Trumps Wahlleugner und die moderaten Konservativen tragen im wichtigen Swing State im Süden der USA einen unerbittlichen internen Konflikt aus. Ein Blick hinter die Partei-Kulissen.
Bill Gates ist – ungleich wie der Microsoft-Gründer – keine weltbekannte Persönlichkeit. Er ist bloss ein pflichtbewusster Bezirksrat in Arizona. Trotzdem erhielt der Republikaner Todesdrohungen, brauchte Polizeischutz und musste mehrfach mit seiner Familie an unbekannten Adressen übernachten. Was war sein Vergehen?
Der Weg zu seinem Büro in der Hauptstadt Phoenix führt an zwei Sicherheitskontrollen vorbei. In der Eingangshalle des Verwaltungsgebäudes werden mitgebrachte Taschen gescannt. Auch oben im zehnten Stockwerk sitzt ein Polizist mit Schutzweste am Empfang. Gates wirkt indes äusserlich gelassen. Er gebe gerne Interviews: «Jedes Mal, wenn ich einem Journalisten meine Geschichte erzähle, hilft mir das. Es ist therapeutisch.»
Gates’ Geschichte spielt in einem besonderen Bezirk: dem Maricopa County, zu dem auch Phoenix gehört. Rund 60 Prozent von Arizonas Wählern leben hier. Wie sie abstimmen, kann das Rennen um das Weisse Haus entscheiden. Am Wahltag im November werden sich die Augen in ganz Amerika deshalb auf das Maricopa County und auch auf Gates richten. Er ist für die Organisation und die Zertifizierung der Wahl mitverantwortlich.
Ein Trauma wie im Krieg
Vor vier Jahren stimmte eine knappe Mehrheit in Maricopa für Joe Biden. Sein Vorsprung in dem Bezirk betrug rund 2 Prozent der Stimmen. In ganz Arizona waren es gar nur 0,3 Prozentpunkte – oder 10 457 Stimmen. Trump erklärte das Resultat für gefälscht: «Die Wahl war korrupt.» Im Internet verbreiteten sich wilde Gerüchte über Manipulationen. Noch während der Auszählung demonstrierten wütende, zum Teil bewaffnete Trump-Anhänger vor dem Gebäude in Phoenix, wo sämtliche Wahlzettel des Maricopa County ausgewertet wurden. Der bekannte Verschwörungstheoretiker Alex Jones wandte sich mit einem Megafon an die Wahlhelfer drinnen: «Ihr werdet vor Gericht gestellt – so wie die Nazis in Nürnberg.»
Gates liess sich davon nicht einschüchtern. Er verteidigte das Wahlresultat unermüdlich und erntete dafür blanken Hass. «Du weisst, was wir mit Verrätern in diesem Land machen? Wir hängen sie», solche Nachrichten habe er immer wieder erhalten. Dies nagte am dreifachen Familienvater, trotz seiner stoischen Persönlichkeit. «Ich zog mich zurück, reagierte auf krankhafte Weise, ich tickte aus.» Irgendwann sagte seine Frau zu ihm: «Ich weiss nicht, wer du momentan bist, aber ich mag diese Person nicht. Das ist nicht der Mann, mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen will.»
Im Frühjahr 2022 begab sich Gates in Therapie. Die Diagnose lautete «Posttraumatische Belastungsstörung» – kurz PTSD. Es ist ein Syndrom, unter dem gewöhnlich Soldaten leiden, die aus einem Krieg zurückkehren. Die Todesdrohungen seien aber nur eine Ursache für sein Trauma, meint der 53-Jährige. Gates identifizierte sich sein Leben lang als Republikaner. Er war im Teenager-Klub der Partei und gehörte an der Eliteuniversität Harvard zur republikanischen Studentengruppe. Nun schimpften ihn seine Parteikollegen einen Verräter oder schwiegen verlogen. Dabei habe er nichts Falsches gemacht: «Ich veruntreute keine Steuergelder, ich erledigte nur meine Arbeit.» Die unberechtigten Attacken aus den eigenen Reihen seien für ihn mental schwer zu verkraften gewesen.
Die Therapie half Gates. So habe er sich bei den schwierigen Zwischenwahlen im November 2022 gut gefühlt. Am Wahltag waren die Drucker für die Wahlzettel in einigen Stimmlokalen überlastet, es kam zu Warteschlangen und in der Folge zu neuen Betrugsvorwürfen. Trumps Lüge über die gestohlene Wahl 2020 motivierte viele seiner wütenden Anhänger, für Ämter auf allen Ebenen zu kandidieren. In den republikanischen Vorwahlen triumphierten die Wahlleugner meistens. «Die Leute, die unser Wahlsystem verteidigen, sind in der Republikanischen Partei in Arizona eine aussterbende Spezies», meint Gates.
