Dienstag, Oktober 8

Mehrere afrikanische Regierungen versuchen sich aus einer Schuldenkrise zu befreien. Das hat den Internationalen Währungsfonds zurückgebracht – eine auf dem Kontinent verhasste Institution.

Mitte August hat Kenyas Finanzminister John Mbadi einen Empörungssturm ausgelöst mit einem Foto, das ihn beim Handschlag mit einem Mann zeigte, der ebenso verkrampft lächelte wie der Minister selber. Der Mann war der Vertreter des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Kenya, Selim Cakir. Es war nur ein kurzes Arbeitstreffen, doch das genügte, um den Puls mancher Kenyaner in die Höhe schnellen zu lassen.

«Wir wollen nichts wissen vom IWF. Wir kommen gut ohne ihn aus», schrieb ein User auf X. Ein anderer: «Unsere Anführer sind nur Puppen, und der Westen ist ihr Meister.» Ein weiterer: Selim Cakir sei der «böse Mann vom IWF».

Auch in anderen afrikanischen Ländern sind viele gerade nicht gut zu sprechen auf den IWF, eine internationale Finanzinstitution mit Sitz in Washington, die oft als Kreditgeber auftritt, wenn Länder alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft haben. Sie sehen den IWF als Strippenzieher hinter Regierungen, die auf dem Buckel ihrer Bevölkerungen horrende Schulden sanieren.

Afrika befindet sich in einer Schuldenkrise, die manche als die grösste je da gewesene bezeichnen. Es ist sicher die grösste seit zwei Jahrzehnten. Mehr als die Hälfte aller afrikanischen Länder haben in den vergangenen Jahren mit dem IWF verhandelt oder bereits ein Hilfsprogramm vereinbart. Doch die Hilfe des Währungsfonds ist mit Auflagen verbunden. Und viele Afrikaner sind diesen gegenüber zutiefst misstrauisch.

Engherzige Technokraten

Unter anderem in Nigeria und Uganda haben Bürgerinnen und Bürger in den vergangenen Monaten demonstriert. Sie wehrten sich gegen stetig steigende Lebenshaltungskosten, gegen Inflation, gegen korrupte politische Eliten.

Die wirtschaftlichen Härten hängen oft mit Massnahmen zusammen, die Regierungen erlassen haben, um die Schulden in den Griff zu bekommen.

Nirgendwo waren die Proteste heftiger als in Kenya, der viertgrössten Volkswirtschaft in Subsaharaafrika. Tausende oft sehr junge Leute gingen auf die Strasse, um gegen geplante Steuererhöhungen zu protestieren, bei denen IWF-Berater mitgewirkt hatten.

Ende Juni stürmten Demonstranten das Parlament in der Hauptstadt Nairobi. Die Polizei hat Dutzende von Demonstranten getötet.

Wie sich afrikanische Staaten verschuldeten

Afrikas Schuldenkrise hat mehrere Ursachen. Vor zwei Jahrzehnten erhielten erstmals afrikanische Staaten Zugang zu Eurobonds – Anleihen an den internationalen Kapitalmärkten, in die auch private Anleger investieren. Diese waren nicht mit den Auflagen verbunden, die Geldgeber wie der IWF oder die Weltbank üblicherweise stellen.

Länder machten freizügig Gebrauch von den Krediten. Dazu kam, dass China zu der Zeit grosszügig Kredite in Afrika verteilte. Länder auf dem Kontinent finanzierten auf Kredit neue Infrastruktur: Eisenbahnen, Strassen, Flughäfen, Brücken.

Doch die Investitionen rechneten sich häufig nicht, milliardenteure Eisenbahnprojekte in Äthiopien und Kenya zum Beispiel brachten nicht die erhofften Einnahmen. Als Ende 2014 Preise für Rohstoffe und Öl einbrachen, brachte dies viele afrikanische Länder weiter in Bedrängnis.

Einige Jahre später folgten die Covid-Pandemie und die Schockwellen des Ukraine-Kriegs – in Afrika wirkte sich das alles zusammen als perfekter Sturm auf die Verschuldung vieler Länder aus.

Im vergangenen Jahrzehnt hat sich das durchschnittliche Verhältnis der Schulden am Bruttoinlandprodukt in Subsaharaafrika fast verdoppelt – von 30 Prozent 2013 auf fast 60 Prozent 2022.

