Montag, September 30

Das «Publix»-Haus in Berlin will «Correctiv» und weitere «gemeinnützige» Redaktionen beheimaten. Solange ein Medium wirklich informieren wolle, dürfe es Räume mieten, sagen die Verantwortlichen. Wer aber bestimmt darüber, was als Information gilt und was als Desinformation?

Für den «Correctiv»-Gründer David Schraven läuft es derzeit gut. Anfang dieses Jahres hat seine Plattform mit ihrem Bericht über einen rechten «Geheimplan» zwei Millionen Menschen auf die Strasse gebracht. Jetzt gibt es mit dem «Publix»-Haus in Berlin ein Projekt, das ganz in seinem Sinne agiert. «Publix» vermietet Arbeitsflächen für journalistische Organisationen. Auch «Correctiv» gehört dazu.

Schraven klingt geradezu enthusiastisch, wenn er über das Haus spricht: Er nennt es eine «Schokoladenfabrik des Journalismus», spricht von dem «Mindset», den Journalismus «mehr zur Gesellschaft» hin zu öffnen. Man könnte aber auch sagen, die Eröffnung des Hauses ist das Resultat jahrelanger Lobbyarbeit. Denn «Publix» ist ein Kernelement in Schravens Strategie, das Konzept des «gemeinnützigen Journalismus» in der deutschen Medienlandschaft dauerhaft zu verankern.

Das Netzwerk hinter dem Haus führt ins südbadische Lörrach. Dort hat die gemeinnützige Stiftung des Unternehmers Hans Schöpflin ihren Sitz. Neben dem deutschen Staat gehört sie seit Jahren zu den grösseren Geldgebern von «Correctiv». Sie finanzierte auch den Bau des «Publix»-Hauses mit 25 Millionen Euro. Und sie erwarb den Teil des Friedhofsgrundstücks, auf dem der Neubau steht. Den Kaufpreis will sie aber auf mehrfache Nachfrage hin nicht nennen. «Das Grundstück ist zu einem marktüblichen Preis verkauft worden», teilt eine Sprecherin mit. «Zum konkreten Kaufpreis äussern wir uns in Abstimmung mit dem Verkäufer nicht.»

Auch «gemeinnützige» Journalisten bedienen einen Markt

«Publix» agiert da deutlich transparenter. Es macht kein Geheimnis daraus, dass es staatliche Gelder erhält. So erhält es etwa 200 000 Euro für eine «Technologie-Fellowship» von der Kulturstaatsbehörde der Grünen-Politikerin Claudia Roth, mit der Journalisten zum Beispiel in der Nutzung künstlicher Intelligenz geschult werden sollen. Besonders zufrieden ist die «Publix»-Intendantin Maria Exner aber mit dem Media Forward Fund, für den Roth eine «einmalige Anschubfinanzierung» in Höhe von 135 000 Euro beigesteuert hat.

Roths Behörde ist ans Kanzleramt angedockt, das Geld kommt also direkt von der Regierung. Sie will damit den Aufbau von Projekten unterstützen, die dem «gemeinwohlorientierten Journalismus» dienen. Dank mehreren Geldgebern sei man jetzt schon bei 9 Millionen Euro, sagt Exner. Auch Claudia Roth ist bei der Eröffnung von «Publix» dabei, sie hält eine Rede. Darin nennt sie die freie Presse den «Sauerstoff der Demokratie».

«Publix» und «Correctiv» sind nicht allein: Im Neubau sitzt auch das «Netzwerk Recherche» – und erhält ebenfalls Steuergeld. Im vergangenen Jahr bekam es fast 100 000 Euro von Roths Behörde. Eigentlich sollen Journalisten auf Distanz zur Regierung bleiben – aber weder die «Publix»-Intendantin Exner noch ihre Mitstreiter scheinen sich daran zu stören, dass hier eine staatliche Stelle Geld für journalistische Projekte verteilt.

Sie sind sogar der Auffassung, die Spenden von Stiftungen und Einzelpersonen sowie die staatliche Förderung machten «gemeinnützigen» Journalismus unabhängiger – nämlich vom Zwang, Gewinn zu machen.

Eine Sprecherin der Schöpflin-Stiftung sagt das besonders deutlich: «Nichtgemeinnützige», also klassische Medienunternehmen seien dadurch gekennzeichnet, dass sie ihre Gewinne durch redaktionelle Arbeit maximierten und abschöpften. Und zwar, wie sie hinzufügt, «häufig zulasten der Qualität des Inhalts».

Christian Hoffmann, Professor für Kommunikationsmanagement an der Universität Leipzig, hält diese Auffassung für «blauäugig». Zum einen seien Profite in der freien Wirtschaft «ein wichtiger Indikator dafür, ob ein Angebot bei den Kunden ankommt oder nicht». Sie seien auch notwendig für die Finanzierung von Wachstum, sagt er. Die Verfechter des «gemeinnützigen Journalismus» unterschätzten die Rolle des Profits, vielleicht auch aufgrund «politischer Scheuklappen».

