Donnerstag, Januar 16

Das Stadiondach ist undicht und in den Logen hat es Mäusekot – bald entscheidet sich, ob die marode ManU-Arena saniert wird oder einem Neubau weicht.

«Old Trafford is falling down», das Old Trafford stürzt ein: Diesen Schmähgesang intonierten die Fans von Manchester City, als ihrem Klub im Stadion von Manchester United in der vergangenen Saison ein Kantersieg gelang. Mittlerweile ist der Spott aber wörtlich zu verstehen: Die Spielstätte des englischen Rekordmeisters (20 Titel) mit dem Namen aus dem gleichlautenden Stadtbezirk fällt tatsächlich auseinander.

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Unlängst fanden Gesundheitsinspektoren bei einer Routinekontrolle im Stadion Mäusekot: in einer Loge und einem Kiosk, in dem Fans bei Heimspielen Essen kaufen können. Die Bewertung der Lebensmittelhygiene im ManU-Stadion fiel auf der Skala von eins bis fünf sofort auf zwei Sterne herab. Die Inspektoren sahen dringlichen Handlungsbedarf.

Ein Sprecher des Fussballklubs versicherte, man wende «im gesamten Old Trafford ein strenges System zur Schädlingsbekämpfung» an. Es gebe wöchentlich mehrere Kontrollen, die sicherstellen sollten, dass die notwendige Sauberkeit eingehalten werde.

A Mouse at Old Trafford Stadium

Selbst der Trainer wurde fast nass – im Medienraum

Die Mäuseplage ist indes nicht neu. Schon seit zwei Jahrzehnten beisst sich ManU gewissermassen die Zähne an den Nagetieren aus: 2006 beschwerten sich die Spieler von Burton Albion nach einem FA-Cup-Match erstmals über Mäuse auf dem Spielfeld. Die Boulevardzeitung «Daily Mail» berichtete 2015, dass solche nun auch in Geschäftsräume eingedrungen seien. Bereits damals bemängelten Kontrolleure die nicht ausreichenden Massnahmen des Klubs. Gemeinhin wird die Lage des Stadions für den Mäusebefall verantwortlich gemacht: Das Old Trafford liegt an einem Kanal sowie an Bahngleisen.

Der miserable Zustand des Areals ist offensichtlich, zumal auch das Stadiondach immer wieder undichte Stellen aufweist. Vor einigen Monaten ergoss sich ein Wasserschwall über die Zuschauer – der Grund dafür war angeblich das Überlaufen des Entwässerungssystems. Und selbst der Trainer Rúben Amorim wurde kurz vor dem Jahreswechsel beinahe nass, als es während der Pressekonferenz nach einem Spiel im Medienraum plötzlich von der Decke tropfte. Irritiert blickte der Portugiese auf die undichte Stelle. Der frühere ManU-Captain Gary Neville beanstandet, das Stadion sei «verrostet und verrottet» und die Bereiche rund um die Arena sähen «unbebaut und verlassen» aus.

In England steht das marode Old Trafford als Sinnbild für den Niedergang des Vereins: Manchester United befindet sich nur noch auf Platz 13 der Premier League, Amorim mahnte, in dieser Saison müsse der Klub sogar die Abstiegsränge im Blick behalten.

Mit seinem in die Jahre gekommenen Stadion wirkt der einstige Vorzeigeklub wie aus der Zeit gefallen, dabei gehört das Old Trafford zu den historischen Fussballstätten. Seine Reputation rührt daher, dass sich Manchester United im vergangenen Jahrhundert zu einem der weltweit grössten Fussballvereine entwickelte. Mit einem Fassungsvermögen von 75 000 Zuschauern ist das Stadion nach wie vor die zweitgrösste Arena in Grossbritannien – einzig das Nationalstadion Wembley kann noch einige Besucher mehr beherbergen.

