Freitag, Januar 17

Noch ist die Waffenruhe im Gazastreifen nicht in trockenen Tüchern. Aber die Dynamik zeigt: Wenn in den USA die beiden politischen Parteien am selben Strick ziehen, kann Washington auch im Nahen Osten viel bewegen.

Der am Mittwoch angekündigte Waffenstillstand im Gazastreifen ist keineswegs eine beschlossene Sache. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu verzögerte am Donnerstag eine Abstimmung darüber in seinem Kabinett. Dabei warf er der Hamas vor, in letzter Minute einzelne Details des Abkommens abzulehnen und damit eine Einigung zu gefährden. Mittlerweile wurden die Differenzen aber offenbar ausgeräumt. Die israelische Regierung könnte der Waffenruhe sowie dem Austausch von Geiseln und Gefangenen am Freitag zustimmen.

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Trotzdem lassen sich aus amerikanischer Sicht bereits einige Schlüsse ziehen. In den USA entbrannte am Mittwoch eine Debatte darüber, wem diese Waffenruhe nun zu verdanken sei: den unermüdlichen Verhandlungen der abgewählten Biden-Regierung oder den brachialen Drohungen des angehenden Präsidenten Donald Trump? «Wenn die Geiseln (der Hamas) nicht frei sind, wenn ich mein Amt antrete, wird im Nahen Osten die Hölle los sein», sagte Trump vergangene Woche an einer Pressekonferenz.

«Alle wären gestorben»

Tatsächlich soll Trumps Nahostgesandter Steve Witkoff bei einem Treffen mit Netanyahu am Samstag diesen mit ultimativen Worten zum Einlenken bewogen haben. Zugeschaltet war bei dem Gespräch allerdings auch Bidens Nahostkoordinator Brett McGurk. Trotzdem reklamierte Trump den Erfolg am Mittwoch ganz für sich: «Dieses epische Waffenstillstandsabkommen war nur dank unserem historischen Wahlsieg im November möglich», schrieb er auf seinem Kurznachrichtendienst Truth Social. Sein Berater für nationale Sicherheit, Mike Waltz, sprach in einem Interview mit Fox News von einem «Trump-Effekt» und meinte zu den Geiseln: «Alle wären gestorben, wenn Präsident Trump nicht gesagt hätte: ‹Holt sie raus!›»

Zweifellos wäre die Waffenruhe ohne Trumps deutliche Botschaft wohl nicht möglich gewesen. Ob dies aber wirklich nur an seiner Person und seinen martialischen Drohungen lag, scheint nicht ganz klar. Zum einen sprang auch Biden über seinen Schatten und involvierte die Berater des angehenden Präsidenten in die Verhandlungen. «Ich wollte sicherstellen, dass wir mit einer Stimme sprechen», sagte der Präsident an einer Pressekonferenz am Mittwoch. Zum anderen scheint es nicht so zu sein, dass durch Trumps Druck nun ein viel anderes oder besseres Abkommen zustande gekommen ist. Biden meinte zur jetzigen Einigung: «Sie entspricht exakt den Eckpunkten, die ich im vergangenen Mai skizziert habe.»

Ausserdem haben ins Amt gewählte Präsidenten naturgemäss mehr Gewicht als eine «lame duck» wie Biden. Vor allem aber ist Trump ein republikanischer Präsident. Die konservative Partei steht im Gegensatz zu den Demokraten geschlossen hinter Israel und übte bisher auch kaum Kritik an Netanyahus hartem Kurs im Gazastreifen. Trump selbst galt nach seiner ersten Amtszeit als ausgesprochen proisraelischer Präsident. Er verlegte die amerikanische Botschaft nach Jerusalem, anerkannte die israelische Annexion der Golanhöhen, und seine Regierung sah in der jüdischen Besiedlung des Westjordanlandes keine Verletzung des Völkerrechts. Für Netanyahu ist es nun deshalb viel schwieriger, die Republikaner gegen die Demokraten auszuspielen, so wie er es während Bidens Amtszeit getan hat. Wenn die beiden politischen Lager in Washington am selben Strick ziehen, können die USA grossen Druck auf Israel ausüben.

Hätten Trump und die Republikaner den von Biden angestrebten Waffenstillstand schon früher unterstützt, wäre er vielleicht auch früher möglich gewesen. Trump sandte im Wahlkampf widersprüchliche Botschaften. Einerseits ermahnte er Israel, die Kampfhandlungen im Gazastreifen schnell zu beenden, weil das Land «den Informationskrieg absolut verliert». Anderseits zweifelte er an der Machbarkeit einer Zweistaatenlösung. Nachdem Biden im Mai eine Waffenlieferung gestoppt hatte, um Netanyahu unter Druck zu setzen, griff ihn Trump scharf an. Er warf dem Präsidenten vor, sich «auf die Seite der Terroristen» zu stellen. Bidens Vorgehen sei eine Schande: «Wenn irgendwelche Juden für Joe Biden stimmen werden, sollten sie sich schämen.»

«Riesige Priorität» für Abkommen mit Riad

Einige Demokraten warfen Netanyahu deshalb vor, einen Waffenstillstand zu verzögern, um die Wahlchancen für Trump zu erhöhen. Der Senator Chris Murphy meinte: «Man muss kein hoffnungsloser Zyniker sein, um einige Handlungen von Ministerpräsident Netanyahu in Verbindung mit den amerikanischen Wahlen zu bringen.» Offensichtlich erhoffte sich nicht nur Netanyahu, sondern vor allem auch seine ultrarechten Koalitionspartner von Trump mehr Verständnis für ihren kompromisslosen Krieg gegen die Hamas. Wie sich nun aber auch zu ihrer Überraschung zeigt, scheint der neue Präsident im Weissen Haus im Nahostkonflikt im Grunde das gleiche Ziel zu verfolgen wie sein Amtsvorgänger: ein grosses Abkommen mit dem übergeordneten Ziel einer Normalisierung zwischen Israel und Saudiarabien.

In einem Podcast bezeichnete Waltz ein solches Abkommen zwischen Riad und Jerusalem als «riesige Priorität». Trump hatte in seiner ersten Amtszeit die «Abraham-Abkommen» zwischen Israel, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain vermittelt. Er sehe die Verhandlungen mit Saudiarabien als «nächste Runde» in diesen Bemühungen, sagte Waltz. Er räumte zudem ein, dass Biden im Oktober 2023 kurz davorstand, einen solchen Durchbruch mit Riad zu erzielen: «Es ist ein Grund dafür, warum Iran gemeinsam mit der Hamas die Lunte zündete, um dieses Ding zu sprengen.»

Saudiarabien verlangt für eine Normalisierung indes einen «glaubwürdigen Pfad» hin zu einem palästinensischen Staat. Ob der «Trump-Effekt» gross genug sein wird, um Israel dafür zu gewinnen, muss sich zeigen. Da die Hamas, der Hizbullah in Libanon und Iran geschwächt sind, bietet sich indes eine grosse Chance, den Nahen Osten neu zu ordnen. Der Kolumnist Bret Stephens bezeichnete in der «New York Times» im September ein Abkommen mit der Hamas noch als «Giftpille» für Israel. Nun schreibt er optimistisch: «Trump hat vielleicht die Seele eines Tyrannen, aber auch den Instinkt eines Dealmakers – und das Verlangen nach Anerkennung, wie etwa dem Friedensnobelpreis, der ihm, wie er glaubt, für die Abraham-Abkommen verweigert wurde.»

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