Mittwoch, Oktober 9

In der südjemenitischen Hafenstadt Aden wollen Separatisten einen eigenen Staat errichten. Dem Westen präsentieren sie sich als Bollwerk gegen das von Iran unterstützte Huthi-Regime in Nordjemen.

«Willkommen bei der Marine von Südarabien», sagt Askar Yaya und fährt sich mit der Hand über den mit Henna gefärbten Schnauz. Der 70-jährige Admiral ist ein stolzer Soldat. Er hat vor vielen Jahren an der sowjetischen Marineakademie von Leningrad studiert, heute trägt er eine weisse Uniform mit vielen Auszeichnungen und ein schwarzes Béret. Auf seiner Stirn kleben Schweissperlen. Es ist heiss im Büro der Marinebasis von Aden, der Strom ist ausgefallen.

«Die Huthi sind ein Problem – nicht nur für uns, sondern für die ganze Welt», sagt Yaya über die zu Piraten mutierte Miliz aus dem Norden Jemens, die seit Ausbruch des Gaza-Kriegs die Frachtschiffe im Roten Meer mit Raketen und Drohnen attackiert. «Sie müssen deshalb bekämpft werden. Wir könnten dazu einen Beitrag leisten.»

Wenn es nach Admiral Yaya ginge, würden seine Schiffe rund um die Uhr auf See patrouillieren und den südlichen Eingang zum Roten Meer sichern. Doch dem Admiral fehlen dazu die Mittel, wie ein kurzer Rundgang durch den Hafen von Aden zeigt. Denn die südjemenitische Marine besteht aus nicht viel mehr als ein paar kleinen Booten. Der Rest der Flotte rostet im Hafenbecken vor sich hin. Vier australische Patrouillenschiffe sind mangels Ersatzteilen ausser Betrieb.

Viele hier wollen einen eigenen Staat

Die alten russischen Raketenboote hat es noch schlimmer erwischt. Sie liegen leck im Wasser oder sind vollständig gesunken. Im Hintergrund sind einige Männer in Plastiksandalen zu sehen, die ein verrostetes Wrack zerschneiden. Die Marine verkaufe das Altmetall, um wenigsten ein bisschen Einnahmen zu generieren, sagt Yaya und blickt durch die Gläser seiner Sonnenbrille aufs Meer. «Wir brauchen dringend Unterstützung.»

Der desolate Zustand seiner Flotte, die infolge von jahrelanger Vernachlässigung, Bürgerkrieg und fehlendem Geld nahezu komplett auf Grund liegt, ist nicht Yayas einziges Problem. Südarabien – jenes Land, für das der Admiral spricht und für das er so gerne mit seinen Männern in See stechen würde – existiert nämlich gar nicht. Zumindest offiziell dient er immer noch der Republik Jemen.

Wenn es nach dem Marinechef geht, soll sich das bald ändern. Wie viele Einwohner von Aden träumt er davon, dass sich der Süden wieder vom durch Bürgerkrieg und Chaos zerrütteten Jemen abspaltet. «Der Norden hat uns jahrelang bevormundet. Jetzt herrschen dort auch noch die Huthi. Uns bleibt nichts anderes übrig, als unseren eigenen Weg zu gehen», sagt der Admiral.

Schon als die Huthi 2015 nach dem Sturz des Langzeit-Diktators Ali Abdullah Saleh in der Hauptstadt Sanaa die Macht übernahmen, warben Südjemens Separatisten für die Unabhängigkeit. Jetzt, da die Huthi die internationale Schifffahrt sabotieren, sehen sie ihre Stunde gekommen. Angesichts des Chaos im Roten Meer, so argumentieren sie, könne ein stabiler Staat in Südjemen für Sicherheit sorgen.

Südjemen war schon einmal unabhängig

In Aden ist dieser Staat bereits ein Stück weit Realität. Nachdem die Huthi in Sanaa die Macht übernommen hatten, war die international anerkannte Regierung Jemens zunächst nach Aden geflohen. Doch 2018 vertrieben die Separatisten die Regierung aus der Stadt. Seither wehen überall die Fahnen des Südens.

