Sonntag, Oktober 27

Drei etwas andere Postkarten aus den Bergen.

Die Botschaften, die aus den Bergen kommen, sind meistens sonnig: Das Wetter ist schön, die Piste ist gut. Postkarten aus der Traumwelt des Tourismus.

In diesen Tagen aber, kurz vor der Wintersaison, kommt aus Zermatt ein Erlass des Gemeinderats, der die Wohnungsnot lindern soll. Hotelangestellte, die früher in Zermatt gewohnt hatten und später nach Täsch bei Zermatt auswichen, müssen nun teilweise Wohnungen weiter unten im Tal suchen, in Randa oder sogar in Visp. Aus Interlaken wird bekannt, dass der Tourismus nicht nur eine Initiative gegen Airbnb-Wohnungen provoziert, sondern auch einen Gemeinderat die Wiederwahl gekostet hat. Und in St. Moritz bemerkt Christian Jott Jenny, der Gemeindepräsident: «Tourismus ist Ausbeuterei.»

Es sind Postkarten der anderen Art: abgeschickt von der Schattenseite des touristischen Erfolgs, mit besorgten Grüssen.

3920 Zermatt: Not an der Hotelreception

Der Tourismus, sagt Sebastian Metry, sei nicht wie das Wasser, das aus dem Hahn komme. Man könne den Tourismus nicht einfach abdrehen, wenn es einem zu viel werde. In Zermatt produziert er immer neue Superlative, zuletzt fast 2,7 Millionen Logiernächte in einem Jahr. Als Hotelier im «Schönegg» verkauft Sebastian Metry «the view», wie es auf der Website heisst, die strahlende Aussicht auf das Matterhorn. Als Präsident des Hoteliervereins kennt er auch eine andere Perspektive. «Die Wohnungsnot in Zermatt ist bekannt», schreiben die Hoteliers diese Woche in einer Stellungnahme, «das Problem werden wir aber nicht alleine lösen können.»

Seit die Leute im 19. Jahrhundert die Berge entdeckten, lebt Zermatt vom Tourismus und mit ihm. Es begann übersichtlich: In den Hotels wurden die Gäste beherbergt, und in den Wohnungen lebten die Einheimischen und die Angestellten. Seit die Leute im 21. Jahrhundert auch das Internet entdeckten, ist es unübersichtlicher geworden. Weil über Airbnb alle zu Gastgebern werden können, sind nicht mehr nur die Hoteliers, sondern auch die Wohnungsbesitzer im Tourismus tätig. Wohnungen, in denen früher Angestellte der Hotels und Herbergen wohnten, sind heute selbst eine Herberge.

Die Geschichte des Erfolgs ist auch eine der Verdrängung. Am Ende der Entwicklung steht der Vermieter, der seine Wohnungen im Internet ausschreibt und deshalb Putzpersonal sucht, dieses aber nicht findet, weil das Putzpersonal wiederum in Zermatt und Umgebung keine bezahlbare Wohnung findet. Oder das Hotel, das die Reception abends früher schliessen muss, weil die Receptionistin keine Wohnung im Ort findet – und den letzten Zug runter ins Mattertal erwischen muss. So erzählt man es sich im Ort.

Um das Problem zu lösen, will der Gemeinderat nun die Hoteliers dazu zwingen, eigene Personalunterkünfte zu bauen, sobald sie ihre Hotels substanziell erweitern. Im Tourismus waren viele überrascht vom Entscheid. Sebastian Metry sagt, als Hoteliers seien sie durchaus bereit, «die Not ein wenig zu lindern», aber es müssten sich auch andere daran beteiligten: Wirte, Bergbahnunternehmer, Wohnungsbesitzer. «Jeder Hotelier braucht ein Patent, muss Hygienestandards oder Fluchtwege garantieren, aber wer eine Wohnung vermietet, kann sie innert zwei Minuten auf ein Portal stellen und einkassieren.» Interessiert beobachtet man in Zermatt, wie andere Tourismusorte das sogenannte Airbnb-Problem zu lösen versuchen – wenn auch klar sei, dass die Eigentumsrechte nicht angetastet werden dürften. Metry wäre dafür, den Wohnungstourismus besser zu kontrollieren. Der Hotelierverein sucht das Gespräch mit der Gemeinde.

Sebastian Metry erlebt die Wohnungsnot, wenn er Studios für seine Angestellten sucht. Die Preise steigen seit einigen Jahren stark an. Er wolle seine Leute aber nicht in einem Zimmerli im Keller beherbergen, sagt er, «sie sind Gold wert für uns».

In Zermatt beginnt der Winter in wenigen Wochen, und er soll lange dauern, so wie es immer war. «Die Saison wird gut», sagt Sebastian Metry, «wir müssen nur noch zwei, drei Studios organisieren . . .» Er muss schauen, dass jene, die den Tourismus ermöglichen, nicht vom Tourismus verdrängt werden.

3800 Interlaken: Initiativen gegen das empfundene Zuviel

Auf Plakaten der SP in Interlaken heisst es: «Eine gute Idee wird zum Problem, Airbnb». Die Partei will, dass Airbnb-Wohnungen nur noch 90 Tage im Jahr vermietet werden dürfen. Als Vorbild dienen Genf oder Luzern, wo bereits solche Reglemente beschlossen wurden.