Zum anderen könne auch ein Spendenmodell zulasten der journalistischen Qualität gehen: Wer permanent Spenden brauche, der müsse auch dazu in der Lage sein, immer wieder «die entsprechende Aufmerksamkeit zu erzeugen». Gegen kampagnenjournalistische Methoden sei also der «gemeinnützige» Journalismus genauso wenig gefeit wie der klassische, meint Hoffmann.

Das wohl prominenteste Beispiel dafür ist die «Geheimplan»-Recherche von «Correctiv» aus dem Januar dieses Jahres. Das Recherchenetzwerk behauptete, Vertreter der AfD hätten mit Rechtsextremen Pläne zur «Vertreibung» von Millionen Menschen aus Deutschland geschmiedet. Später musste es klarstellen, die Teilnehmer hätten nichts Rechts- oder Verfassungswidriges besprochen. Inzwischen kritisieren sogar Medien links der Mitte, wie etwa das Portal «Übermedien», den Text als unseriös.

«Correctiv» hat mittlerweile den nächsten grossen Spendenaufruf gestartet. In der jüngsten Kampagne, mit der «Correctiv» eine Million Euro einsammeln will, heisst es, die «Geheimplan»-Recherche habe gezeigt, dass «unabhängiger Journalismus» die «Demokratie stark» mache: «Wir wollen in Zukunft noch mehr enthüllen, mehr gegen Falschmeldungen unternehmen und Bildungsarbeit leisten.» Wenige Klicks weiter geht es zum Spendenbutton. Nach zwei Wochen hat das Portal schon 100 000 Euro eingenommen. Das Versprechen: Wer für «Correctiv» spendet, schützt die Demokratie.

Ein neuer öffentlichrechtlicher Rundfunk?

Eigentlich ist die Debatte rund um die Gemeinnützigkeit von Medien nicht neu. Lange war in Deutschland nur der öffentlichrechtliche Rundfunk gemeinnützig. Er hat einen Bildungs- und Informationsauftrag. Er ist zu politischer Neutralität verpflichtet.

Aber die Zahl der Vorfälle ist Legion, die auf die politische Voreingenommenheit seiner Programme und Redaktoren zugunsten linker oder grüner Parteien hindeuten. Das Versprechen der überparteilichen Gemeinnützigkeit wird regelmässig gebrochen.

Für Schraven ist das kein Anlass, sein Geschäftsmodell zu überdenken, im Gegenteil. Er bewirbt es umso offensiver, je grösser in seiner Wahrnehmung die journalistische Lücke für «gemeinnützige» Medien wird.

In Deutschland regelt die gesetzliche Abgabenordnung, welche Projekte Gemeinnützigkeit beanspruchen dürfen – und damit keine Steuern zahlen müssen. Gemeinnützigen Journalismus sehe sie derzeit nicht explizit vor, erklärt Christian Hoffmann von der Universität Leipzig.

Doch es gibt ein Schlupfloch, das «Correctiv», «Netzpolitik» und andere «gemeinnützige» Medienhäuser schon jetzt nutzen. Denn anders als Journalismus kann Bildung laut Abgabenordnung gemeinnützig sein. Wer also seine Medienfirma zu einem Bildungsunternehmen umetikettiert, hat gute Chancen auf die Anerkennung der Gemeinnützigkeit durch das zuständige Finanzamt.

Das «Gemeinwohl» hat auch eine finanzielle Komponente

Dabei spiele auch die Orientierung am «Gemeinwohl» eine Rolle, so Hoffmann. Die Finanzämter gewähren nämlich nur dann die Gemeinnützigkeit – und damit steuerliche Vorteile –, «wenn das jeweilige Projekt eine überparteiliche Ausrichtung hat und etwa mithilfe von Bildungsinhalten der Allgemeinheit dient». «Correctiv» muss das demnach nachweisen, um weiter als gemeinnützige Gesellschaft firmieren zu können.

Das ist fragwürdig. Denn Pressehäuser dienen in erster Linie nicht dem «Gemeinwohl», sie haben in der Regel auch keinen direkten Bildungsauftrag. Sie dienen ihren Lesern, und sie folgen meist bestimmten publizistischen Leitlinien, die sie sich selbst gegeben haben.

Entsprechend spendeten Leser aus ähnlichen Gründen an «gemeinnützige» Medien, aus denen sie auch für private Medien bezahlten, erklärt Hoffmann: Sie fühlen sich mit ihren politischen Einstellungen und Interessen beim jeweiligen Medium gut aufgehoben. «Oft macht die politische Tendenz dieser Medien es schwer, dann noch von Gemeinnützigkeit zu sprechen», sagt er.

