Samstag, November 30

Unberechenbare Kakaopreise, eine schwächelnde Konsumlaune und eine teure Restrukturierung: Barry Callebaut kämpft an gleich drei Fronten. Warum die Aktien langfristig dennoch ein Kauf sind.

Barry Callebaut galt lange Zeit als defensive Aktie, die auch in stürmischen Zeiten Schutz vor grossen Verlusten bot. Als grösster Schokoladenhersteller der Welt verfügt das Unternehmen mit Sitz in Zürich über ein wertvolles, über Jahrzehnte sorgfältig aufgebautes Netz von Lieferanten. Der Grossteil der Kakaobohnenernte stammt nur aus einer Handvoll Ländern, vor allem aus Côte d’Ivoire und Ghana. Der Zugang zu diesem Agrarrohstoff und die Beziehung zu den Bauern sind kompliziert.

Als grösstem Player in diesem Geschäft verschaffen die Beziehungen zur Kakaowirtschaft Barry echte Burggrabenqualitäten. Dass die Zürcher dank ihres Cost-Plus-Modells Preissteigerungen – zum Beispiel für Rohstoffe wie Kakao oder für Energie – direkt an ihre Kunden weitergeben können, untermalt den defensiven Charakter des Geschäftsmodells.

Gepaart mit einem zwar langsamen, dafür aber stetigen Wachstum führte dies lange Zeit zu einem stabilen Aufwärtstrend bei der Aktie – bis zum Sommer 2022.

Damals begann die Misere, die bis heute anhält, mit einem Salmonellenfall in der weltgrössten Schokoladenfabrik im belgischen Wieze. Die Verunreinigung, die durch die Substanz eines Zulieferers entstanden ist, schränkte die Produktion am wichtigsten Standort von Barry über mehrere Monate ein und wirkte sich über das gesamte Jahr negativ auf die Volumenentwicklung aus.

Knapp ein Jahr später folgte – quasi über Nacht – ein CEO-Wechsel. Peter Boone musste nach nur eineinhalb Jahren im Amt gehen, nachdem die Revision zu optimistisch formulierter Jahresziele viel Anlegervertrauen gekostet hatte. Seitdem hält Peter Feld den CEO-Posten – seinerzeit abtretender CEO der Jacobs Holding, die 30% an Barry hält.

Im perfekten Sturm

Im Frühjahr 2024 befindet sich Barry Callebaut mitten in einem perfekten Sturm, in dem sie an drei Fronten gleichzeitig kämpft: Neben einer tiefgreifenden Restrukturierung, die Zeit und vor allem Geld benötigt, leidet der Schokoladenproduzent seit knapp zwei Jahren unter einem schwächelnden Konsumumfeld. In den letzten beiden Geschäftsjahren resultierten schrumpfende Absatzvolumen, die in einigen Quartalen sogar die Marktentwicklung unterboten – eine neue Erfahrung für Barry.

Doch damit nicht genug, zuletzt gesellte sich ein drittes Problem dazu. Seit einigen Monaten spielt der Preis von Kakaobohnen völlig verrückt. Zwar kann Barry dank ihres Preismodells steigende Kosten relativ einfach weitergeben, dennoch wirkt sich der explodierende Kakaopreis negativ auf das Betriebskapital aus.

Das Management hat deshalb in den letzten Monaten vorausschauend die Kreditlinien erhöht und im Januar zwei neue Anleihen ausgegeben. Allerdings bergen die höheren Kakaopreise ein weiteres Problem: «Das Cost-Plus-Modell hilft nur wenig, wenn die Nachfrage nach Schokolade zurückgeht», sagt Martin Lehmann, Manager des 3V Invest Swiss Small & Mid Cap Fund, der die Aktien von Barry in seinem Fonds hält.

Angesichts der Kakopreisinflation kann man es Anlegern kaum verübeln, dass sie derzeit nicht auf einen Pure Chocolate Play wie Barry Callebaut setzen wollen. Hinzu gesellen sich aufkommende Gerüchte im Vorfeld der Präsentation der Halbjahreszahlen (2023/24) diesen Mittwoch, gemäss denen das Management die Mittelfristziele streichen könnte.