Schmerzhafte Abkehr von John McCain
Bei den Zwischenwahlen verloren viele dieser Trumpisten jedoch das Rennen gegen ihre demokratischen Konkurrenten. Den moderaten Wählern waren sie zu extrem. Das schillerndste Beispiel ist Kari Lake, eine ehemalige Moderatorin des konservativen Fernsehsenders Fox News. Sie ist eine derart eifrige Wahlleugnerin, dass sich angeblich selbst Trump über sie lustig macht. Im Privaten soll er gesagt haben, man könne Lake nach dem Wetter fragen und sie antworte: «Das Wetter in Phoenix ist okay, aber wir werden kein grossartiges Wetter haben, bis die Wahlen fair sind.»
Vor zwei Jahren wollte Lake Gouverneurin werden und verlor knapp gegen die Demokratin Katie Hobbs. Der Grund dafür war einfach: Nach gewonnener Vorwahl weigerte sich Lake, in die politische Mitte zu rücken. Mit einer Attacke auf den moderaten Flügel spaltete sie ihre Partei noch mehr: «Wir haben einen Pfahl durch das Herz der McCain-Maschine getrieben», polterte sie.
John McCain war ein Held des Vietnamkriegs, ein populärer Senator in Arizona und 2008 der republikanische Präsidentschaftskandidat. Bis zu seinem Tod 2018 gehörte McCain zu den schärfsten Trump-Kritikern. Der ehemalige Präsident machte ihn deshalb zu seiner Zielscheibe und stellte seinen Status als Kriegsheld infrage. «Er war ein Kriegsheld, weil er gefangen genommen wurde», meinte Trump im Wahlkampf 2015. «Ich mag Leute, die nicht gefangen wurden.»
Vielen Republikanern in Arizona geht die Abkehr von McCain und seinem Erbe zu weit. In den Zwischenwahlen machten 40 000 konservative Wähler bei Lake kein Kreuz, und 33 000 stimmten für die Demokratin Hobbs. Die ambitiöse Lake wollte ihre Niederlage jedoch nicht eingestehen und tritt nun für den offenen Senatssitz an, nachdem sie die republikanische Vorwahl deutlich gewonnen hatte. In Umfragen liegt sie aber klar hinter dem Demokraten Ruben Gallego zurück.
«Es wird zu Gewalt kommen»
Ein bekennender McCain-Republikaner ist der Politstratege Chuck Coughlin. Seine Kommunikationsagentur liegt in einem historischen Wohnhaus in Phoenix. Drinnen sieht es aus wie 1986, als Coughlin die Spendengelder für McCains ersten Senatswahlkampf einsammelte: dunkler Parkettboden mit Perserteppichen darauf, ein antiker Coca-Cola-Kühlschrank in der Ecke und ein Poster des jungen McCain an der Wand.
Genau genommen ist Coughlin aber kein Republikaner mehr. Bereits 2017 registrierte er sich als unabhängiger Wähler. «Trump hat die totale Kontrolle über die Partei übernommen.» Und die sei heute weder fiskalisch noch sozial konservativ. «Kämpfe für Dinge, die grösser sind als dein Eigeninteresse», habe ihn McCain gelehrt. Trump aber kenne nichts Grösseres als sein eigenes Interesse. «Er benutzt ausschliesslich den Groll der Menschen, um sie für sich zu mobilisieren.»
Coughlin wird im November deshalb für Kamala Harris stimmen. Er ist überzeugt, dass die Demokratin auch in Arizona gewinnen wird. Die Umfragen gehen derzeit zwar von einem Kopf-an-Kopf-Rennen aus. Aber um den Swing State für sich zu behaupten, müsse ein Kandidat auch eine Mehrheit der unabhängigen Wähler von sich überzeugen. Das traut er dem ehemaligen Präsidenten nicht zu: «Trump kann Arizona nur gewinnen, wenn Harris noch einen grossen Fehler macht.»
Ein fairer Verlierer werde Trump indes nicht sein. Ähnlich wie vor vier Jahren werde er den Vorwurf einer gestohlenen Wahl erheben, so glaubt Coughlin. Einen Sturm aufs Capitol in Washington wie am 6. Januar 2021 erwartet er zwar nicht. «Aber es wird zu Gewalt kommen. Es wird Gewalt in Swing States geben, ausgehend von Bürgerwehren und wütenden Leuten.»
