Tamedia-Zeitungen behauptet, ein Stand des Stadtrivalen GC am Züri-Fäscht sei eine «Provokation», dann hat er etwas Zentrales nicht begriffen. Ultras des FCZ hatten den Stand im Sommer 2023 angegriffen und verwüstet. Mit einer solchen Aussage legitimiert Canepa die Gewalt, selbst wenn er sie nicht gutheisst. Es braucht eine entschiedenere Distanzierung von Gewalt durch Funktionäre und Sportler.
  • Dialog und Prävention: Ohne eine starke Fanarbeit und den Dialog mit den Fankurven wird es nicht gehen. Intensiviert werden sollte vor allem der Austausch mit jenen Kreisen, die sich grundsätzlich friedlich verhalten. Neben präventiven Angeboten wie Schulbesuchen von Klubs gibt es auch weitere interessante Ansätze. In Österreich und Skandinavien etwa gibt es Versuche mit Pyros. Es gibt Sektoren, wo Feuerwerk legal und sicher gezündet werden darf.

Die Erfahrungen aus den letzten Jahren zeigen: Einfache Lösungen gibt es nicht, einen Fussball ganz ohne Gewalt wird es wohl auch künftig nicht geben. Es wäre eine Illusion, dass Ausschreitungen ganz zum Verschwinden gebracht werden könnten. Doch es gibt Instrumente, um das Problem anzugehen. Je konsequenter Straftäter verfolgt werden und Prävention bei den vielen anderen angewendet wird, desto besser.

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