Freitag, Januar 3

Über eine kranke Ente, künstliche Riffe und eingezäunte Schilfgürtel.

Die Stunde der Warner schlug schon nach wenigen Tagen. Am Ende einer zügellosen Nacht Ende Mai lagen zerbrochene Bierflaschen am Seeufer, die Reste eines Kartons und – wie ein schamloses Menetekel – eine blaue Unterhose. Das berichteten Lokalreporter aus Richterswil, kurz nachdem dort 2012 das ambitionierteste neue Teilstück eines Zürichsee-Uferwegs eröffnet worden war.

Rufe Menschen, und du wirst Abfall ernten – diese Binsenweisheit verbreiten zwölf Jahre später die Gegner eines durchgehenden Uferwegs, um vor einer Volksinitiative zu warnen, über die im Kanton Zürich am 3. März abgestimmt wird. Ihre Nein-Kampagne stellt nicht die bedrohten Eigentumsrechte der Hausbesitzer am See in den Vordergrund, sondern Natur, Umwelt, Pflanzen und Tiere. Das Sujet dazu: eine Comicente, der es in einer Kloake den Magen dreht.

Das zielt genau dorthin, wo es auch bei links-grünen Sympathisanten und Sympathisanten der Initiative gelegentlich juckt. Weil sich leise Zweifel melden, ob ein solcher Weg wirklich ein Gewinn für den Naturschutz sein kann, wie dies die Initianten versprechen. Oder ob am Ende nicht vielmehr die Spassgesellschaft ohne Rücksicht auf Verluste ins Reich der Rohrdommel überbordet.

Die Naturschutzorganisation Pro Natura etwa unterstützt zwar die Initiative, räumt aber zugleich ein, dass diese «nicht unbedingt ein Natur- und Landschaftsschutzanliegen» sei. Die Erschliessung könne aus Sicht der Natur unerwünschten Betrieb an die Ufer bringen.

Prognosen sind aber keine harte Währung, und Evidenz ist am Zürichsee rar. Darum sind die eineinhalb Kilometer Wegstrecke zwischen Wädenswil und Richterswil ein interessanter Testfall. Nirgendwo ausserhalb der Stadt Zürich gibt es eine ähnlich lange Strecke, auf der die Vorstellung eines Seeuferwegs mit solcher Konsequenz umgesetzt wurde.

Das ist kein Trottoir, sondern ein separater Fussweg, der unmittelbar am Wasser entlang führt und abschnittweise darüber hinweg, auf einem Steg. Hier und da bieten kleine Strandabschnitte die Möglichkeit, direkt in den See zu waten.

Der Abschnitt zwischen Wädenswil und Richterswil

Bezeichnenderweise unterstrich die Kantonsregierung seinerzeit im Projektbeschrieb, es handle sich «um einen echten Seeuferweg ohne Ausweichstrecken». Das ist am Zürichsee alles andere als selbstverständlich. Möglich war es hier, weil die Bahnlinie einst direkt am See gebaut wurde und daher kaum private Liegenschaften tangiert waren.

Wer den Weg von Wädenswil nach Richterswil unter die Füsse nimmt, bemerkt, dass es ein sehr schmaler Landstreifen ist. Selbst das kleine Wäldchen zwischen den zwei Stegen ist nur wenige Meter breit, von beiden Seiten führen Trampelpfade hinein. Man fragt sich: Kann die Natur hier noch Luft holen? Oder leidet sie unter der Erschliessung? Und wie, wenn überhaupt, soll sie davon profitieren?

Abfall ist an schönen Tagen an zwei Hotspots ein Problem

Oliver Vogt ist Chef der Unterhaltsdienste der Stadt Wädenswil, die für die Reinigung des Wegs zuständig sind. Dreimal pro Woche fährt sein Team mit einem kleinen Wagen den Weg ab. Hotspots seien immer noch die beiden Badewiesen, die schon nach der Eröffnung zu reden gegeben hätten, besonders jene mit der Grillstelle.

Dort sei es wie überall am See, sagt Vogt: Nach schönen Sommertagen liege der Abfall nicht nur im Eimer, sondern auch auf der Wiese. Auf den anderen Wegabschnitten hingegen müssten seine Leute lediglich hier und da ein Papierchen einsammeln.

Regula Büchler und Joe Rogenmoser spazieren regelmässig auf dem breiten Kiesweg dem Seeufer entlang. Sie tun dies mit einem anderen Blick als jemand, der nur ans eigene Vergnügen denkt – beide sind im Vorstand des Naturschutzvereins von Richterswil. Der Abfall sei natürlich ein Problem, sagen sie unabhängig voneinander; an zwei, drei beliebten Orten gebe es oft viel aufzuräumen.

Sonst ist ihre Bilanz positiv. Der Weg werde gut genutzt, sagt Büchler, er sei aber nie so überfüllt wie die Uferzonen in der Stadt Zürich. Die meisten Leute blieben in den Badeanstalten, näher am Ortskern. Mensch und Natur kämen daher gut aneinander vorbei. «Die Spaziergänger trampeln nicht überall rein.»

Das liegt auch daran, dass die Strecke bei der Planung bewusst in verschiedene Abschnitte unterteilt wurde: In den einen hat die Erholung Vorrang, in den anderen die Natur. Zum Schutz der Vegetation, insbesondere der Schilfgürtel am flachen Ufer, wurde ein Lattenzaun errichtet und bis ins Wasser gezogen.

Diese Grenze werde respektiert, sagt Joe Rogenmoser. «Ich bin überrascht, dass es nicht mehr Vandalismus gibt und keine Pflanzen ausgerissen werden.» Wenn es ein Problem gebe, seien das nicht die Menschen auf dem Weg, sondern vereinzelte Stand-up-Paddler, die vom See her ins Schilf führen.