Die Initiative hat einen Nerv getroffen in einem Ort, in dem das Rollkofferrattern zum Grundrauschen gehört. Auch Interlaken verzeichnet gerade Rekordzahlen. Nach der Pandemie sei es «abgegangen wie ein Zäpfli», sagt Ruedi Simmler von der örtlichen SP. Jetzt merken sie auf dem Bödeli, dass der Wohnraum immer knapper wird. Simmler stört sich am Tourismusdirektor, der behauptet habe, es gebe keinen Overtourism in der Region. «Das ist Blödsinn», sagt er, «entscheidend ist, was die Leute empfinden.»

Simmler erzählt von Einheimischen, die aus ihren Wohnungen geschmissen wurden, weil der Vermieter lieber lukrativere Airbnb-Wohnungen anbieten wollte. Und von der Bern–Lötschberg–Simplon-Bahn (BLS), die ihren Standort im benachbarten Bönigen aufstockt. In Interlaken heisst es, die BLS habe Mühe, die Stellen zu besetzen, weil man in der Region keine Wohnung finde. Die BLS sagt auf Anfrage, das stimme nur teilweise. Auch der Fachkräftemangel erschwere die Suche.

Im Ort kursieren lauter solche Geschichten. Es ist ein Erzählen im Ungefähren. So entsteht das, was die Leute empfinden.

Die Kampagne der SP verfing jedenfalls. Bei den Wahlen im September legten sie zu – auf Kosten von Franz Christ von der SVP. Christ sagt: «Die Airbnb-Wohnungen haben mich den Gemeinderatsposten gekostet.» Zusammen mit seiner Lebenspartnerin besitzt er mehrere Liegenschaften, darunter das ehemalige Hotel Gotthard in Interlaken. Er bietet seine Wohnungen auch über Airbnb an. Und ist so zum Opfer des tourismuskritischen Zeitgeists geworden.

Christ sagt: «Wir haben einen Zweitwohnungsanteil von 14 Prozent. Für ein Tourismusdorf ist das kein Drama.» Doch es werde vieles vermischt. Interlaken sei zwar überlaufen, das schon. Aber die Tagesausflügler würden das Dorf übermässig bevölkern, nicht jene, die in Interlaken übernachteten.

Im September hat die SP in Interlaken ihre Initiative gegen Airbnb eingereicht, es kamen doppelt so viele Unterschriften zusammen wie nötig. Voraussichtlich im Jahr 2026 wird abgestimmt.

7500 St. Moritz: das unlösbare Tourismus-Dilemma

Es klingt wie ein Paradox: Platzmangel in den weiten Hochebenen des Engadins. Christian Jott Jenny, Gemeindepräsident von St. Moritz, sagt: «Wir bebauen gerade die letzten Parzellen.» Die Gemeinde beteiligt sich in den nächsten zehn Jahren an bis zu 300 neuen bezahlbaren Wohnungen für Einheimische im Oberengadin. Zumindest für St. Moritz gelte: «Dann können wir nur noch in die Höhe bauen.»

Das Problem hat sich längst ausgebreitet, bis nach Pontresina. «Seit 2012 werden im Schnitt nur noch ein bis zwei Wohnungen für Einheimische pro Jahr gebaut», sagt Gemeindepräsidentin Nora Saratz Cazin. «Davor waren es ungefähr zehn.» Nun sei der Wohnraum knapp. Saratz Cazin führt das auf die Zweitwohnungsinitiative zurück, die 2012 angenommen wurde. Diese schränkt den Bau von Zweitwohnungen ein. Doch teure Zweitwohnungen hätten mithilfe von Mischrechnungen lange Zeit bezahlbare Wohnungen für Einheimische querfinanziert, sagt Saratz Cazin. «Die Initiative hat den Markt verfälscht.»

Er sei eigentlich auch kein Freund von staatlichem Eingreifen, sagt Christian Jott Jenny. Aber seit er Gemeindepräsident sei, habe er gemerkt, dass eine gewisse Regulierung beim Wohnen für das Gemeinwohl sinnvoll sei. Sein Lieblingsbeispiel: «Wenn jemand eine Wohnung in St. Moritz erbt, kann er sie entweder behalten, sie für 1,5 Millionen der einheimischen Familie Giovanoli verkaufen, deren Vater Skilehrer ist, oder er kann sie in eine Zweitwohnung umwandeln und für 3,9 Millionen verkaufen.» Natürlich täte jeder Letztgenanntes, «das ist menschlich». Nur höhle das den Ort aus.

In Gedanken kehrt Jenny in seine Gymi-Zeit zurück. Ein Satz seines damaligen Geografielehrers lasse ihn nicht mehr los: «Tourismus ist Ausbeutung.» Der Natur, des Menschen, der Welt. Gleichzeitig bringe Tourismus auch Wohlstand und Bildung. «Es ist ein unlösbares Dilemma», sagt Jenny.

«Stop Tourismus» sei kürzlich ins benachbarte Silvaplana gesprayt worden. Jenny sagt, in St. Moritz enervierten sich die Ladenbesitzer und Gewerbler über die Tagestouristen, die am Morgen kämen und am Abend wieder gingen – ohne etwas zu konsumieren. So wie in Interlaken. Es gebe im Ort auch Träumer, die wieder zurück wollten, ein Bauerndorf sein. Aber dieses Zurück habe es gar nie gegeben. «St. Moritz war weder ein Dorf, noch hatte es Bauern. Wir waren immer touristisch. Hier wurde vor 160, 170 Jahren der Wintertourismus sogar erfunden.» St. Moritzer Phantomschmerz? Jenny sagt: «Ein grosser Teil der Bevölkerung weiss, wovon er lebt: vom Tourismus. Und zwar nicht zu 99 Prozent, sondern zu 100.»

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