Die Tore des Old Trafford öffneten bereits 1910, entworfen hatte das Stadion der Architekt Archibald Leitch. Einzigartig ist der alte Spielertunnel auf der Höhe der Mittellinie – er ist der einzige Teil des Stadions, der im Zweiten Weltkrieg nicht zerstört wurde. Ebenfalls zu den unverwechselbaren Eigenheiten zählt die Unterführung unter der Hau­pttribüne hindurch von der Ost- zur Westtribüne. Im Andenken an das Flugzeugunglück der eigenen Mannschaft in München 1958 wird sie «Munich Tunnel» genannt. Damals hatten mehrere Spieler und Offizielle des Klubs ihr Leben verloren.

Neben den Heimspielen von Manchester United fanden im Stadion zahlreiche andere wichtige Fussballanlässe statt: Partien der WM 1966, der EM 1996 und des olympischen Turniers 2012 sowie der Champions-League-Final im Jahr 2003. Hinzu kommen diverse Rugbyspiele und Konzerte von Stars wie Rod Stewart, Bruce Springsteen und Bon Jovi. Englands Weltmeister Bobby Charlton, der fast seine gesamte Karriere bei ManU verbrachte, nannte das Old Trafford im Buch «Soccer» von John Riley 1987 «Theatre of Dreams», Theater der Träume.

Die Rückständigkeit von Old Trafford offenbarte sich spätestens, als der englische Fussballverband (FA) nach der Vergabe der Europameisterschaft 2028 nach Grossbritannien und Irland darauf verzichtete, das Stadion als Spielstätte vorzusehen. Die neuen Arenen der Konkurrenten sind mittlerweile attraktiver, etwa jene des Rivalen Manchester City, die als EM-Spielstätte bestimmt wurde.

Sanierung oder Neubau? Die Entscheidung fällt im Sommer

Wegen des schlechter werdenden Komforts und der abnehmenden Vermarktungsmöglichkeiten entgehen ManU jede Saison beträchtliche Millioneneinnahmen. Deshalb eruiert der neue Minderheitsbesitzer Jim Ratcliffe mit einer Task-Force gegenwärtig sämtliche Optionen: eine Modernisierung oder Grundsanierung des bestehenden Stadions oder ein Neubau in der Nähe. ManU besitzt rund hundert Hektaren Land um das jetzige Old Trafford.

Die Vision des Ineos-Gründers besteht darin, ein «Wembley des Nordens» entstehen zu lassen – eine Alternative zur Arena in London, in der bis anhin sämtliche Länderspiele Englands stattfinden. Dabei präferiert Ratcliffe offenbar einen Neubau. Dieser hätte aus seiner Sicht den Vorteil, dass das neue Stadion auf dem höchsten Entwicklungsstand wäre. Die Kapazität solle laut Ratcliffe dann bis zu 100 000 Zuschauer betragen. Ein Neubau würde den Verein bis zu zwei Milliarden kosten, ein Umbau der bestehenden Tribünen angeblich die Hälfte. In jedem Fall dürften die Arbeiten kaum vor dem Ende des Jahrzehnts abgeschlossen sein. Eine Entscheidung über das Megaprojekt kündigte ManU für diesen Sommer an.

Als Vorbild könnte die Infrastruktur von Manchester City dienen. Der Rivale im Osten der Stadt hat das Areal rund um das eigene Stadion transformiert: Eine Fussgängerbrücke verbindet die Spielstätte mit dem neuen Trainingsgelände. Die Erwartungen der ManU-Fans sind jedenfalls hoch. Er wolle eine «Manchester-United-Welt voller Möglichkeiten, Hoffnung und Glauben» rund um das Stadion haben, fordert Gary Neville. Das klinge zwar nach «Disneyfizierung», doch er wünsche sich einfach ein Stadionareal, von dem die Besucher wieder beeindruckt seien. Neville hofft, dass das Old Trafford in neuem Glanz wiederaufersteht.

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