Rund 200 Absagen haben Christian Hecker und seine Mitgründer von potenziellen Investoren erhalten. Heute betreiben sie mit Trade Republic Europas grössten Broker. Dazu beigetragen haben die Rentenlücke und eine Strumpfhose.
Deutschland gilt als Land der Aktienmuffel. 2024 haben laut der jährlichen Umfrage des Deutschen Aktieninstituts nur 17 Prozent der Bevölkerung ab 14 Jahren Aktien, Aktienfonds oder ETF (Exchange-Trades Funds, die passiv einen Börsenindex nachbilden) besessen. Trotz geringen Renditen setzen die meisten Sparer noch immer auf das Sparbuch.
Grösster Broker Europas
Das bekam auch Christian Hecker zu hören, als er und seine Mitstreiter 2015 Kapital für ihre Idee eines Online-Brokers suchten. Etwa 200 potenzielle Investoren hätten sie getroffen, keiner sei bereit gewesen, Geld zu geben, erzählt er im Gespräch. Europäer und Deutsche insbesondere würden kein Geld in Aktien investieren, habe man ihnen beschieden. Das hätten schon viele zu ändern versucht, keiner habe es geschafft.
Manch einer dürfte seine damalige Absage inzwischen bereuen. Im Verlauf des letzten Jahres hat die Trade Republic Bank GmbH, so heisst das unter anderem Namen gestartete Unternehmen der drei Gründer heute, die Zahl der Kunden auf 8 Millionen verdoppelt, und das von den Kunden verwaltete Vermögen hat sich auf über 100 Milliarden Euro verdreifacht. Damit ist das Fintech nach eigenen Angaben Europas mit Abstand grösster Broker. Bei der bisher letzten Finanzierungsrunde im Jahr 2022 wurde es bereits mit 5,4 Milliarden Dollar bewertet.
Mit Krawatte in Neukölln
1989 geboren, ist Hecker in einem Dorf im Münsterland aufgewachsen. Der Vater betrieb eine Autowerkstatt, die Mutter ein Bekleidungsgeschäft. Während des Studiums der Philosophie und der Betriebswirtschaftslehre in München absolvierte der spätere Gründer ein Praktikum bei der Deutschen Bank in Frankfurt, wo ihn die «ambitionierten, schnell arbeitenden Menschen» faszinierten, die so anders gewesen seien als der typische Kommilitone im Philosophiestudium.
Nach dem Studium folgt von 2013 bis 2015 ein erster Job im Investment-Banking der Bank of America Merrill Lynch. «Als kleines Rad» habe er damals am Börsengang von Rocket Internet mitgearbeitet. Dieses Berliner Beteiligungsunternehmen finanzierte unter anderem die Startphase des Online-Modehändlers Zalando. «Mit den Insignien eines Bankers: Manschettenknöpfe, Krawatte, Lederschuhe» sei er von Frankfurt nach Berlin geflogen, erinnert sich Hecker. In einem Backsteingebäude im Stadtteil Neukölln traf er auf «Leute in kurzen Hosen und T-Shirt, die schnell redeten und schnell Entscheidungen trafen».
Das ist die Zukunft, und ich bin irgendwie schon in der Vergangenheit, sinniert Hecker auf dem Rückweg. Mit dem Physiker Thomas Pischke, den er aus dem Studium kennt, diskutiert er eine Gründung im Finanzbereich. Als eines der grössten Probleme orten sie das Thema Rentenlücke: Weil die staatliche Altersvorsorge nicht mehr ausreichen werde, würden in den nächsten Jahren «Millionen von Menschen Milliarden von Euro» für die eigene Altersvorsorge anlegen müssen, sind sie überzeugt.
Diesen Menschen wollen es die beiden Gründer, zu denen als Dritter der Informatiker Marco Cancellieri stösst, ermöglichen, über eine Smartphone-App einfach und mit geringsten Kosten auch kleinste Summen in Wertpapiere zu investieren. Doch dazu brauchen sie Geld, das sie nicht haben, und eine Banklizenz, die 25-Jährige kaum kriegen.
Nach den erwähnten Absagen kommen sie in einem Startup-Programm der Comdirect unter, einer Tochter der Commerzbank. Doch die Vorstellungen decken sich dann doch nicht ganz, und nach zwei Jahren werden sie «vom Hof gejagt», wie sich Hecker ausdrückt.
Harziger Anfang
Die drei Gründer zogen von Hamburg nach Berlin, der Stadt der IT-Entwickler, der Kreativität und der (damals) günstigen Mieten. Nach mehreren Umzügen residiert Trade Republic heute in einem geschichtsträchtigen Gebäude an der Brunnenstrasse in Berlin-Mitte. 1903/04 liess es der «Kaufhauskönig» Adolf Jandorf, der spätere Gründer des legendären KaDeWe, als Warenhaus errichten, zu DDR-Zeiten beherbergte es das Mode-Institut, heute verbreitet es mit hohen, weiten Open-Space-Büros und einer jungen, leger gekleideten Belegschaft aus aller Welt Startup-Groove.
