Dienstag, Oktober 8

Der typische Zürcher Stadtrat ist mehr als doppelt so lange im Amt wie ein Bundesrat. Eine Auslegeordnung.

Wer regiert Zürich? Wer zur Bosheit neigt, kann zu dem Schluss kommen: eine Gruppe von Leuten, die seit Jahren, ja bald Jahrzehnten an ihrem Amt hängen.

83 Amtsjahre hat die neunköpfige Stadtregierung derzeit gemeinsam auf dem Buckel. Beim Wahltermin in zwei Jahren werden es über 100 sein. Der Durchschnitt liegt bei gegenwärtig über 9 Jahren pro Ratsmitglied. Zum Vergleich: In Basel, der zweitgrössten Deutschschweizer Stadt, sind es etwas mehr als 4 Amtsjahre. Im Bundesrat liegt der Durchschnitt sogar darunter.

Stadtpräsidentin Corine Mauch ist mittlerweile 15 Jahre im Amt. Knapp dahinter folgen André Odermatt (SP) und Daniel Leupi (Grüne). Träten die drei bei den nächsten Wahlen im Frühjahr 2026 nochmals an, sähen sie einer Amtszeit von 20 Jahren und mehr entgegen. Zumal Mauch und Odermatt kürzlich gegenüber der NZZ betont haben, dass sich ein Rücktritt vor Ende der Legislatur nicht gehöre.

21 Jahre Mauch, 20 Jahre Odermatt, 20 Jahre Leupi?

Dass dieser Fall eintritt, ist schwer vorstellbar. Der interne Druck aus den Parteien auf die Politiker, Platz für neue Kräfte zu machen, dürfte beträchtlich sein. Und deshalb stehen mit grosser Wahrscheinlichkeit Veränderungen an. Zuallererst beim Präsidium. Auch wenn die nächsten Wahlen erst 2026 stattfinden: Die Kür der Kandidatinnen und Kandidaten hat in den Parteien bereits begonnen.

Das Stadtpräsidium: SP-Plan oder eine Figur von aussen?

Zürich könnte nach 17 Jahren eine neue Stadtpräsidentin oder einen neuen Stadtpräsidenten bekommen. Aber wen? Lange Zeit hiess es, der Finanzvorstand Leupi wolle Mauch unbedingt beerben. Gegenüber den Tamedia-Zeitungen machte er kürzlich aber klar, dass er das Präsidium nicht anstrebe – und nie angestrebt habe.

Bei der FDP hat Stadtrat Michael Baumer, Vorsteher des Departements der Industriellen Betriebe, Ambitionen auf das Präsidium angemeldet. Unter Bürgerlichen gibt es aber auch Stimmen, die sich dafür eine Kandidatin oder einen Kandidaten von ausserhalb des traditionellen Parteiengefüges wünschen. Eine Figur wie Christian Jott Jenny, Theatermann und Gemeindepräsident von St. Moritz zum Beispiel, der von einer Allianz von SVP bis GLP getragen werden könnte.

Doch unter normalen Umständen wird die Frage nach der Mauch-Nachfolge nicht bei den Grünen oder den Bürgerlichen entschieden. Sondern in der SP, der mächtigsten Partei der Stadt. Das Präsidium ist seit 34 Jahren in ihrer Hand.

Der offensichtliche Kandidat wäre der Sozialvorstand Raphael Golta, gemäss den Wahlen 2022 der viertbeliebteste Stadtzürcher Politiker nach Mauch, Leupi und Odermatt. Auf Anfrage äussert sich Golta nebulös: Er wolle politisch tätig bleiben. «Auf welcher Ebene und in welcher Funktion werde ich zu gegebener Zeit entscheiden.»

Aber geniesst Golta in der SP noch ausreichend Rückhalt?

Golta wurde 2014 gewählt. Die Partei ist seither sehr viel aktivistischer geworden. Und es ist gut möglich, dass es aus Sicht der Partei zwingend eine Präsidentin sein muss. Und kein Präsident.

Simone Brander wäre ebenfalls eine Bisherige, aber ein Wechsel der Velo-Politikerin weg vom Tiefbaudepartement drängt sich eher nicht auf. Und so ist es denkbar, dass die SP eine Neue auf den Schild hebt und quasi direkt ins Präsidentenamt befördert. So ist es bei Corine Mauch einst ebenfalls gewesen.

