Donnerstag, November 14

Sicherheit durch Segregation? Eine Expertin für Stadtplanung hält andere Massnahmen für wirksamer.

Bürgerinnen und Bürger fühlen sich in der Öffentlichkeit zunehmend unsicher. Das belegen Umfragen immer wieder. Vor allem Frauen meiden nach Anbruch der Dunkelheit Parkhäuser, Unterführungen, Grünanlagen – und öffentliche Verkehrsmittel.

In Berlin sind die Sexualdelikte im öffentlichen Nahverkehr in den letzten Jahren angestiegen: 2014 wurden 68 Fälle gemeldet, 313 Vorfälle wurden 2022 registriert, im vergangenen Jahr waren es 259.

Die Berliner Politikerin Antje Kapek hat nun mit der Idee, spezielle Frauenabteile in den U-Bahnen der Hauptstadt einzuführen, für Diskussionen gesorgt. Die Grünen-Sprecherin für Verkehrspolitik begründete ihren Vorschlag mit «sehr schrecklichen Übergriffen auf Frauen, bis hin zu einer Vergewaltigung in der U-Bahn-Linie 3», die sich in den letzten Monaten in Berlin ereignet hätten.

Doch sind spezielle Frauenabteile nun die Lösung?

Die Reaktionen aus den anderen Parteien fallen gemischt aus. Die christlichdemokratische Berliner Verkehrssenatorin Ute Bonde hält nichts von der Idee. Der Vorschlag widerspreche ihrer Vorstellung von einer gleichberechtigten Gesellschaft, sagte sie dem «Tagesspiegel». Der Generalsekretär der Berliner FDP sprach von einer «Bankrotterklärung vor der eigenen Unfähigkeit». Aus der AfD hiess es, die Forderung sei absurd und gehe am Problem vorbei. Auch Politiker der SPD und der Linken reagierten nicht euphorisch, sondern plädierten stattdessen dafür, dass mehr Sicherheitspersonal eingesetzt wird.

Nachgefragt bei Mary Dellenbaugh-Losse von der Berliner Beratungsagentur Urban Policy. Sie ist promovierte Humangeografin und beschäftigt sich mit der Frage, wie sich die Gestaltung von öffentlichen Räumen und Dienstleistungen darauf auswirkt, wer sie nutzen kann – und wer nicht.

Dellenbaugh-Losse sagt: «Wir wissen aus Statistiken, dass viele Frauen Angst im öffentlichen Nahverkehr verspüren und ihn meiden. Durch spezielle Abteile oder Waggons könnten vielleicht einige dieser Frauen mit U- und S-Bahn fahren, die sonst auf Fahrrad oder Auto ausweichen.» Doch eine langfristige Lösung könne das nicht sein, es handele sich hierbei um Symptombekämpfung. Und es gebe praktische Probleme: «Es hilft ja nichts, als Frau ganz alleine im Frauenwaggon zu sein, wer versperrt dann dem Mann den Zugang?» Das Thema müsse strukturell angegangen werden.

Was muss passieren, damit sich Frauen in der U-Bahn und auch auf dem Weg zur U-Bahn und nach Hause sicher fühlen?

Das Gefühl von Belebtheit stärkt die Sicherheit

Dellenbaugh-Losse sagt, Videoüberwachung nütze wenig. «Die ist gut für die Beweissicherung, aber dann ist ja bereits etwas Schlimmes passiert.» Oft deuteten Frauen oder auch Transpersonen Kameras so, dass der Raum unsicher sei und besser gemieden werden sollte. Auch mehr Sicherheitspersonal allein sei keine Lösung. Aus der Befragung von weiblichen Teenagern wisse man, dass diese oft das Gefühl hätten, dass das überwiegend männliche Zug- und Sicherheitspersonal gemeldete Vorfälle bagatellisieren würde.

Dellenbaugh-Losse weist darauf hin, dass bereits an jedem Ausgang in Berliner S- und U-Bahnen Notruftasten existieren, die einen mit dem Zugführer oder der Zugführerin verbinden. Helle, weisse Beleuchtung stärke ausserdem das Sicherheitsgefühl. Ganz wichtig sei aber das Gefühl von Belebtheit rund um die Stationen: «Das trägt wesentlich zur Sicherheit bei.» Kleine Geschäfte, in denen man rund um die Uhr einkaufen könne, oder eine Dönerbude. «Wichtig ist, dass jemand da ist, den man um Hilfe bitten könnte.»

Dellenbaugh-Losse plädiert für Awareness-Kampagnen. Sie nennt die Londoner Kampagne «Have a Word» als ein gelungenes Beispiel. Diese richtet sich speziell an Männer, beispielsweise mit Aufklebern in Herrentoiletten. Dort werden sie dazu ermutigt, einzugreifen, wenn die Sprache oder das Verhalten der Kumpel oder anderer Passagiere Grenzen überschreitet. «Es geht darum, die Männer mit ins Boot zu holen.»

Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) äussern sich nicht direkt zu dem Vorschlag, Frauenabteile einzurichten. Auch sie verweisen laut Medienberichten auf die Notruf- und Informationssäulen. Auf ihrer Website bezeichnet die BVG das Sicherheitsniveau gemessen an den Fahrgastzahlen als «nach wie vor sehr hoch». Insgesamt seien im Jahr 2023 14 825 Straftaten bei rund 1,1 Milliarden Fahrgastfahrten verzeichnet worden.

In Japan und Mexiko kennt man das Konzept

Spezielle Schutzräume für Frauen gibt es schon länger. Seit den 1990er Jahren sind in Deutschland in Parkhäusern und an Autobahnraststätten spezielle Frauenparkplätze geschaffen worden, die näher am Ausgang oder nah beim Gasthaus liegen, gut ausgeleuchtet und zum Teil videoüberwacht sind.

In Japan und Mexiko gibt es auch schon Zugwaggons nur für Frauen. Japan diente der Grünen-Politikerin Kapek laut eigener Aussage als Inspiration. Im Grossraum Tokio verfügen die meisten Bahnlinien über spezielle Waggons, welche in Rushhour-Zeiten den Frauen vorbehalten sind. Dies soll sie vor sexueller Belästigung durch Grapschen – sogenanntes «chikan» – schützen. Auch Rollstuhlfahrer und Knaben bis maximal 12 Jahre dürfen die Waggons nutzen. Zudem fährt immer eine Begleitperson in den Sonderabteilen mit.

In Mexiko-Stadt gibt es seit den 1970er Jahren Waggons, die für Kinder und Frauen reserviert sind. Seit 2016 sind die ersten drei Waggons jeder U-Bahn der 22-Millionen-Einwohner-Metropole für Frauen reserviert. Männer, die sich nicht daran halten, können mit Geldstrafen gebüsst oder bis zu 36 Stunden in Haft genommen werden. Auch in Rio de Janeiro gibt es ähnliche Konzepte. Die Österreichischen Bundesbahnen bieten in Nachtzügen sogenannte Damenabteile an.

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