Anderer Ansicht ist Thomas Isler, der Präsident des Zürichsee-Landschaftsschutzes, der selbst direkt am See wohnt. Der Vorstandsausschuss habe sich gegen die Initiative ausgesprochen, sagt er. Zwischen Wädenswil und Richterswil zeige sich, warum: An schönen Tagen habe es dort viel Volk und noch dazu Hunde. Flora und Fauna hätten gelitten und seien heute beinahe inexistent. «Es ist ein relativ phantasieloser Weg ohne viel Grün. Nistplätze gibt es dort kaum mehr, ausser in den abgezäunten Bereichen.»

Der Verband Schweizer Wanderwege sah es anders, er verlieh diesem Stück Seeuferweg zwei Jahre nach der Eröffnung eine Auszeichnung. Begründung: Es sei gelungen, divergierende Interessen wie Naherholung und Naturschutz sorgfältig abzuwägen. Die kantonale Baudirektion, die für den Weg verantwortlich ist, teilt mit, man habe den Abschnitt noch nie sperren müssen, weil der Nutzungsdruck zu gross geworden sei.

Die ökologische Aufwertung beim Bau – ein Erfolg oder nicht?

Ein Nichtverlust für die Natur ist allerdings noch lange kein Gewinn. Ob der Weg Tieren und Pflanzen wirklich zugutekommt, wie die Initianten behaupten, steht auf einem anderen Blatt.

«Man muss ehrlich sein», sagt dazu Kathrin Jaag, die Geschäftsführerin von Birdlife Zürich, «ein solcher Weg dient immer in erster Linie dem Interesse der Menschen.» Ein Gewinn für die Natur könne er höchstens dann sein, wenn er mit einer ökologischen Aufwertung verknüpft werde.

Genau das hat der Kanton Zürich versprochen, als er den Weg damals baute. Er betrieb viel Aufwand, liess Material in den See schütten, um so die ökologisch bedeutsamen Flachwasserzonen zurückzugewinnen, die einst der Bahnlinie zum Opfer gefallen waren. Es wurden zwei Riffe gebaut, um die renaturierten Bereiche gegen Erosion zu schützen. Zudem wurden am Ufer und im flachen Wasser Schilf, Wildpflanzen und Bäume gesetzt.

Die lokalen Umweltschützer bewerten die Entwicklung positiv. «Die Aufwertungen am Seeufer entwickeln sich sehr schön», sagt Manuela Di Giulio vom Naturschutz Wädenswil. Die neu geschaffenen Flachwasserzonen und die abgeschirmten, mit Schilf bewachsenen Buchten seien ein Gewinn.

Kritischer ist Max Straub, der frühere Fischerei- und Jagdverwalter des Kantons, der sich als Naturfreund seit Jahren gegen Seeuferwege wehrt. Das Vorhaben sei nicht geglückt, findet er. Man habe viel Geld in neue Schilfgürtel investiert, aber wegen des starken Wellenschlags seien die Schösslinge immer wieder kaputtgegangen.

Die Baudirektion des Kantons hält dagegen, dass sich der Schilfgürtel insgesamt gut entwickelt habe. Die Aufwertung sei geglückt.

In Straubs Augen ist der Wegabschnitt zwischen Wädenswil und Richterswil unter dem Strich einerlei. Weder Gewinn noch Verlust. Denn es verhalte sich hier wie an den meisten Abschnitten des Zürichsees: «Man konnte gar nicht mehr viel kaputtmachen.»

Der ursprüngliche Flachwasserbereich, der für Wasserpflanzen und viele Fische, Reptilien, Amphibien und Vögel so bedeutsam ist, sei bereits früher zerstört worden. Im konkreten Fall beim Bau der Eisenbahnlinie, andernorts bei jenem der Seestrasse und der Häuser am See.

Kathrin Jaag von Birdlife, die sich im Gegensatz zu Straub in der Uferweg-Frage nicht exponiert hat, sieht es ähnlich nüchtern: «Auf solchen Abschnitten gibt es leider nicht mehr wahnsinnig viel zu stören.» Das Zürichseeufer sei für den Vogelschutz im Gegensatz zum Pfäffiker- oder dem Greifensee wenig interessant, weil es so stark verbaut sei.

Umso wichtiger ist laut Jaag, dass man die ökologischen Hotspots bei der Halbinsel Au, das Seeufer Schirmensee und die Feldbacher Bucht konsequent vor Störungen schütze und die seit langem versprochenen Seeschutzzonen endlich umsetze.

Deshalb hält Max Straub die Seeufer-Initiative für falsch und den Umweltaspekt für vorgeschoben: «Die letzten ursprünglichen Flachwasserbereiche, die es noch gibt, soll man in Ruhe lassen.» Die Feldbacher Bucht ist für Menschen heute kaum zugänglich, und er will, dass das so bleibt.

Die Initianten versuchen solchen Bedenken Rechnung zu tragen, indem sie nicht nur den Auftrag zum Bau des Uferwegs bis 2050 in die Kantonsverfassung schreiben wollen, sondern auch einen Vorbehalt: «Unberührte und ökologisch wertvolle Ufer sind ungeschmälert zu erhalten.»

Das ist der Grund, weshalb Pro Natura die Initiative unterstützt: Die Passage sei eine Garantie, dass in besonders wertvollen Zonen keine neuen Wege gebaut würden. Andernorts könne durch Aufwertungen wie zwischen Wädenswil und Richterswil sogar ein ökologischer Nutzen entstehen, «im Einzelfall».

Fazit: Ob man nun für oder gegen die Seeuferweg-Initiative ist – man sollte den Entscheid wohl eher nicht auf das Argument Naturschutz abstützen.

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