Falls er Angst habe, ersetzt zu werden, könne er auch mit einer Öllampe losziehen, spottet die Einsatzleiterin. Der Fall ist aber nicht zum Lachen.

Weder Hafen noch Alster sind in Sicht, keine Landungsbrücken, Klinkerfassaden und keine Reeperbahn, während sich die Kamera der Stadt von oben nähert.

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Stattdessen verfängt sich der Blick am «Telemoritz», einem alten Fernsehturm und Wahrzeichen von Hannover, wo der neue Hamburg-«Tatort» spielt. Vor zwei Jahren führte letztmals eine Schlepperbande den Bundespolizisten Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) in die niedersächsische Landeshauptstadt.

Damals ermittelte er gemeinsam mit seiner Kollegin Julia Grosz (Franziska Weisz), die jüngst zu Tode kam. Vollends verarbeitet hat Falke dies trotz einem Klosteraufenthalt nicht. Er agiert gedämpft und ohne feste Partnerin an seiner Seite.

Trotzdem bietet die Schweizer Regisseurin Viviane Andereggen, die etwa auch den Fall «Züri brännt» inszeniert hat, keine reine One-Man-Show. Denn Falke wurde nach Hannover beordert, um eine überregionale Ermittlertruppe bei der Aufklärung zweier perfider Morde zu unterstützen.

Erschütternde Brutalität

Am kriminalitätsbelasteten Raschplatz im Bahnhofsviertel hat ein Täter zwei Menschen niedergestochen, die in Sekundenschnelle verbluteten. Zielgenau hat er die Aorta am Oberschenkel getroffen und die Halsschlagader des zweiten Opfers.

Es sind die Brutalität und die Präzision des Täters, die selbst hartgesottene Polizeibeamten erschüttern, vor allem aber die Willkür, mit der er vorzugehen scheint. Und jederzeit könnte er wieder zuschlagen.

Das Krisenteam, zu dem die Kripobeamtin Feldman (Peri Baumeister) und die Hauptkommissarin Schmitz (Florence Kasumba) aus Göttingen gehören, steht unter Druck. Geleitet wird die Gruppe von der BKA-Direktorin Seil (Anna Stieblich), die eigene Vorstellungen hat, wie der Fall zu lösen sei. Unter vier Augen fühlt sie Falke auf den Zahn: «Wie offen sind Sie für neue Ermittlungsmethoden?»

Erstmals hat das Innenministerium den Einsatz von «Kroisos» genehmigt, einer KI-basierten Software, die Datensätze sammelt und auswertet. Nach kurzer Analyse präsentiert das Programm den psychisch labilen René Kowalski als wahrscheinlichsten Tatverdächtigen.

Vehement beteuert Kowalskis Schwester die Unschuld ihres Bruders. Falke hält Kroisos sowieso für «Quatsch», was ihm den Spott von Seil einbringt: «Wollen Sie eine Neuauflage von Kasparow gegen Deep Blue dreissig Jahre später?» Falls er Angst habe, ersetzt zu werden, könne er alternativ mit einer Öllampe losziehen.

Falke trinkt noch echte Milch

Tatsächlich wirkte Falke in seiner ausgebeulten Lederjacke selten so angestaubt-anachronistisch wie im Austausch mit dem KI-Experten Jennewein (Thomas Niehaus). Eiskalt lässt er jeglichen Annäherungsversuch des Tech-Profis an sich abtropfen, etwa wenn dieser ihm wegen seiner Vorliebe für Milch gleich einen Kanister aus dem Kaffeeautomaten rausdreht: «Das ist leider H-Milch», kontert Falke.

Schwung in die Sache bringt ein investigativ recherchierender Journalist, der wissen will, ob Seil keine Bedenken hätte, die Polizeiarbeit einem börsennotierten Privatkonzern zu überlassen.

«Im Wahn» begibt sich auf ein interessantes Spannungsfeld: Tatsächlich arbeiten Polizeibehörden in Bayern, Nordrhein-Westfalen und Hessen mit einem amerikanischen Überwachungsprogramm, hinter dem der Tech-Milliardär Peter Thiel steht. Und Juristen wie Ethiker diskutieren, was das Vordringen künstlicher Intelligenz auch für die Kriminalistik bedeutet.

Nur wird die Thematik recht unterkomplex dargestellt, die Welt schlicht in Gut und Böse eingeteilt. Weil er seinen weiblichen Figuren zudem kaum Glanzmomente gönnt – Falke als Hahn im Korb hin oder her –, bleibt der Hamburg-«Tatort» wieder einmal unter seinen Möglichkeiten.

«Tatort» aus Hamburg: «Im Wahn». Montag, 20.05/20.15 Uhr, SRF 1 / ARD.

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