Samstag, Oktober 5

Grossverlage wie Penguin Random House klagen gegen den Gliedstaat Florida. Dort müssen Schulbehörden ein Werk aus der Bibliothek entfernen, wenn es von einer einzigen Person beanstandet wird. Die Verlage erachten das Gesetz als verfassungswidrig.

Amerika gilt als Land der Freien, und Florida hat «Freedom» immer besonders hochgehalten. Aber unter dem republikanischen Gouverneur Ron DeSantis wurden in den letzten Jahren diverse Gesetze verabschiedet, die die verfassungsmässig garantierten Freiheiten einschränken. Sie führen auch dazu, dass immer mehr Bücher wegen «anstössiger Inhalte» aus den Schulbibliotheken entfernt werden. Nun haben sechs grosse Verlage wegen dieser «book bans» gegen die Schulbehörden in Florida geklagt.

Ein Gesetz aus dem Jahr 2023 schreibt vor, dass ein Buch innerhalb von fünf Tagen vorsorglich aus einer Schulbibliothek entfernt werden muss, wenn ein einziger Elternteil eines Schülers oder auch nur ein einzelner Bürger des entsprechenden Bezirks das Werk als unangebracht empfindet. «Unangebracht» bedeutet konkret, dass das Buch auf eine nicht altersgerechte Art Themen wie Sex, sexuelle Orientierung, Geschlechtsidentität oder «Rasse» behandle.

Den Lehrern drohen drakonische Strafen

Die Verlage erläutern in ihrer Klage, dass sie nicht prinzipiell gegen das Gesetz und Bemühungen, Schüler vor Pornografie zu schützen, seien. Aber ihrer Ansicht nach öffnet das Gesetz wegen seiner vagen Formulierung der Willkür Tür und Tor. Tatsächlich nehmen die Bücherverbote in Florida massiv zu. Laut der Schriftstellervereinigung Pen America wurden zwischen Juli 2021 und Dezember 2023 in Florida 3135 Bücher aus Bibliotheken verbannt. Die Zensur beschränkt sich dabei allerdings nicht auf Florida; der Sonnenstaat ist in dieser Hinsicht zwar führend, aber innerhalb eines halben Jahres kam es in insgesamt 23 Gliedstaaten quer durch die USA zu mehr als 4300 Bücherverboten.

Im Kampf gegen diesen Zensurfuror machen die Verlage die freie Meinungsäusserung geltend, aber auch ein Urteil des Supreme Court. Dieses hielt 1973 fest, dass bei der Entscheidung, ob ein Werk pornografisch sei, nicht eine einzelne Textstelle massgeblich sei, sondern das Werk als Ganzes. Genau das passiert in den Zensurverfahren jedoch nicht. Da lässt der jeweilige Schulvorstand die beanstandete Stelle laut vorlesen, worauf er das Werk dann vorsorglich aus der Bücherei entfernt. Bis eine endgültige Entscheidung fällt, kann es Jahre dauern.

Aufgrund dieses Prozederes fallen laut den Klägern auch immer wieder Werke der Weltliteratur der Zensur zum Opfer, zum Beispiel von Toni Morrison, Gabriel Garcia Márquez, Aldous Huxley, Leo Tolstoi, Kurt Vonnegut, Ernest Hemingway oder Alice Walker. Auch der berühmte Holocaust-Comic «Maus» von Art Spiegelman musste aus einer Bücherei in Tennessee entfernt werden. Bei Online-Buchhändlern kann man alle zensurierten Bücher finden und kaufen.

In den letzten zwei Jahren erliessen sieben konservative Gliedstaaten Gesetze, die Bibliothekare und Lehrkräfte mit hohen Geldstrafen und langjährigen Haftstrafen belegen, wenn sie Kindern «schädliche» Bücher zum Lesen geben.

In Georgia wurde ein Lehrer entlassen, weil er Fünftklässlern aus einem Buch vorgelesen hatte, in dem es um Geschlechtsidentität ging. In Texas wurde eine Lehrerin auf die Strasse gestellt, weil sie ihrer achten Klasse das Tagebuch von Anne Frank vorgelesen hatte.

