Die Gewalt im jüngsten Staat der Welt könnte wieder eskalieren, meint die Uno warnend. Der Südsudan steht vor einem neuen Krieg. Lokale Gerichte versuchen, Konflikte friedlich beizulegen und damit zur Deeskalation beizutragen.

Seit der Staatsgründung im Jahr 2011 war es im Südsudan nie ganz friedlich. Der siebenjährige Bürgerkrieg endete 2018 mit einem Machtteilungsabkommen der beiden wichtigsten Ethnien, der Dinka und der Nuer. Doch auch seither bricht lokal immer wieder Gewalt aus.

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In mehreren Teilen des Landes kämpfen Regierungstruppen gegen Rebellenmilizen, Anfang März wurde ein Helikopter der Uno abgeschossen. Präsident Salva Kiir, der den Dinka angehört, liess seinen Vizepräsidenten Machar verhaften, der den Nuer angehört. Die Uno warnt davor, dass im Südsudan wieder ein offener Krieg ausbrechen könnte. Wie lässt sich das verhindern?

Eine Hoffnung beruht auf lokalen Gerichten, die zur Stabilisierung des Landes beitragen können. Eine andere, dass sich die Bevölkerung schlicht weigert, erneut in einen Krieg zu ziehen.

Gerichte unter den Bäumen

Im Südsudan, einem der weltweit am wenigsten entwickelten Staaten, gibt es nur wenige Juristen, aber viele Richter. Die meisten Konflikte werden an Chief-Courts beigelegt, lokalen Gerichten, die ohne hohe Hürden Fälle aus den umliegenden Dörfern beurteilen. Zur Verhandlung treffen sich fünf bis sieben Chiefs sowie alle, die zuhören wollen. Meist tagen die Gerichte unter Bäumen oder behelfsmässigen Unterständen. Entschieden wird über alle möglichen Dinge, es geht um Streitigkeiten wegen Ziegen, Konflikte wegen Grundstückgrenzen, um Ehebruch oder Mord.

Die Chiefs urteilen nach Brauchtum, Tradition und Ethik. Ein einheitliches formales Recht, wie es europäischer Rechtsprechung zugrunde liegt, gibt es auf dieser lokalen Ebene nicht. Trotzdem sind diese Gerichte wichtig. Martina Santschi, Expertin für den Südsudan bei der Stiftung Swisspeace sagt: «Die Chief-Courts können verhindern, dass aus einem Streit Gewalt wird.»

Im Südsudan werden Konflikte über Kompensation gelöst. So heisst es etwa: Stiehlst du mir eine Kuh, muss ich dir fünf zurückgeben. Findet diese Kompensation nicht statt, kann es zu Selbstjustiz kommen. Santschi sagt: «Seit dem Ende des letzten Bürgerkriegs starben viele Menschen wegen Konflikten auf lokaler Ebene.»

Können die Chiefs einen Streit nicht schlichten, wird das besonders heikel, wenn der Streit entlang ethnischer Linien entbrennt. Aus einem Einzelfall kann rasch eine Gruppenangelegenheit werden – und daraus ethnische Gewalt.

Die Chiefs, die ihr Dorf entwaffnen

Viele lokale Chiefs engagieren sich in Friedensinitiativen, arbeiten mit der Kirche und höheren staatlichen Ebenen zusammen und versuchen so, Gewalt zu verhindern. Um einen neuen Krieg zu verhindern, sagt die Südsudan-Expertin Santschi, reichten die Chiefs alleine nicht. Sie könnten aber, gerade weil sie in ihren Dörfern eine Autorität sind und von der Bevölkerung respektiert werden, eine wichtige Rolle einnehmen. Manchen ist es in den vergangenen Jahren gelungen, ihre Gemeinschaft zu entwaffnen. Ein Chief aus dem Norden des Südsudans, Abakar Salathin Decak, sagt in einem Film: «Wir Chiefs mögen Spannungen, Kämpfe oder den Tod nicht.»

Die Kehrseite davon, dass die Chiefs es als Aufgabe sehen, den Zusammenhalt einer Gemeinschaft zu wahren: Die Rechte der Einzelnen können verletzt werden. So kann es vorkommen, dass vergewaltigte Frauen den Täter heiraten müssen – um den Zusammenhalt der Gemeinschaft nicht zu gefährden.

Wenn ein Konflikt in kriegerische Gewalt eskaliert, kann die Autorität der Chiefs auch missbraucht werden. Zum Beispiel dann, wenn sie von der Regierung in deren Interesse eingesetzt werden. Andere Chiefs werden von Milizen erpresst, bedroht und auch gefoltert, damit sie Männer aus der Gemeinschaft in den Krieg schicken. Diese Männer fehlen nachher im sozialen Gefüge des Dorfes, was zu neuer Instabilität und zu Konflikten führen kann.

Dieses Risiko steigt gerade wieder an, weil auch der Südsudan vom Wegfall der Hilfsgelder aus den USA schwer getroffen wird. Mit der Armut steigt die Bereitschaft, sich einer Miliz anzuschliessen. Wo Geld für das Allernötigste fehlt, kann der Kriegsdienst als Ausweg gesehen werden.

Können die Chiefs diese Entwicklung hin zum Krieg stoppen? Alleine wahrscheinlich nicht, sagt Martina Santschi. Sie beobachtet aber, dass immer weniger Menschen im Südsudan schon wieder in den Krieg ziehen wollen. So besteht zumindest eine kleine Chance, dass der Ausbruch eines Krieges doch noch verhindert werden kann.

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