«Wir haben ein Recht auf Selbstbestimmung», sagt Saleh al-Hag, der Aussenminister des Südlichen Übergangsrats (STC), wie sich die südjemenitische Quasiregierung nennt. Er sitzt in einem alten Hotel unweit von Yayas ramponierter Marinebasis. An der Wand hängt wie überall das Bild von Aidarus al-Zubaidi, dem starken Mann in Aden. Der frühere Offizier hatte in den Wirren nach der Eroberung von Sanaa durch die Huthi die Führung des STC übernommen.

Seither blickt er von riesigen Plakaten auf die Strassen Adens herab. «Gemeinsam mit Präsident Aidarus al-Zubaidi in eine bessere Zukunft», steht darauf. Zubaidi sei leider sehr beschäftigt, er könne daher keine Interviews geben, heisst es vom STC. Dafür spricht Hag mit den ausländischen Journalisten. Der STC wolle im Süden eine Abstimmung über die Unabhängigkeit durchführen, wie in einer richtigen Demokratie, sagt er. «Wir sind schliesslich eine Volksbewegung.»

In Aden würden die Separatisten dafür womöglich eine Mehrheit finden. Denn in der heruntergekommenen Hafenstadt erinnern sich viele mit Wehmut an jene Zeit, als Südjemen unabhängig war. Von 1968 bis 1990 existierte hier die Demokratische Volksrepublik Jemen, ein stramm kommunistischer Staat, der mit Moskau verbündet war und im Westen als übles Terroristennest galt, in dem selbst die deutsche RAF Unterschlupf fand.

«Für die Frauen war die Lage besser»

Das aus einer britischen Kolonie entstandene Südjemen war ebenso arm wie instabil. Dessen schnauzbärtige Apparatschiks bekämpften sich derart heftig, dass sie sich bei Politbürositzungen mitunter über den Haufen schossen. Doch angesichts des Bedeutungsverlusts, den ihre Stadt infolge der Vereinigung mit dem konservativen Nordjemen 1990 hinnehmen musste, wünschen sich viele Einwohner von Aden die alte Sozialistenrepublik zurück.

«Unser Land war zwar arm», sagt Nahma al-Seli, die damals als Staatsangestellte arbeitete. «Aber die Grundversorgung war gesichert, das Bildungssystem war exzellent, und vor allem für Frauen war die Situation gut.» In den 1970er und 1980er Jahren habe sie keinen Schleier tragen müssen und in jedem Beruf arbeiten dürfen, erzählt die 70-Jährige, während sie in ihrem Haus Saft und Kuchen servieren lässt. «Heute schreiben uns die Islamisten vor, was wir zu tun haben.»

Vor allem die schiitischen Huthi mit ihrer ultrakonservativen Ideologie sind vielen Südjemeniten ein Grauen. Spätestens nachdem die Huthi 2015 versucht hatten, die Hafenstadt Aden im Sturm zu nehmen, war vielen klar: Mit dem Norden ist kein Staat zu machen. «Es weiss doch jeder, wer eigentlich hinter den Huthi steckt», sagt der STC-Mann Hag mit Blick auf die iranischen Verbündeten der Miliz.

Immer wieder versuchen die Separatisten sich deshalb als Partner des Westens ins Spiel zu bringen. Gleichzeitig fordern sie von der internationalen Gemeinschaft ein härteres Vorgehen gegen die Huthi. Zwar beschiessen Briten und Amerikaner seit Monaten immer wieder Waffenlager, Raketenrampen und andere Einrichtungen der Huthi. Doch den Separatisten reicht dies nicht. Sie fordern, dass dem Treiben der Huthi endlich ein Ende gesetzt werde. «Wir sind die Opfer eines regelrechten Wirtschaftskrieges», sagt Hag.