Mauch gelangte als unbekannte, farblose Gemeinderätin an die Spitze. Mit ihrer Wahl 2009 galt als erwiesen, dass die SP jede Kandidatin, jeden Kandidaten durchbringen kann. Mauch entwickelte erst im Amt und im Verlauf der Jahre Profil.

Manche sagen jetzt Nationalrätin Céline Widmer eine ähnliche Karriere voraus. Zumal sie im Hauptberuf heute schon Mitarbeiterin im Stab von Corine Mauch ist. Sie würde bei einer Wahl praktisch nur die Bürotüre wechseln.

Der Stadtrat: Es wird wohl Rücktritte geben

Aber nicht nur das Präsidium – auch der Stadtrat insgesamt steht vor einem grossen Umbruch. Und zwar deshalb, weil sich Vakanzen auftun.

Die Situation wird bei den nächsten Wahlen 2026 ganz anders sein als vor zwei Jahren. Damals wollte die SP unbedingt einen vierten Sitz gewinnen. Da hätte es schlecht gepasst, wenn Bisherige zurückgetreten wären. So war Simone Brander (SP) als Nachfolgerin von Richard Wolff (AL) der einzige Neuzugang.

Dieses Mal könnten es bis zu vier freie Sitze sein. Und ein offenes Rennen darum geben.

Andreas Hauri (GLP), Vorsteher des Gesundheits- und Umweltdepartements, kündigt auf Anfrage der NZZ seine erneute Kandidatur an, die Nomination der Partei vorausgesetzt. Er sagt, er wolle weiter «anpacken und aktiv gestalten», und zwar in den Bereichen Gesundheit, Alter und Klima.

Von den übrigen neun Stadträten hat nur Michael Baumer angekündigt, dass er wieder antrete. Mit grosser Wahrscheinlichkeit kandidieren erneut: Karin Rykart (Grüne), Simone Brander und Golta (beide SP).

Fragezeichen gibt es hingegen bei Mauch, Odermatt, Leupi und Filippo Leutenegger (FDP).

Für die Parteien birgt die Ausgangslage Risiken. Das gilt vor allem für die FDP. Die Partei mit einem Wähleranteil von 17,5 Prozent bei den Wahlen 2022 braucht zwei Stadtratssitze, wenn sie im rot-grün dominierten Stadtrat zumindest ein gewisses Gegengewicht bilden will.

Baumer wurde 2022 nur knapp gewählt, 1205 Stimmen lag er vor Walter Angst von den Alternativen. Damals war die Partei heilfroh um den prominenten zweiten Kandidaten Leutenegger, der zwar nicht glänzend, aber problemlos gewählt wurde. Doch nun muss es wohl ohne ihn gehen.

Der Schulvorsteher Leutenegger selbst will die Frage nicht kommentieren. In der Partei gilt es aber als offenes Geheimnis, dass der 71-Jährige nicht mehr antritt. Nicht nur aus Altersgründen: Leutenegger hat mit dem Präsidium der kantonalen FDP eine zweite gewichtige Aufgabe übernommen.

Die FDP: Ein Secondo oder doch eine Frau?

Wer könnte ihn ersetzen? Der bestgewählte liberale Stadtzürcher bei den Nationalratswahlen 2023, Andri Silberschmidt, ist aus der Stadt weg ins Säuliamt gezogen. Und die Gesundheitspolitikerin Bettina Balmer fokussiert sich lieber auf den Nationalrat.

Ein valabler Kandidat wäre der städtische Parteipräsident Përparim Avdili. Ein albanischer Secondo als Kandidat würde der Partei in der Stadt Zürich Sympathiepunkte bringen. Ambitionen hat dem Vernehmen nach auch Flurin Capaul, redegewandter Gemeinderat aus Wiedikon.

Parteiintern wird allerdings der Ruf nach einer weiblichen Kandidatin neben Baumer laut. Bei den letzten Wahlen kandidierte Kantonsrätin Sonja Rueff-Frenkel und blieb chancenlos. Momentan hält sie sich auf Anfrage bedeckt.

Aus der FDP-Gemeinderatsfraktion soll Marita Verbali, Unternehmerin und Spitalplanerin, Ambitionen hegen. Nicht zur Verfügung stehen hingegen Yasmine Bourgeois und Martina Zürcher, wie sie auf Anfrage der NZZ sagen.