Sambia war 2021 das erste Land, das bankrottging. Ende 2022 konnte Ghana seine Schulden nicht mehr bedienen. Kenya wendet mehr als die Hälfte seiner Staatseinnahmen für den Schuldendienst auf.

Die dramatische Situation hat den Währungsfonds zurückgebracht. Und auch ungute Erinnerungen an frühere Programme in Afrika: In den 1980er und 1990er Jahren verlangte der IWF von hochverschuldeten afrikanischen Ländern, dass sie im Rahmen sogenannter Strukturanpassungsprogramme die öffentlichen Ausgaben stark zurückfuhren.

Das traf neben aufgeblähten Verwaltungsbereichen auch Kernbereiche des Staates wie Bildung und Gesundheit. Staaten bauten zwar Schulden ab, vielerorts stiegen aber Arbeitslosigkeit und Ungleichheit.

Der IWF hat Lehren gezogen. Empfehlungen an Länder wie Kenya zielten in den vergangenen Jahren stärker als früher darauf, staatliche Einnahmen zu erhöhen und Streichungen gezielter auf verschwenderische Bereiche zu fokussieren.

Das Problem ist, dass auch diese Massnahmen die Bevölkerung oft hart treffen, gerade die Mittelklasse, die in afrikanischen Ländern schmaler und fragiler ist als in reicheren Ländern.

Kenyas Regierung wiederum hat seit 2022 eine Reihe von Steuern eingeführt, um die Einnahmen zu erhöhen. Die neuen Steuern trafen fast ausnahmslos die breite Bevölkerung, Präsident William Ruto brachten sie den Spitznamen «Zachäus» ein, nach einem unbarmherzigen Steuereintreiber in der Bibel.

In diesem Jahr wollte Rutos Regierung unter anderem neue Steuern auf Güter wie Weizen, Speiseöl, Tampons und Fahrzeuge einführen. Sie löste damit die Proteste aus, die so schlagkräftig waren, dass die Regierung ihre Steuervorlage Ende Juni zurückzog.

Afrikaner trauen Regierungen nicht mit ihren Steuern

Die Wut in Afrika rührt daher, dass viele ihren Regierungen nicht zutrauen, dass sie ihre Steuern verantwortungsvoll verwenden – und diese zum Beispiel durch Korruption versickern.

Eine Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Afrobarometer in 34 afrikanischen Ländern hielt 2022 fest, dass nur 51 Prozent der Befragten glaubten, ihre Regierung nutze Steuereinnahmen dazu, das Wohlergehen der Bevölkerung zu verbessern.

Nun ist vielen der Kragen geplatzt. In Kenya fragten viele: Was bekommen wir überhaupt im Gegenzug für unsere ständig steigenden Steuern? Und der Zorn zielte oft auch auf den IWF, von dem viele glauben, dass er die Steuererhöhungen empfiehlt – wenn nicht gleich anordnet.

Tatsächlich ist der IWF zwar für die Stossrichtung vieler Massnahmen mitverantwortlich, doch kaum für das Grundproblem: dass viele afrikanische Regierungen sich hoffnungslos verschuldet haben – und lieber neue Kredite aufnehmen, als Massnahmen zu treffen, mit denen auch die politische und wirtschaftliche Elite über Steuern einen Beitrag leisten würde, die Verschuldung zu senken.

Kritiker werfen dem Währungsfonds aber vor, er trage insofern eine Verantwortung, als er der makroökonomischen Logik alles unterordne – und blind sei für die politischen Folgen.

Ken Opalo zum Beispiel, ein kenyanischer Politikwissenschafter an der Georgetown University in Washington DC, schrieb: «Das IWF-Programm für Kenya behandelt die Wirtschaftskrise, als wäre sie nur ein Buchhaltungsproblem, dabei ist sie ein vertracktes politisches und wirtschaftliches Problem.» Der IWF sei ein «Feuerwehrmann mit sehr begrenzten Zielen».

In Kenya sehen viele den Feuerwehrmann auch als Brandstifter – der im Verbund mit der Regierung agiert. Diese plant nun offenbar, einen Teil der zurückgezogenen Steuern neu aufzulegen. Die wichtigste Zeitung des Landes, die «Nation», fragte deswegen Mitte August schon einmal: «Schürt der IWF wieder die Flammen in Kenya?»

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