Einflussreiche Milizenführer und Politbosse

Wie alle Kriegsparteien in Jemen spielt aber auch der STC ein undurchsichtiges Spiel. So tragen die Milizionäre, die die zahlreichen Checkpoints in Aden bewachen, zwar die Flagge des Südens auf ihren Uniformen. Zu wem genau sie aber gehören, lässt sich nicht wirklich sagen. Denn auch in den Gebieten der Separatisten herrschen zahlreiche Milizen- und Parteiführer über eigene Fürstentümer.

Zudem ist unklar, ob Südjemen wirtschaftlich auf eigenen Füssen stehen kann. Der Hafen von Aden – früher einst die Haupteinnahmequelle der Stadt – wird seit dem Huthi-Krieg gegen die internationale Schifffahrt kaum mehr angelaufen. Die grosse Ölraffinerie funktioniert ebenfalls nicht mehr. Und die wichtigen Ölfelder in Shabha und Maarib befinden sich nur teilweise unter Kontrolle der Separatisten.

Daher sind Zubaidi und seine Männer auf Hilfe von aussen angewiesen. Doch ihr Hauptsponsor, die Vereinigten Arabischen Emirate, scheint kein Interesse an einer schnellen Unabhängigkeit zu haben. Der STC-Chef nimmt deshalb im komplizierten Geflecht der jemenitischen Politik eine Doppelrolle ein: Neben seiner Eigenschaft als Separatistenführer sitzt er auch noch in der international anerkannten Regierung Jemens.

Viele ältere Sozialisten sehen die neuen Führer skeptisch. Die Politiker in Jemen seien doch alle korrupt, schimpft Seli, die ehemalige Staatsangestellte. Immer wieder habe sie versucht, mit Verbesserungsvorschlägen auf die Parteiführer zuzugehen – aber denen sei die desolate Lage egal. Wer mit jüngeren Leuten spricht, bekommt ebenfalls nicht nur Positives zu hören: «Wenn du den STC kritisierst, bekommst du sofort Probleme», sagt ein junger Journalist.

«Ich will einfach nur, dass endlich Stabilität herrscht»

Die untergegangene Volksrepublik werde zudem romantisch verklärt. «Viele Dinge funktionierten damals tatsächlich besser», sagt der Journalist. «Aber es gab auch Schattenseiten.» Heikle Themen wie die Blutfehde von 1986 seien bis heute tabu. Damals war ein Machtkampf im südjemenitischen Politbüro derart eskaliert, dass innert weniger Wochen Tausende getötet wurden und der Staat beinahe kollabierte.

Andere wiederum stehen der ganzen Angelegenheit pragmatisch gegenüber. Ihr sei es eigentlich egal, ob Südjemen unabhängig werde oder nicht, solange es aufwärtsgehe, sagt eine junge Frau in Aden: «Ich will einfach nur, dass wir in Sicherheit leben können und endlich Stabilität herrscht.» Immerhin habe der STC dafür gesorgt, dass es in Aden nach all dem Horror des Krieges nun sicherer sei.

Askar Yaya, der Admiral ohne Flotte, sieht das naturgemäss anders. «In den siebziger Jahren hatten wir die stärkste Marine der arabischen Welt», sagt er stolz, während seine Untergebenen ein kleines Boot für eine Rundfahrt klarmachen. Fast alle sind alte Männer in Shorts und Flipflops. «Wir haben einst im Arabischen Meer für Sicherheit gesorgt. Schau dir an, was aus uns geworden ist.»

Der Motor stottert, dann setzt sich das Gefährt in Bewegung und schippert langsam durch die Bucht von Aden. Yaya steht im Heck, blickt über den Hafen und auf die Silhouette seiner Stadt, die in der Mittagssonne wie ein verblichenes Foto aussieht: Kleine Häuser kleben an schroffen Berghängen, unten am Ufer weht die alte Fahne Südjemens. «Sobald wir unser Schicksal in die eigenen Hände nehmen, wird alles besser», sagt der Admiral.

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