Es sind vor allem Einzelspender und Stiftungen, die den grössten Teil des Budgets von «Correctiv» tragen. Doch auch der Staat fördert einzelne Projekte des «gemeinnützigen» Medienunternehmens.

Aus der Antwort der deutschen Regierung auf eine schriftliche Frage des AfD-Parlamentariers Leif-Erik Holm geht hervor, dass mindestens 1,2 Millionen Euro des Budgets von «Correctiv» in den letzten zehn Jahren aus dem Bundeshaushalt kamen. Rechnet man weitere Steuermittel in Höhe von ungefähr 1,3 Millionen Euro hinzu, ergibt das eine Gesamthöhe von mindestens 2,5 Millionen Euro.

Jetzt legt Schravens «Forum» einen Gesetzesentwurf vor

Schraven lobbyiert jedenfalls seit längerer Zeit dafür, dass noch mehr Medienunternehmen von der anerkannten «Gemeinnützigkeit» profitieren können. Dafür hat er eigens das «Forum gemeinnütziger Journalismus» gegründet, zu dem auch «Publix» und die Schöpflin-Stiftung gehören. Schon vor bald zwölf Jahren schwärmte er auf dem Blog «Ruhrbarone» davon, in seinem bevorzugten Modell wären Steuern absetzbar und Gewinne mit gewissen Einschränkungen «privatisierbar».

Damit hatte er im Grunde das Geschäftsmodell von «Correctiv» vorweggenommen. Laut Recherchen des Wettbewerbsrechtlers Joachim Steinhöfel verleiht «Correctiv» als gemeinnützige Gesellschaft regelmässig Darlehen an Schravens gewerbliche Tochterfirma, die eigentlich durch «Faktenchecks» und Buchvertrieb selber Geld verdient.

Das klingt alles weniger nach den Ideen eines Menschen, der sich – wie etwa Ehrenamtliche in Vereinen – ernsthaft um den Nutzen der Allgemeinheit bemüht. Sondern eher nach dem Vorgehen eines Geschäftsmanns, der weiss, welche Quellen er anzapfen muss, um seine Ziele zu erreichen.

Nun sollte eine «Klarstellung» im Anwendungserlass der Abgabenordnung dafür sorgen, die Anerkennung der Gemeinnützigkeit zu erleichtern. Das deutsche Finanzministerium plante dafür eine sogenannte «untergesetzliche Regelung», für die es keine Gesetzesänderung durchs Parlament braucht. Damit habe das Ministerium die Rechtssicherheit für «gemeinnützige» Medienunternehmen erhöhen wollen, teilt eine Sprecherin mit.

Dieses Projekt, das Schraven als «weltweit fortschrittlichste Regelung zum gemeinnützigen Journalismus» gelobt hatte, ist laut «Correctiv» jetzt am Widerstand der Bundesländer gescheitert. Ein Sprecher des Finanzministeriums richtet dazu aus, das Thema werde «derzeit zwischen Bund und Ländern erörtert». Das Ergebnis bleibe «abzuwarten».

Für Schraven ist das aber kein Grund, um aufzugeben. Das «Forum gemeinnütziger Journalismus» habe nun einen Gesetzentwurf vorgelegt, heisst es in der Meldung von «Correctiv», «der die Aufnahme des gemeinnützigen Journalismus in den Katalog der gemeinnützigen Tätigkeiten» regeln solle.

Auch wenn Schraven behauptet, damit die Interessen der ganzen Gesellschaft zu vertreten: Er handelt wie jeder andere Lobbyist in einer vergleichbaren Situation. Auch sein zwölfseitiger Gesetzentwurf ist im Lobbyregister des Deutschen Bundestags abrufbar.

Es geht vor allem um Definitionsmacht

Dabei zeigt sich auch an einem anderen Punkt, wie strittig die Begriffe sind, mit denen «Correctiv» und die anderen Mitglieder des «Forums gemeinnütziger Journalismus» operieren. Die «Publix»-Intendantin Exner sagt, solange ein Medium «wirklich» informieren wolle, dürfe es ohne Einschränkungen bei «Publix» Räume mieten.

Wer aber bestimmt darüber, was als Information gilt und was als Desinformation? Sind es politische Kriterien, die darüber entscheiden? Exner bestreitet das. Und lässt doch offen, was sie meint. Der Frage, ob auch etwa die rechtskonservative Zeitung «Junge Freiheit» willkommen sei, weicht sie aus. Über Mietanfragen entscheide man, «wenn das auf uns zukommt», sagt sie.

Offenbar wollen die Mitglieder von Schravens Forum unter sich bleiben. Und sie wollen, so der Eindruck, am liebsten selber definieren, welcher Journalismus der Allgemeinheit dient und welcher nicht.

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