Die Grünen: Zwei Frauen für Leupi

Auch die Stadtzürcher Grünen mit einem Wähleranteil von 14,3 Prozent könnten einen ihrer zwei Stadtratssitze verlieren, sollte Daniel Leupi tatsächlich nicht mehr antreten. Als Ersatz für ihn kommt Anna-Béatrice Schmaltz infrage, Co-Präsidentin der städtischen Partei.

Schmaltz setzt sich für Tierschutz, für Queer- und für feministische Themen ein und dürfte in der Partei starken Rückhalt geniessen. Eine andere mögliche Kandidatin ist Selma L’Orange Seigo, Fraktionschefin im Kantonsrat und zusätzlich kantonale Parteipräsidentin. Auf Anfrage zieht sie «grundsätzlich eine Kandidatur in Betracht».

Die SP: Wer vernetzt ist, gewinnt

Kaum ernsthafte Sorgen um Sitzverluste im Stadtrat muss sich die SP mit 28,6 Prozent Wähleranteil machen. Dort ist das parteiinterne Gerangel entscheidender als der Wahltag selbst. Wer vernetzter und beliebter ist in der Partei, gewinnt.

Mauch und Odermatt gelten als politische Zwillinge. Sie, die gleich alt sind und am gleichen Tag geheiratet haben, werden auch am selben Tag zurücktreten – so die verbreitete Annahme. Bei der Partei, die streng auf korrekte Geschlechtervertretung achtet, wird somit ein Frauen- und ein Männersitz frei.

Bei den Frauen schwebt Nationalrätin Jacqueline Badran über allen, aber sie hat schon mehrfach eine Kandidatur erwogen, sich dann aber immer aus beruflichen Gründen dagegen entschieden. Und ihre Ratskollegin Min Li Marti hat 2021 bei der SP-internen Kandidatenausmarchung gegen Simone Brander eine bittere Niederlage eingezogen. Das spricht für Nationalrätin Widmer.

Ambitionen auf den Männersitz dürften die Kantonsräte Tobias Langenegger und Andrew Katumba hegen. In der Stadt bringt sich für die allfällige Nachfolge von André Odermatt als Bauvorstand seit Jahren auch Marco Denoth in Stellung, ehemaliger Parteipräsident und Architekt von Beruf.

Die Übrigen: GLP, SVP und AL dürften auf Angriff schalten

In der Stadt werden die freien Sitze in der Regierung auch bei anderen Parteien Begehrlichkeiten wecken. Logisch wäre eine zweite Kandidatur aus Sicht der GLP mit 13 Prozent Wähleranteil: Hauri hat als ihr bisheriger Kandidat beste Wiederwahlchancen, zu verlieren hat sie nichts.

Nationalrätin Corina Gredig wäre eine naheliegende Wahl. Sie sagt auf Anfrage, sie könne sich «grundsätzlich ein Exekutivamt im Kanton Zürich» vorstellen. Auch Kantonsrätin Franziska Barmettler soll motiviert sein.

Eher harzig dürfte die Kandidatensuche bei den Parteien am linken und am rechten Rand verlaufen. Die AL mit 6,6 Prozent Wähleranteil befindet sich im Umbruch – eine charismatische Figur wie Walter Angst hat sie derzeit schlicht nicht.

Bei der SVP mit 11,1 Prozent Wähleranteil sind die Stadtratswahlen ein leidiges Thema. Mal für Mal werden ihre Kandidaten abgestraft. Seit 34 Jahren ist dies so. Initiativen und Referenden sind für die Partei vielversprechender als Erneuerungswahlen. Das macht die Kandidatensuche schwierig.

Daran dürfte sich auch unter dem neuen Führungsduo mit den Kantonsräten Susanne Brunner und Ueli Bamert nichts ändern. Diese beiden sind wohl selbst die aussichtsreichsten Kandidaten. Keine Rolle spielen werden die Mitte und die EVP mit weniger als fünf Prozent Wähleranteil.

Was die Sache zusätzlich kompliziert macht: Manche Politikerinnen und Politiker dürften auch auf einen Sitz in der Kantonsregierung schielen.

Der Zürcher Regierungsrat ist mit über neun Amtsjahren pro Ratsmitglied nämlich ähnlich eingerostet wie der Zürcher Stadtrat. Vakanzen kündigen sich auch dort an. Und die kantonalen Wahlen sind nur ein Jahr nach den städtischen.

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