Für das laufende Geschäftsjahr rechnet Barry gemäss dem im November 2023 kommunizierten Ausblick mit einem gleichbleibenden Volumen, bei einem konstanten Ebit. Für das darauffolgende Geschäftsjahr 2024/25 geht sie von einem leichten Volumen- und Ebit-Anstieg aus. Danach (also ab 2025/26) will die Gruppe auf ihren langfristigen Wachstumspfad zurückkehren. Heisst: ein Volumenzuwachs im niedrigen bis mittleren einstelligen Prozentbereich sowie eine Steigerung des operativen Gewinns auf Stufe Ebit im mittleren bis hohen einstelligen Prozentbereich. Am Ende steht das langfristige Ziel einer Ebit-Marge von 10%.

Sollte Barry die Mittelfristziele diesen Mittwoch tatsächlich senken, stellt sich für Lehmann die Frage, ob diese Nachricht überhaupt noch jemanden «erschreckt». «Die Gerüchte sind im Markt, letzte Woche hat der Aktienkurs darauf reagiert.» Anders gesagt: Je nachdem, wie stark eine eventuelle Prognosekürzung ausfallen sollte, muss der Kurs nicht zwangsläufig negativ darauf reagieren. Grundsätzlich hält Lehmann es jedoch für müssig, darüber zu spekulieren, ob und womit das Management diesen Mittwoch den Markt überraschen wird. Den langfristigen Investment Case hält er gleichwohl für intakt. Allfällige Kursrücksetzer nach der Publikation der Zahlen diese Woche würde er für Nachkäufe nutzen.

Langfristige Trends sprechen für die Aktie

Auch in den Augen von The Market bieten die Aktien von Barry auf lange Sicht eine interessante Ausgangslage, um günstig in einen Qualitätswert mit Burggrabeneigenschaften einzusteigen. Mit einem vorwärtsgerichteten Kurs-Gewinn-Verhältnis von 17 handeln sie deutlich unter dem historischen Schnitt und waren in den letzten zehn Jahren noch nie so günstig bewertet. Gegenüber dem Höchststand vom Herbst 2020 hat sich die Bewertung fast halbiert.

«Beim Blick auf die Bewertung muss man sich die Augen reiben», sagt Ronald Wildmann, Fondsmanager von Serafin Asset Management. Auch Lehmann hält die Unterbewertung der Titel für «frappant».

Natürlich reicht eine tiefe Bewertung allein für einen interessanten Investment Case nicht aus. Dass daraus eine günstige Einstiegsgelegenheit entsteht, erfordert valide Argumente, die Hoffnung auf Besserung machen. Doch diese gibt es durchaus. Dazu gehört nicht nur die im November bekanntgegebene Restrukturierung, die die Kosten senken und die Profitabilität erhöhen soll (mehr Details dazu hier), sondern auch die langfristig vorteilhaften Trends, die trotz des derzeitigen Gegenwinds bestehen bleiben.

Neben einem langfristig wachsenden Schokoladenmarkt macht der anhaltende Outsourcing-Trend optimistisch. Kleinere Schokoladenfabrikanten lagern immer mehr Arbeitsschritte an grosse Produzenten wie Barry aus. «Die steigenden Kakaopreise könnten diese Entwicklung sogar noch begünstigen», glaubt Wildmann, der seine Position in Barry zuletzt leicht aufgestockt hat. «Barry ist langfristig eine gute Investment-Story.»

Barry Callebaut als Krisengewinner?

Ironischerweise liegt in der gegenwärtigen Kakaopreiskrise auch eine Chance für Barry, die Marktstellung noch weiter zu zementieren. «Oft stellen sich schwierige Marktphasen im Nachhinein als positives Ereignis für die Gesellschaften heraus, die auf ihrem Gebiet führend sind und eine gute Bilanzqualität aufweisen», sagt Lehmann.

Die Beschaffung und die Verarbeitung von Kakao sind wie eingangs erwähnt äusserst kapitalintensiv und komplex. Der derzeitige Preisdruck könnte die brenzlige Situation für viele kleinere Manufakturen verschärfen, die das Betriebskapital für das Geschäft nicht mehr stemmen können oder wollen – und daher das Geschäft aufgeben oder es an grosse Player wie Barry auslagern.

