Im Zentrum der umstrittenen Bestrebungen steht der rechtsextreme Minister Bezalel Smotrich. Er will einen palästinensischen Staat mit allen Mitteln verhindern.

Zwischen dem anhaltenden Krieg im Gazastreifen und der sich stetig zuspitzenden Lage an der Nordgrenze Israels geht ein dritter Brennpunkt im Nahen Osten bisweilen fast vergessen: das von Israel besetzte Westjordanland. Doch auch dort hat sich die Lage seit dem Hamas-Massaker am 7. Oktober drastisch zugespitzt: Fast schon wöchentlich liefert sich die israelische Armee Gefechte mit militanten Palästinensern in Tulkarem oder Jenin. Immer wieder kommt es zu Anschlägen gegen Israeli, während jüdische Extremisten palästinensische Dörfer angreifen.

Inmitten dieser explosiven Lage treibt Israel nun die Besiedlung des Gebiets weiter voran. Am Mittwoch gab die israelische Aktivistengruppe Peace Now bekannt, dass die israelischen Behörden im Juni ein Gebiet von 12,7 Quadratkilometern im Jordantal zu «Staatsland» erklärt hätten. Laut der Gruppe, die sich gegen die Besetzung des Westjordanlands engagiert, handelt es sich dabei um die grösste Aneignung von Land seit den Oslo-Abkommen im Jahr 1993.

Zuvor hatte das Land als militärisches Sperrgebiet gegolten. Indem es nun zu staatlichem Land erklärt wird, kann es unter anderem für den Siedlungsbau genutzt werden. Unter Berufung auf altes osmanisches Recht erklärt Israel immer wieder besetzte Gebiete im Westjordanland zu «Staatsland», um dieses – zumindest in der Theorie – vorübergehend zu verwalten.

«Wir unterbinden die Gefahr eines palästinensischen Staates»

In der Praxis wird die Besiedlung des Westjordanlands aber immer permanenter. Am Mittwoch und am Donnerstag beriet die zuständige israelische Behörde zudem Pläne, 6000 neue Wohneinheiten in verschiedenen Siedlungen in dem Gebiet zu bauen. Diese sind gemäss dem Völkerrecht und nach Ansicht des Grossteils der Staatengemeinschaft illegal – Israel bestreitet dies. Inzwischen leben mehr als 500 000 jüdische Siedler im Westjordanland. Kaum überraschend sorgten die israelischen Pläne umgehend für internationale Kritik.

Applaus kam hingegen von Bezalel Smotrich, dem israelischen Finanzminister und Vorsitzenden der rechtsextremen Partei Religiöser Zionismus. «Gott sei Dank, wir bauen und entwickeln die Siedlungen und unterbinden die Gefahr eines palästinensischen Staates», sagte er in Bezug auf die geplanten 6000 Wohneinheiten. Smotrich, der ausserdem als Minister im Verteidigungsministerium für zivile Angelegenheiten im Westjordanland zuständig ist, hat seit seinem Eintritt in die Regierung seine Befugnisse zur Bewilligung von Siedlungen stark ausgeweitet.

Kürzlich prahlte er damit, dass seit seiner Amtsübernahme 24 000 Wohneinheiten bewilligt worden seien, mehr als in den drei Jahren zuvor. Ende Juni wurden zudem Tonaufnahmen publik, in denen Smotrich sagt, er schaffe «Fakten vor Ort, um Judäa und Samaria zu einem integralen Bestandteil des Staates Israel zu machen». Judäa und Samaria sind die biblischen Namen für das Westjordanland – das Smotrich offensichtlich annektieren möchte.

Smotrichs Manöver ging auf

Seine Posten als Finanzminister und Minister im Verteidigungsministerium nutzt der 44-Jährige, der selbst in einer Siedlung im Westjordanland wohnt, sehr geschickt. Eine Episode vergangene Woche macht deutlich, wie gross sein Einfluss auf Ministerpräsident Benjamin Netanyahu ist. Smotrich setzte im Kabinett eine Reihe von Massnahmen durch, darunter die Legalisierung von fünf Aussenposten. Dabei handelt es sich um Siedlungen, die selbst nach israelischem Recht illegal sind.

Im Gegenzug willigte Smotrich ein, Steuergelder in Millionenhöhe freizugeben, die Israel für die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) im Westjordanland eintreibt. Zuvor hatte er diese während dreier Monate zurückgehalten. Ausserdem hatte er damit gedroht, die Genehmigung für die Zusammenarbeit israelischer und palästinensischer Banken nicht zu verlängern – was wohl einen Zusammenbruch des Bankensektors im Westjordanland nach sich gezogen hätte.

Nach dem Kabinettsentscheid verlängerte Smotrich die Banken-Genehmigung für weitere vier Monate. Der Finanzminister versteht die verhängten Massnahmen als Sanktionen gegen die PA, die Klagen gegen Israel vor internationalen Gerichten unterstützt hatte, sowie gegen Spanien, Irland und Norwegen, die im Mai einen palästinensischen Staat anerkannt hatten.

Der israelische Finanzminister ist zwar eine treibende Kraft beim Siedlungsbau, doch bei weitem kein Einzelkämpfer. Die Regierung und auch weite Teile der Opposition befürworten die Besiedlung des Westjordanlands. Nach der Anerkennung Palästinas durch mehrere europäische Staaten erleichterte etwa Verteidigungsminister Joav Gallant, der innerhalb der Regierung als gemässigt gilt, den Zugang von Siedlern zu bestimmten Gebieten im Westjordanland. In der Siedlerbewegung werden allerdings längst grössere Pläne geschmiedet: So fordern nicht wenige, nach dem Krieg wieder jüdische Siedlungen im Gazastreifen zu errichten.

Exit mobile version