Coughlin hat die Republikanische Partei verlassen. Aber nicht alle konservativen Trump-Kritiker in Arizona wollen ihre politische Heimat aufgeben. Zum Beispiel Julie Spilsbury: Die sechsfache Mutter ist Stadträtin in Mesa, einem grossen Vorort östlich von Phoenix im Maricopa County. «Niemand sagt mir, dass ich nicht rechtsextrem genug bin, um eine Republikanerin zu sein», erklärt sie. Allerdings ist Spilsbury zumindest nicht rechts genug, um für Trump zu stimmen. In ihrem Vorgarten stellte sie Schilder mit der Aufschrift «Republikaner für Harris» auf. Ihre Nachbarn, mit denen sie sonntags zur Kirche geht, hätten daraufhin ein abfälliges Schild über die Anhänger der demokratischen Kandidatin angebracht, auf dem «Schwänze für Harris» gestanden habe. «Sie sind sehr wütend.»
Wunsch nach Hoffnung statt Angstmacherei
Spilsbury ist Mormonin. Ihre konservative Glaubensgemeinschaft unterstütze mehrheitlich Trump, sagt sie. Ein wichtiger Grund, warum viele für ihn stimmten, auch wenn sie ihn nicht mögen, sei die Abtreibungsfrage. «Deshalb halten viele Republikaner ihre Nase zu und wählen Trump.» Sie selbst meint jedoch: «Ich stimme für Harris nicht trotz, sondern wegen meiner Religion.» Trumps Anhänger seien überzeugt, dass nur er Gott und die Gebete zurückbringen könne. «Aber wenn wir die Menschen behandeln wollen, wie Jesus Christus es tat, ist Trump ein schlechtes Vorbild.»
Vor allem die Angstmacherei des ehemaligen Präsidenten stört Spilsbury. Zum Beispiel beim Recht auf Abtreibung. «Niemand will Babys töten, aber so wird es dargestellt.» Die Einwanderungspolitik müsse natürlich verbessert werden. «Aber die Migranten als böse, als Vergewaltiger und Mörder zu bezeichnen, ist herzzerreissend.» Sie und ihr Mann hätten früher ein Unternehmen für Baumpflege geführt. «Die meisten unserer Mitarbeiter waren eingewanderte Latinos der ersten und zweiten Generation. Das sind ganz wunderbare Menschen.»
Wenn Trump rede, höre sie «Angst, Angst, Angst». Wenn Harris rede, höre sie «Hoffnung, Hoffnung, Hoffnung». Für sie sei klar, meint Spilsbury: «Wir sollten mit Hoffnung erfüllt sein und nicht mit Angst.»
Sie habe gezögert, ob sie auch den demokratischen Senatskandidaten Gallego öffentlich unterstützen solle, erzählt Spilsbury. Aber dann habe sie einen Zeitungsartikel gelesen, in dem Lake mit diesen Worten zitiert worden sei: «Es geht um eine Wahl zwischen Gut und Böse. Es ist eine Wahl zwischen denjenigen, die Amerika zerstören, und denjenigen, die Amerika aufbauen wollen.» Im nächsten Satz sei Gallego zu Wort gekommen: «Ich glaube nicht, dass Kari Lake böse ist. Wir haben nur eine unterschiedliche Meinung.» Der Demokrat hörte sich an wie McCain. Spilsbury stellte sich öffentlich hinter Gallego.
Die Stadträtin ist in ihrer zweiten Amtszeit. Und sie hat Gefallen an der Politik gefunden. «Ich liebe es, ein Teil der Debatte zu sein.» Spilsbury könnte sich vorstellen, auch für ein höheres Amt zu kandidieren. Aber dafür ist sie zu moderat: «Momentan bin ich nicht genug Republikanerin und nicht genug Demokratin, um eine Vorwahl zu gewinnen.»
Der Bezirksrat Bill Gates hingegen hat von der aktiven Politik genug. Nach dieser Wahl wird er an der Arizona State University das neue «Labor für die Mechanik der Demokratie» leiten. Dort will er die nächste Generation von Wahlhelfern ausbilden und mithelfen, das Vertrauen in die Wahlen wiederherzustellen. Für wen er im November stimmen wird, will er nicht verraten. Aber auch er wünscht sich, dass seine Partei zur Vernunft kommt und auch für Unabhängige wieder wählbar wird: «Republikanische Wähler müssen sich entscheiden, ob sie weiterhin Wahlen in Swing States verlieren wollen.» Es wäre rational, Kandidaten zu nominieren, die für die unabhängigen Wähler attraktiv seien. «Ich hoffe, dass wir irgendwann eine neue Seite aufschlagen. Es kann wirklich sein, dass unsere Demokratie nicht alle zwei Jahre einen solchen Stresstest aushalten kann.»