Zwar belasten die erhöhten Preise auch das Umlaufvermögen von Barry – einige Analysten prognostizieren für das laufende Geschäftsjahr sogar einen negativen freien Cashflow. Die Analysten der Deutschen Bank führen jedoch ins Feld, dass Barry durch Kosteneinsparungen wie die Verschlankung des Produktmix oder eine Optimierung der Produktionsfläche zumindest einen Teil des erhöhten Working-Capital-Bedarfs kompensieren könne.

Selbst UBS-Analyst Jörn Iffert, der die Aktien mit einem Sell-Rating versieht, erkennt angesichts der Stärke des Beschaffungs- und Lieferkettennetzwerks Spielraum für Barry, langfristig Marktanteile von anderen kleinen Schokoladenfabrikanten zu gewinnen, wie er in einem Research-Bericht von letzter Woche schreibt. Kurzfristig gewichtet er jedoch die Risiken eines drohenden negativen freien Cashflows in den nächsten ein bis zwei Jahren und einer schwachen Konsumlaune höher.

Einstieg von Artisan ein Zeichen

Aufhorchen liess Ende Februar, dass – mitten in der grössten Krise von Barry – der US-Value-Fonds Artisan Partners beim Schokoladenkonzern eingestiegen ist. Zunächst betrug sein Anteil gemäss Meldung des Börsenbetreibers SIX 3%. Vorletzte Woche wurde bekannt, dass die Amerikaner die Position auf 5,5% erhöht haben. Damit ist Artisan der zweitgrösste Aktionär des Schokoladenherstellers hinter der Jacobs Holding.

Der Fonds ist für seine aktive Einflussnahme bekannt, die er etwa beim Engagement in Credit Suisse oder beim französischen Lebensmittelkonzern Danone demonstriert hat. Allerdings zeigt das Beispiel Medacta, dass Artisan einen langfristigen Ansatz verfolgt. Bei dem Schweizer Medtech-Unternehmen ist der Value-Investor seit Frühjahr 2020 mit einem Anteil von 4,95% investiert, ohne seitdem laute Forderungen gestellt zu haben. Hier ist die Wette auf eine Unterbewertung bisher aufgegangen. Der Titel hat sich seitdem bestens entwickelt.

Ob Artisan bei Barry einen ähnlichen Ansatz verfolgt, wird sich zeigen. Dass die Amerikaner sich bisher kaum offiziell zu diesem Engagement äussern wollten, spricht allerdings eher dafür. Einzig in einer kurzen Stellungnahme gegenüber Bloomberg zeigte man sich zuversichtlich, dass Barry «als gut kapitalisiertes Unternehmen in einer kapitalintensiven Branche eine grosse Chance für Value-Investoren ist». Zudem sei man der Meinung, dass das Management von Barry alles richtig mache und «sicherlich keinen Input von Finanzinvestoren braucht».

Auf lange Sicht eine seltene Chance

Auch aus Sicht von The Market stehen die Chancen gut, dass Barry aus dieser Krise gestärkt hervorgehen und in ein paar Jahren eine noch grössere Marktdominanz aufweisen kann als heute schon – was sich entsprechend in einem höheren Aktienkurs reflektieren wird. Kaum ein anderer Player ist bilanztechnisch so gut für die derzeitige Kakaopreiskrise gerüstet wie Barry.

Die Umsetzung der neuen Strategie wird indes Zeit benötigen. Es handelt sich um ein mehrjähriges Programm, das sehr kapitalintensiv ist und den Wiederaufbau von Fabriken sowie die Verbesserung ihrer Leistungsfähigkeit erfordert. Das birgt naturgemäss Umsetzungsrisiken. Doch am Ende könnte ein verbessertes Geschäftsmodell stehen, das eine Ebit-Marge von 10% einfährt und die Kapitalrendite nach oben treiben dürfte. Die Belohnung für geduldige Anleger dürfte entsprechend folgen.

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