Meistens werden LGBTQ-Inhalte beanstandet

Solche Fälle haben eine abschreckende Wirkung auf andere Lehrer und Schulbeamte. Oft «säubern» sie inzwischen schon präventiv ihre Lehrpläne und Büchereien von Werken, die ihnen Ärger einbringen könnten. In der Klage ist sogar die Rede von Schulen, die ihre Bibliothek vorsichtshalber gänzlich schlossen. Denn kein Werk ist vor den Tugendwächtern sicher. In Utah wurde letztes Jahr sogar die Bibel wegen gewalttätigen und obszönen Passagen zum Objekt von Einsprachen.

Oft sind es ein paar wenige Aufpasser, die die Schulen tyrannisieren. Die «Washington Post» analysierte tausend Einsprachen und kam zu dem Resultat, dass 60 Prozent der Reklamationen von elf Personen stammten.

Unter den Vorwurf der Pornografie und der Indoktrination fallen vor allem Bücher mit LGBTQ-Inhalten. Weitere Gesetze in Florida verbieten, dass gleichgeschlechtliche Sexualität im Unterricht der Unterstufe zur Sprache kommt oder Minderjährige generell «sexuellen Beschreibungen oder Narrativen» ausgesetzt werden. Damit wird auch das Vorlesen von Büchern mit «anzüglichen» Inhalten strafbar. Lehrkräfte setzen sich in diesem Klima schnell dem Verdacht aus, Kinder in missbräuchlicher Absicht zu sexualisieren (das sogenannte «Grooming»).

Ein weiterer Streitpunkt ist die Art, wie die afroamerikanische Geschichte vermittelt wird. Gerade in Florida wird Lehrern oft vorgeworfen, sie seien zu links und von der «critical race theory» geprägt; entsprechend stellten sie das Erbe von Sklaverei und Rassismus einseitig dar, mit Weissen als Tätern und Schwarzen als Opfern, und damit den weissen Schülern Schuldgefühle eintrichtern.

Die Freiheit, die sie meinen

Eine treibende Kraft hinter den Bücherverboten in Florida ist Gouverneur Ron DeSantis. Er spricht oft von der verbreiteten «woken» Indoktrination an den Schulen. Pornografisches und unangebrachtes Material werde in die Klassenzimmer und Bibliotheken geschmuggelt, um die Schüler zu sexualisieren.

Nach der Klage der Verlage erklärte seine Stabsstelle, dass das Bildungsministerium des Gliedstaates keine Bücher verbiete und die Behauptungen über ein Bücherverbot ein «Schwindel» seien. Das Gesetz gebe Eltern und Bürgern lediglich die Möglichkeit, das Schulmaterial ihrer Kinder zu kontrollieren und zu beanstanden. DeSantis hatte mit dieser Art von konservativer Kulturpolitik in Florida lange Zeit Erfolg und brachte sich damit in den republikanischen Vorwahlen als Präsidentschaftskandidat in Position. Er hatte allerdings keine Chance gegen den Favoriten Trump.

Auch in Florida selbst erwächst nun zunehmend Widerstand gegen ihn. Nebst der Klage der grossen Verlage – zu denen Branchenriesen wie Penguin Random House, Simon & Schuster und Harper Collins gehören – sind auch andere Einsprachen von den Schriftstellervereinigungen Pen America und Authors Guild hängig. In anderen Gliedstaaten wie Texas oder Iowa prüfen Bundesgerichte ähnliche Klagen. Eine Ironie liegt darin, dass ausgerechnet Konservative wie DeSantis sich gerne auf die Redefreiheit im ersten Zusatzartikel der Verfassung beziehen, um gegen Forderungen der politischen Korrektheit zu kämpfen. Nun steht DeSantis, der seine Autobiografie mit «Mut, frei zu sein» betitelt hat, auf einmal in dem Ruf, selbst ein Freiheitsgegner zu sein.

Die gegenwärtige Auseinandersetzung um «gefährliche» Bücher ist Teil eines allgemeineren Kampfes um den uramerikanischen Begriff der Freiheit, den sich bisher vor allem die Republikaner auf die Fahne schrieben. Nun ist «Freiheit» jedoch auch zu einem zentralen Schlagwort von Kamala Harris’ Wahlkampf geworden.

Die Demokraten verstehen unter Freiheit vor allem auch den Schutz vor staatlichen Übergriffen, wenn es um private Angelegenheiten wie das Liebesleben, das Recht auf Abtreibung oder eben die Wahl der Lektüre geht. Es ist gut möglich, dass sie damit auch viele konservative Bürger ansprechen, denen die Bevormundung in Gliedstaaten wie Florida zu weit geht.

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