Dienstag, Juni 10

Der Kongress ermächtigt Präsident Biden, russische Dollarreserven für den Wiederaufbau der Ukraine zu beschlagnahmen. Der Druck auf die EU und die Schweiz wird steigen, mitzuziehen.

Der Ukraine-Krieg wird auch für die USA immer teurer – diese Woche hat der Kongress weitere 60 Milliarden Dollar Hilfsgelder gesprochen. Bei den Amerikanerinnen und Amerikanern bröckelt derweil der Wille, die Ukraine mit Steuergeldern zu unterstützen. Schon länger schielt man deshalb in Washington auf die russischen Währungsreserven, die eingefroren in den USA liegen. Die Idee: die Vermögenswerte zu konfiszieren und damit den kostspieligen Wiederaufbau der Ukraine zu finanzieren. Russland soll den immensen Schaden selber berappen, welchen es in der Ukraine angerichtet hat.

Für diese «saubere Lösung» fehlte bisher aber die rechtliche Grundlage – auf nationaler und internationaler Ebene. Doch nun hat der Kongress das sogenannte Repo-Gesetz verabschiedet, das dem Präsidenten den Zugriff auf die russischen Devisen ermöglicht und ihn anweist, einen Ukraine-Unterstützungsfonds zu gründen. Das Gesetz segelte als Anhängsel des 95 Milliarden Dollar schweren Hilfspakets für die Ukraine, Israel und Taiwan durch die Kammern. Es diente linken und rechten Zweiflern im Kongress als Gleitmittel für die umstrittene Ukraine-Hilfe.

Heikle juristische Argumentation

Ob Präsident Biden die russischen Vermögenswerte tatsächlich beschlagnahmen wird, dazu hat er sich bisher nicht geäussert. Man darf aber annehmen, dass der politische Druck in Washington gross sein wird, genau das zu tun. Es wäre ein präzedenzloser Schritt, weil die USA keine Kriegspartei sind. Der zu erwartende Impact ist unerheblich. Bloss zwischen 4 und 5 Milliarden Dollar russische Währungsreserven liegen in den USA . Das sind ein bis zwei Prozent der weltweit gesperrten russischen Staatsgelder, insgesamt liegt der Wert bei 300 Milliarden Dollar. Der Löwenanteil, rund 190 Milliarden, ist in Belgien bei der Clearing-Gesellschaft Euroclear deponiert. In der Schweiz liegen laut dem Seco Reserven und Vermögenswerte der russischen Zentralbank im Wert von 7,24 Milliarden Franken.

Die eigentliche Tragweite des Repo-Gesetzes liegt darin, dass es eine Präzedenz im internationalen Recht schafft. Das Gesetz setzt den neuen Standard, dass «die extrem rechtswidrigen Handlungen der Russischen Föderation eine einzigartige Situation darstellen, die es rechtfertigt, dass die Regierung der Vereinigten Staaten und andere Länder ermächtigt sind, russisches Staatsvermögen in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet zu beschlagnahmen». Die ursprüngliche Fassung ging weiter und sprach von einem allgemeinen Recht, Devisenreserven sogenannter Aggressor-Staaten zu konfiszieren. Doch trotz dem engen Fokus auf Russland und dem Hinweis auf die «einzigartige Situation» erstellen die USA eine Vorlage für künftige Konflikte.

Risiken auf dem Devisenmarkt

Experten in Washington wiesen auf die hohen Risiken hin, sollte die amerikanische Regierung unilateral vorgehen – sie halten die Beschlagnahmung für moralisch richtig, aber juristisch und wirtschaftlich heikel. Als grösstes wirtschaftliches Risiko gilt der mögliche Effekt auf den Dollar als wichtigste Weltwährung. Die ohnehin fortschreitende Entdollarisierung des Devisenmarkts könnte beschleunigt werden. Sähen Zentralbanken die Sicherheit ihrer Dollarreserven gefährdet, könnten sie zu alternativen Währungen wie dem Renminbi flüchten, sagen Ökonomen warnend.

Russland hat bereits angedroht, Gegenmassnahmen zu ergreifen. Es ist unklar, was der Kreml damit meint. Aber der ehemalige Chefökonom des Internationalen Währungsfonds, Ken Rogoff, nimmt die Drohung ernst. «Eine Beschlagnahmung ist sehr schwierig umzusetzen angesichts des Schadens, den Russland anrichten kann», sagte er gegenüber dem «Time»-Magazin.

Um die eigenen Währungsrisiken zu minimieren, wird die amerikanische Regierung den Druck auf die G-7-Länder und auch die Schweiz nochmals verstärken, multilateral vorzugehen. Bei den EU-Ländern setzt man derzeit auf die Idee, nur die Erträge der russischen Devisenreserven in den Wiederaufbau der Ukraine zu stecken. Die G-7-Verhandlungen werden weitergehen; dabei hat Washington nun ein Gesetz in der Hand, um eine härtere Gangart zu fordern.

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