Bei der Ankunft in Berlin allerdings haben die drei Gründer zunächst auf Luftmatratzen geschlafen, mussten sie doch nochmals von vorn beginnen. Sie seien weiterhin von ihrer Idee überzeugt gewesen und hätten bei der Comdirect gesehen, dass «wir es selber besser machen können», sagt Hecker heute. Im Düsseldorfer Broker Sino und in dessen Chef Ingo Hillen fanden sie damals einen Angel-Investor, der im Rahmen einer Kapitalerhöhung vorübergehend die Mehrheit am Fintech übernommen hat.
Inzwischen hat sich Sino wieder weitgehend zurückgezogen, während in weiteren Finanzierungsrunden amerikanische Risikokapitalgesellschaften wie der Founders Fund von Peter Thiel und Sequoia, aber auch ein kanadischer Lehrer-Pensionsfonds als Kapitalgeber hinzugestossen sind. «Seit 2019 haben wir 1,3 Milliarden Dollar an Risikofinanzierung eingesammelt», sagt Hecker.
Durchstart ab 2019
Nach Jahren der Vorbereitungen und Rückschläge geht Trade Republic 2019 zunächst mit einer Zulassung als Wertpapierhandelsbank an den Start. Über eine App können die Kunden Aktien und ETF handeln. Provisionen werden keine erhoben, sondern nur eine Fremdkostenpauschale von einem Euro pro Handelsgeschäft.
Das gilt bis heute. Inzwischen ist Trade Republic eine von der Bundesbank und der Finanzaufsicht (Bafin) beaufsichtigte Vollbank. Das Verhältnis zur Bafin beschreibt Hecker als gut. Seit 2024 bietet seine Bank auch ein kostenloses Girokonto und eine kostenlose Bezahlkarte an. Für Guthaben auf dem Konto gibt sie den Einlagesatz der EZB von derzeit 3 Prozent pro Jahr weiter. Bei Nutzung der Karte schreibt sie ein Prozent der Zahlung auf einen Sparplan des Kunden gut (mit einer Deckelung bei 15 Euro pro Monat und geknüpft an die Bedingung, dass der Klient monatlich mindestens 50 Euro in seinen Sparplan einzahlt).
Kann man mit solchen Konditionen Geld verdienen? «Wir haben den Beweis erbracht, dass dieses Geschäftsmodell von provisionsfreiem Aktienhandel nachhaltig skalierbar und profitabel zu betreiben ist», lautet Heckers Antwort. Im Geschäftsjahr 2023/24 (per Ende September) hat das Fintech einen Gewinn von 14,1 Millionen Euro erzielt, im laufenden Geschäftsjahr dürfte es laut Hecker ein Vielfaches davon werden.
Der Schlüssel liegt darin, durch hohe Automatisierung die Kosten tief zu halten und auf Masse zu setzen. Trade Republic beschäftigt nur rund 600 Mitarbeiter. Profitabel ist vor allem das Wertpapiergeschäft, wo die Bank durch das Weiterleiten der Aufträge Geld verdient. Ein Teil dieser Erträge wird allerdings ab Mitte 2026 infolge neuer EU-Regeln wegfallen.
Inzwischen ist die Bank in 17 EU-Staaten tätig; ein Drittel ihrer Kunden kommt aus den internationalen Märkten. In Frankreich hat sie über eine Million Kunden und bietet einen provisionsfreien Sparplan für das staatlich geförderte Altersvorsorgedepot PEA an.
Enttäuschung über Politik
Die rasante Expansion verläuft nicht ohne gelegentliche Friktionen. So gab es letztes Jahr Kritik von Kunden am Kundenservice. Wenn man schnell wachse, gehe nicht immer alles reibungslos, räumt Hecker ein. Man sei den eigenen Ansprüchen damals nicht gerecht geworden, habe aber massiv in den Kundendienst investiert, und heute seien «alle Metriken im grünen Bereich».
Sparen für das Alter bleibt ein zentrales Thema, vor allem über das Kernprodukt, die ETF-Sparpläne. Im Durchschnitt seien die Kunden 30 Jahre alt, zwei Drittel davon hätten zuvor nie eine Aktie besessen, sagt Hecker. Diese Generation sei digital aufgewachsen, habe alle Krisen mitbekommen und hege keine Illusionen mehr, dass die staatliche Rente ausreichen werde. Auch in allen Wahlprogrammen für die Bundestagswahl klaffe «eine erschreckende inhaltliche Leere zum Thema Rentenreformen».
Das junge Publikum erreicht Trade Republic nicht nur dank günstigen Konditionen und einfachem Zugriff über die App, sondern auch durch seinen gesamten Auftritt, nicht zuletzt in sozialen Netzwerken. «Wir haben es geschafft, vermeintlich profane Bankprodukte attraktiv zu machen», glaubt Hecker.
Die Bank schickt den Kontoinhabern zum Beispiel Monat für Monat eine Push-Nachricht mit der monatlichen Zinsgutschrift. Zum Weltfrauentag 2024 lancierte sie gemeinsam mit dem Berliner Strumpfhosen-Label «saint sass» eine limitierte Strumpfhose mit dem Aufdruck «Retire Rich» auf dem Oberschenkel, um Frauen zum Investieren für die private Altersvorsorge zu ermutigen. Sie war rasch ausverkauft, der Gewinn wurde zur Förderung der finanziellen Bildung von Frauen gespendet.
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