Eine unfeine Unternehmerfamilie und ein polyamouröser Ehemann machen diesen Borowski-Fall zum Kandidaten für den Grimme-Preis. Elegant-bösartig die Dialoge, keiner bleibt jemandem einen Schlag in die Weichteile schuldig.
Das Setting ist kühl, das Raumlicht hart, das Interieur Feinschliff in Lack. Die Villa der Exners ist eine hochwertige Angelegenheit. Einzig die Bewohner fallen aus dem Rahmen am Abend der Party für die «Unternehmerin des Jahres», Greta Exner (Cordelia Wege), eine Milliarde Umsatz schwer.
«Exners medizinische Präzisionsinstrumente retten Menschenleben», säuselt die Prämierte vor ihren Gästen, leicht angespannt und unpräzise, sie hat zu viel getrunken. Die Runde zeigt Verständnis: Die Auszeichnung erhielt Greta dank ihrer Mutter (Karin Neuhäuser), das Unternehmen ist in Familienhand. Der Ehemann Toby (Pétur Óskar) feiert derweil seine eigene Party, er hat seine Hand auf einer Blonden im ehelichen Schlafgemach. Mit ihrer Statuette wird die Jahres-Unternehmerin jemanden erschlagen – ist es Toby?
Der ist bald vermisst. Worüber man nicht traurig sein muss: Der Gatte, ein Russell-Brand-Gesicht, Animateur und Masseur vor seiner Ehe, ist ein beziehungstechnischer Schweinehund, man muss es sagen. Mit einer anonymen «Kitty 13» schmiedet er auf einem Dating-Portal Mordpläne, um seine Frau loszuwerden. Dass sein Segelboot auch «Kitty» heisst und just 13 Meter lang ist, also verdächtig nahe beim Nickname der anonymen Freundin ankert – was hat es zu bedeuten? Toby macht das nicht stutzig. Er flottiert in Untiefen und spielt mit einer Schaufensterpuppe schon einmal Probeleiche. Als er nach einem Segeltörn nicht wieder zurückkehrt, ruft Greta die Polizei. Wieso, weiss sie wahrscheinlich selbst nicht.
Beziehungsstatus: toxisch
Man hat beim «Tatort» mit Fiesheiten schon seine Erfahrung gemacht. Boerne, Thiel und «Alberich» Haller beherrschen das Metier in Münster vorbildlich. Doch «Borowski und der Wiedergänger», ein auf Ironie gebürstetes Sittenbild der Kieler High Society, schlägt dem Fass die Krone aus. Der Fall der Exners, die Borowski (Axel Milberg) mit Hundeaugen behandelt – «Gnädige Frau, wir wissen, wer in Kiel die Steuern zahlt» –, ist ein ironisches Meisterstück. Triumphal die Dialoge, die in eleganter Bösartigkeit über die Bande fliegen, jede Figur hat ihren Auftritt, keiner bleibt jemandem einen Schlag in die Weichteile schuldig.
Eine ähnlich durchgeknallte Zyniker-Sippe hat man in einem «Tatort» schon lange nicht mehr gesehen, und man sieht ihr ungemein gerne zu. Der Regisseur und Grimme-Preisträger Alexander Kleinert behandelt die Figuren, die der Autor Sascha Arango geschaffen hat, mit Respekt. Beziehungsstatus: toxisch, aber unterhaltsam zweifellos.
«Schluck ihn runter und scheiss ihn aus!»
Das Familienoberhaupt Konstantin (Stephan Bissmeier) beispielsweise hält die Ehe seiner Tochter mit Toby für eine «Fickfackerei», wie er der Ermittlerin Mila Sahin (Almila Bagriacik) erklärt: «Altes deutsches Wort, kennen Sie nicht?» Die ist trotz Anschiss ungebrochen gut aufgelegt und erzählt im Kreise der Täter sogar Witze. Das macht Konstantin Spass: «So frisch, so fesch, so auf den Punkt. Sie haben meinen Glauben an die Polizei wiederhergestellt.» Weniger Sympathie hat er für seine Tochter übrig, die auf ihre Weise trauert: «Jetzt schluck ihn runter und scheiss ihn aus.» Mama gibt ihm recht, Toby ist ein «Blutegel», der wohl «irgendetwas Offshoriges» der Familiengeschäfte mitbekam. Sein Verschwinden wird eine Erpressung und Täuschung sein.
Das ist sie nicht, doch einen Betrug, eine «Fickfackerei», gibt es tatsächlich. Nach sechzig Filmminuten ist Schluss. Und dann? Beginnt der Krimi, der von sich reden machen wird, wieder von vorne. Doch auch das könnte eine Täuschung sein.
«Tatort» aus Kiel: «Borowski und der Wiedergänger». Sonntag, 20.05 / 20.15 Uhr, SRF 1 / ARD.